Kapitel 27 - Katastrophen

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"Frau Maguschka, was ist denn mit meiner Pflanze passiert, während ich nicht da war?"

Herr Wagens kam in mein Büro und hielt einen vertrockneten Kaktus hoch.

"Oh", sagte ich. "Das tut mir leid. Ich dachte, Andy kümmert sich darum."

"Offensichtlich nicht", brummte er. "Sie hätten sich absprechen sollen! Den kann ich jetzt nämlich nur noch entsorgen!"

Er war sichtlich getroffen.
"Tut mir wirklich leid", stammelte ich. Ich verstand seine Wut nicht ganz. Es war zwar schade, um den Kaktus, aber der hatte vermutlich keine 10 Euro gekostet. "Wenn Sie wollen, kaufe ich Ihnen einen neuen."

Er schüttelte noch immer sauer den Kopf. Noch nie zuvor hatte ich ihn so erlebt. Ich wusste nicht so recht, wie ich damit umgehen sollte.

"Nein, es ging mir speziell um diesen Kaktus. Mein Vater hat ihn mir geschenkt."

Ich schluckte schwer.

Diese Tatsache erklärte einiges.

"Das wusste ich nicht. Es tut mir wirklich leid, aber ich kann jetzt leider auch nicht mehr viel machen."

Er sagte draufhin nichts mehr, sondern verließ grummelnd den Raum.

Noch nie zuvor hatte ich ihn so erlebt. Sonst war er immer beherrscht, höflich und professionell, doch die letzten Monate hatten ganz offensichtlich Spuren hinterlassen.

Ich nahm mir vor in der Mittagspause ins Gartencenter zu gehen, um ihm einen neuen Kaktus zu kaufen. Ich wusste natürlich, dass es den von seinem Vater nicht ersetzen würde, doch vielleicht erinnerte es ihn trotzdem an seinen Vater.

"Na, wie war deine Nacht mit Filip?", fragte Constance, als sie ins Büro kam. "Habt ihr es endlich getan?"

"Du weißt, dass ich darüber nicht spreche", wies ich sie ab.

Dafür hatte ich Wilma. Mit ihr besprach ich die intimen Details. Seitdem sie schwanger war, hatte die Anzahl unserer Treffen jedoch deutlich abgenommen. Manchmal erwischte ich mich sogar dabei, wie ich mit mit selbst sprach, um Dinge auszuwerten.

Dann sah Constance, dass am Kleiderständer ein Sacko hing. Nicht irgendein Sacko, sondern das von Herr Wagens.

"Ist er wieder zurück?", fragte sie mit großen Augen.

"Ja, aber er ist noch nicht ganz der alte. Fass ihn lieber mit Samthandschuhen an", warnte ich sie.

"Na ja, er hat ja auch viel durchgemacht", zeigte sie Mitgefühl. Es hatte sich herumgesprochen, dass sein Vater gestorben war. "Aber er wird keinen guten Start haben. Hast du gehört, was gestern bei dem Einsatz am Hauptbahnhof passiert ist?"

Stirnrunzelnd sah ich sie an.
"Nein, was denn?"

"Frank hat einen Schuss abgegeben, weil er ein Junkie ihn mit einem Messer angreifen wollte. Er hat getroffen, jedoch nicht den Junkie sondern eine Mitarbeiterin von McDonalds, die nur ein paar Meter dahinter stand."

"Oh Gott! Geht es ihr gut?"
"Ja, ja. Es war ein Streifschuss am Bein. Sie ist schon wieder aus dem Krankenhaus raus, aber die Presse reißt sich um diese Geschichte."

Ich seufzte laut.

"Das ist echt Mist. Wie geht es Frank?"

"Nicht gut! Er macht sich Vorwürfe."

Die Tür schwang auf und ich konnte Herr Wagens Gesicht ansehen, dass er soeben die Nachricht erhalten hatte.

Er machte eine Handbewegung in Richtung Constance.
"Sie waren auch dabei?", fragte er, schien die Antwort jedoch schon zu kennen. Constance nickte. "Mitkommen! Ich möchte, dass Sie mir alles im Detail erzählen. Das ist eine Katastrophe!"

Letters from a StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt