Kapitel 27 - Freude

29 5 5
                                    

Eliza starrte die weiß gestrichene Holztür an und atmete tief durch. Es gab hier weit und breit nur zwei Häuser - die sich gegenüberstanden - eines davon musste das ihres Vaters sein. Das andere war vielleicht das ihres Bruders. Wenn Dalia und Lehelia sich nicht geirrt hatten. Gavriel lächelte sie aufmunternd an. „Nur zu, meine Prinzessin. Klopf doch an." Eliza nickte und betätigte dann den metallenen Türklopfer, der in Form eines Tigers gefertigt war. Das Metall war schon grün angelaufen und an manchen Stellen war die Farbe der Tür abgeblättert. Mit diesen Beobachtungen lenkte Eliza sich ab, während sie wartete. Gavriel strich ihr in sanften Kreisen über den Rücken. Bevor sie hierhergekommen waren, waren sie noch am Palast vorbeigegangen, den Eliza, aufgrund ihrer dortigen traumatischen Erlebnisse, nicht hatte betreten wollen. Sie hatten die Wachen am Eingang gebeten, Aedion und Lysandra auszurichten, wo sie waren.

Eliza hörte, wie sich Schritte näherten. Aufgeregt ergriff sie Gavriels Hand und drückte sie ganz fest. Jeder andere hätte ihr, aus Angst vor einem Knochenbruch, die Hand entzogen. Doch nicht Gavriel. Eliza richtete sich gerade auf, strich sich nervös ein nicht vorhandenes Haar aus der Stirn und hielt die Luft an. Knarzend öffnete sich die Tür. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Gavriel teilte Eliza über den Seelenbund mit: Ruhig atmen, Eliza. Ganz ruhig. Ihre hektische Atmung beruhigte sich ein wenig, doch die Aufregung ließ nicht nach. Und dann stand die Tür offen. Eliza sackte in sich zusammen. In der Tür stand nicht ihr Vater. Der Mann, den sie nicht kannte, starrte sie mit unverhohlener Neugier an. Er versuchte nicht einmal zu verbergen, dass er so etwas wie sie noch nie gesehen hatte. Eliza schluckte und wandte den Blick ab, enttäuscht ohne Ende. „Wir hätten nicht herkommen sollen, Gavriel", murmelte sie niedergeschlagen.

Ohne den Blick von ihr abzuwenden, brüllte der Mann: „Will! Will! Komm schnell! Das musst du dir ansehen!" Neue Hoffnung erblühte in Elizas Brust. Will. Das war der Name ihres Vaters. Eigentlich wohl William, aber niemand hatte ihn je so angesprochen, deswegen hatte sie schon fast vergessen, dass Will nur eine Kurzform war. Sie minderte den Druck um Gavriels Hand. Erneut war das Geräusch von herannahenden Schritten zu hören. „Was ist denn, Rae?" Eliza schloss vor Erleichterung die Augen, denn sie hatte sie erkannt: Die Stimme ihres Vaters. Er war ganz nah. Der Mann, der wohl Rae sein musste, presste fest die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Er murmelte: „Unmöglich..." Er trat einen Schritt beiseite, als Will schließlich bei der Tür ankam. Er machte einen Schritt vorwärts und schnappte dann nach Luft. Er griff sich an die Brust und taumelte wieder einen Schritt rückwärts.

Elizas Herz hüpfte vor Freude auf und ab. Das war ihr Vater, er lebte, er lebte und sah gesund aus und... „Mein Mädchen", brachte Will Ashryver schließlich hervor und machte ein paar Schritte auf seine Tochter zu. „Eliza. Du bist es wirklich... Wie? Wie?" Er schlang seine Arme um sie und drückte sie fest an sich. Sein Herz klopfte schnell und laut und wild. Eliza erwiderte die Umarmung. „Eliza...", murmelte ihr Vater wieder und wieder. „Papa..." Gavriel und dieser Mann namens Rae beobachteten die Szene. „Ich verstehe die Welt nicht mehr, Eliza... Gestern noch habe ich Blumen an die Gedenkstätte gelegt, die ich für dich in unserem Garten errichtet habe... Und jetzt... Jetzt..." Ihr Vater hatte eine Gedenkstätte für sie errichtet. Dieser Gedanke machte Eliza das Herz schwer. „Jetzt bin ich hier", beendete Eliza seinen Satz. „Du bist echt... Und du bist ein Engel... Und eine Fae... Und du lebst..." „Ja, Vater. Du hast recht." „Ich, ich dachte, das Glück hätte mich schon lange verlassen. Aber... Wie es aussieht, bin ich ihm doch noch nicht egal." Er atmete zitternd aus und brachte eine Art Lächeln zustande, doch man sah ihm an, wie sehr ihn diese Situation verwirrte.

Will wandte den Blick kurz von seiner Tochter - Ziehtochter, wenn man es recht bedachte - ab und sah stattdessen den Mann an, mit dem sie gekommen war. Er stand dicht neben Eliza und eben hatte er Elizas Hand gehalten, das hatte er gesehen. Will verengte die Augen zu Schlitzen. Der Mann war ein Fae, und Will hatte da so eine Ahnung... „Du bist dieser...", er rümpfte die Nase und spie den Namen förmlich aus, „Gavriel, richtig?" Gavriel nickte. „Ja, der bin ich." Es überraschte ihn nicht, dass man ihm hier nicht mit Wärme und Freundlichkeit begegnete - bei dem, was er Will Ashryvers Tochter alles angetan hatte. „Aha", gab dieser nur zurück. Das Missfallen in seinem Blick war nicht zu übersehen.

The Lion and his Angel - Throne of Glass FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt