Kapitel 7 - Das Schlachtfeld namens Singlemarkt

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"Ich beiß mir an ihm echt die Zähne aus", beschwerte sich Constance bei mir, als sie ihren Urlaubsantrag einreichte. Mit einer Pobacke setzte sie sich auf meinen Schreibtisch, als wäre es ein Barhocker.

"Was hast du denn gemacht, um ihn für dich zu gewinnen?", erkundigte ich mich.

Sie lächelte mich schief an. Wollte ich wirklich wissen, mit welchen Methoden sie versuchte Herr Wagens für sich zu gewinnen?

"ich habe - nur mit einem Handtuch bekleidet - in die Männerumkleide hereingelugt und gefragt, ob mir jemand Shampoo leider kann, weil meins alle ist. Er war der einzige im Raum - was ich natürlich wusste - und hat mir wortlos sein Shampoo gereicht und gemeint 'Können Sie behalten'. Das war es. Kein Augenzwinkern, kein charmantes Lächeln. Einfach nichts. Nicht einmal ein Blick in mein Dekolletee."

Constance war eine Augenweide und für gewöhnlich waren ihr die Blicke der Männer sicher. Sie hatte die wahnsinnig schöne karamellfarbene Lockenmähne, die sie aussehen ließ, wie eine richtige Löwin. Im Gegensatz zu meinen Locken fielen ihre jedoch in großen Wellen seidig über ihre Schultern. Doch sie war keineswegs ein süßes Püppchen. Wenn Constance auf Streife war, hatten die Schwerverbrecher mehr Angst vor ihr, als vor den männlichen Kollegen. Sie war eine Frau, die in jeglicher Hinsicht stark war. Sie wusste genau, was sie im Leben wollte und ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Zudem konnte war sie ein wahres Kraftpaket, denn unter ihrem Shirt zeichneten sich klar ihre Bauchmuskeln ab und die Arme waren die definiertesten auf dieser Wache. Ihr Körper war das Ergebnis von harter Arbeit.

"Du bist einfach in die Umkleide gegangen?", hakte ich irritiert nach.
Herr Wagens hätte nackt sein können. Jeder wusste, dass er bei gutem Wetter mit dem Fahrrad zur Arbeit kam und sich erst auf der Wache in seine enge Stoffhose und das glatt gebügeltes Hemd warf. Wenn er die Umkleide verließ, war er stets gefolgt von einer Parfumwolke, die einem die Sinne vernebelte.

"Nein, natürlich nicht. Ich habe geklopft. Ich bin vielleicht dreist, aber ich respektiere durchaus die Intimsphäre anderer. Aber er hat nicht ein einziges Mal auf meinen Körper gesehen."

"Vielleicht ist er ein treuer Ehemann oder steht gar nicht auf Frauen."

Sie schüttelte den Kopf.

"Er trägt keinen Ring und Mandy von der Wache 41 meinte, dass er mal mit einer Krankenschwester zusammen war. Aber das ist wohl schon eine Weile her. Sie kannten sich noch aus Schulzeiten und haben sich nach 15 Jahren Beziehung getrennt."

Ich verzog das mitleidig Gesicht.

"Nach 15 Jahren? Das ist bitter."

"Ja, überleg dir das mal. Du bist 15 Jahre in einer Beziehung und plötzlich findest du dich auf dem Schlachtfeld namens Singlemarkt wieder. Vor allem, haben die wahrscheinlich auch vor ihrer Beziehung nicht viel Erfahrung gesammelt. Die waren ja noch Teenager. Die fangen im Prinzip bei Null an. Ich glaube, das ist echt nicht einfach, aber ich würde ihm ja gern helfen, seine Erfahrung mit Frauen auszubauen. Er muss es nur zulassen."

Es war schon erstaunlich, wie falsch man manche Menschen auf den ersten Blick einschätzen konnte. Ich hätte Erik Wagens als jemanden eingeschätzt, der einmal mit dem Finger schnipste und schon lagen ihm die Frauen zu füßen. Er war nicht nur gutaussehend, sondern vor allem charmant. Insbesondere letzteres machte ihn für viele unwiderstehlich. Denn ein Mann mit Humor und Selbstironie war doch der Traum einer jeden Frau. Machotypen machen einen auf Dauer nicht glücklich. Diese Erkenntnis hatte mich leider viele Jahre meines Lebens gekostet.

"Versuch es einfach weiter. Vielleicht springt er irgendwann ja doch noch mal auf deine Flirtversuche an."

Sie zuckte locker mit einer Schulter.

"Und selbst wenn nicht: Es gibt noch genügend andere attraktive Männer auf dieser Welt. Wie sieht es eigentlich bei dir aus? Hast du mittlerweile jemanden gefunden, der die große Liebe sein könnte?"

Ich dachte daran, wie ich heute Morgen hinter den Pflanzenkübel des Zitronenbaumes geschaut hatte. Natürlich hatte dort kein Brief gelegen, was aber auch daran lag, dass ich mein Schreiben erst letzte Nacht hektisch auf die Türmatte hatte fallen lassen.

"Ich habe heute nach der Arbeit ein Date", verkündete ich und hoffte, dass man mir die Angst in meiner Stimme nicht anhören konnte.

"Eine Date?", wiederholte Constance und zog die Augenbrauen freudig hoch. "Ah! Deshalb hast du heute auch ein Kleid an und Concealer unter den Augen! Ich habe mich schon gewundert und dachte, das wäre eine Folge deiner 30er-Krise. Aber das ist doch großartig, dass endlich anfängst zu daten! Woher kennst du ihn?"

Beschämt mied ich den Blickkontakt. Noch immer fiel es mir schwer mir einzugestehen, dass ich die Hilfe von Apps benötigte. Die Zeiten, in denen man seinen Partner in einer Bar kennenlernte, waren vorbei.

"Einschlägige Dating-App", murmelte ich.

"Ist doch nicht schlimm", sagte Constance sofort und tätschelte mit ihren zarten Händen, die zu ihrem athletischen Körper nicht so richtig passen wollten, meine Schulter. "Dating-Apps sind die beste Erfindung des Jahrhunderts! Es war noch nie einfacher gewesen, Männer kennenzulernen. Ich finde es wirklich toll, dass du dich endlich traust."

Sie tat so als wäre ich 7 Jahre alt und hätte das erste Mal im Supermarkt etwas allein an der Kasse gekauft.

"Mal schauen, wie es wird."

"Wie heißt er denn? Was macht er so? Trefft ihr euch auf einen Kaffee?", bombardierte sie mich mit Fragen.

"Er heißt Jonathan, ist 31, Immobilienmakler und hat einen Hund. Wir treffen uns zum Spazieren unten am Fluss. Wenn es gut läuft, springt am Ende vielleicht noch ein Kaffee dabei raus."

Man sah Constance an, wie sehr sie sich für mich freute. Wir waren keine Freundinnen, denn wir hatten uns noch nie privat getroffen. Doch wenn man uns auf Arbeit so reden hörte, könnte man meinen, dass wir uns enger waren als Zwillingsschwestern. Auch wenn wir grundverschieden waren, hatte uns die Tatsache, dass wir hier die einzigen Frauen waren, stark zusammengeschweißt. Deshalb wusste sie natürlich auch um meine verzweifelte Suche nach der Liebe meines Lebens.

"Halt mich auf dem Laufenden! Ich will danach einen ausführlichen Bericht haben, wie es gelaufen ist!"

Gequält nickte ich.

Dann schwang die Tür auf und Erik Wagens trat in den Raum. Seine Ärmel waren hochgekrempelt, sodass man seine muskulösen Unterarme sehen konnte. Er lächelte uns beide höflich an. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ihm nicht bewusst war, wie gut er aussah.

"Tut mir leid, dass ich Sie unterbrechen muss, aber ich müsste mit Frau Müller kurz einen Vorgang besprechen."
Damit war Constance gemeint. Ich sah im Augenwinkel, wie sie schon wieder auf Beutezug ging. Als er voranging, wanderte ihr Blick auf sein durchtrainiertes Gesäß.

Ich hoffte derweil innig, dass ich heute Abend einen Brief hinter Blumenkübel finden würde. Doch erst musste ich dieses Date überstehen, von dem ich nicht einmal wusste, warum ich mich darauf eingelassen hatte.

Es würde mich wieder viel Anlauf kosten, um über meinen Schatten zu springen und außerhalb meiner Komfortzone zu landen. Doch vielleicht gab es im Sonnenlicht ja den Mann, den ich schon mein ganzes Leben lang suchte. 

Letters from a StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt