Kapitel 5 - Die böse 30

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"Happy Birthday to you, Happy Birthday to you! Happy Birthday, liebe Lotta! Happy Birthday to you."

Mit frisch aufgespritzter Stirn stand ich vor meiner Familie, die mir ein Ständchen an meinem persönlichen Tag des Grauens sang. Sie standen aufgereiht vor meiner Wohnungstür und waren bewaffnet mit Ballons, Blumen und Geschenken. Mein Vater hatte sich extra seine Geburtstagskrawatte angelegt und meine Mutter hatte sich offenbar die Nacht über mit Lockenwicklern im Haar gequält, um heute mit voluminösen Haar hier zu erscheinen.

"Alles Gute mein Schatz!", nuschelte sie mir ins Ohr und umarmte mich fest. Ihr Parfum war wie immer blumig und kräftig. "Ich wünsche dir alles erdenklich Gute. Ganz viel Gesundheit, einen netten Mann und vielleicht gibt es ja auch noch ein paar Enkelkinder für mich."

Vielen Dank, Mutter, dass du den Druck noch erhöhst. Da mein Bruder zwar glücklich verheiratet war, mit seinem Mann jedoch keine Kinder plante, lagen alle Hoffnung auf mir.

Mein Papa verhielt sich diesbezüglich glücklicherweise deutlich dezenter und sagte lediglich: "Ich wünsche dir alles Glück der Welt und hoffe, dass deine Träume in Erfüllung gehen!" Er gab mir einen Schmatzer auf die Wange und sein Schnauzer kratzte auf meiner Haut. Von ihm hatte ich auch meine Lockenpracht geerbt. Und selbst meine Kurven musste von der väterlichen Familie kommen, denn meine Mutter hatte die Rundungen eines Spargels. Leider hatte ich meine Großeltern nie kennenlernen können. Meine Eltern hatten mich erst spät bekommen und so waren bereits alle bei meiner Geburt verstorben.

Mein Bruder klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter und sagte: "Willkommen im Club der Alten."

Die fehlende Sensibilität hatte er von unserer Mutter vererbt.

Sein Mann Alex, der eigentlich viel zu gut für meinen Bruder war, nahm mich herzlich in die Arme. Er war der einzige, der mein Leben wertungslos tolerierte und dafür war ich ihm sehr dankbar.

"Du wirst mit jedem Mal hübscher", ließ er mich wissen. Ich schmunzelte und fragte mich, ob ich dieses Kompliment meiner Botoxspritze zu verdanken hatte. "Und deine Wohnung ist auch ein wahres Kunstwerk! Ich wünschte dein Bruder hätte auch diesen Sinn für Ästhetik oder zumindest für Ordnung!" Er schielte zu seinem Mann herüber, der ihn jedoch bewusst zu ignorieren schien.

Nachdem alle ihre Schuhe vollkommen willkürlich in den Flur gestellt hatten, trieb ich mein Familienrudel in mein Wohnungzimmer, wo Mama meine Geschenke auf der Anrichte platzierte. Ich holte derweil eine Schokosahne-Torte aus dem Kühlschrank, die Alex zuliebe frei von Gluten war und mir beziehungsweise vor allem den Tieren und der Natur zuliebe frei von tierischen Produkten.

Ich konnte jetzt schon darauf warten, dass meine Mutter bemängeln würde, dass es mit echter Sahne noch cremiger geworden wäre, auch wenn ich genau wusste, dass es ihr niemals aufgefallen wäre, wenn sie nicht gewusst hätte, dass die Torte vegan war.

"Was ist das denn?", fragte meine Mutter plötzlich und ging zum angekippten Fenster.

Meine Mundwinkel zogen sich nach oben und ich freute mich, dass der geheimnisvolle Unbekannte mir ein Ständchen sang. Natürlich war es kein Geburtstagslied, da er mich nicht kannte und schon gar nicht wusste, dass ich heute Geburtstag hatte, doch immerhin hatte er heute Girls just wanna have fun ausgewählt.

"Singt da drüben einer?", fragte meiner Vater, der ebenfalls neugierig geworden war.

"Ja, vor ein paar Wochen ist dort ein neuer Nachbar eingezogen, der es liebt beim Duschen zu 80er-Hits zu singen."

"Das ist ja der Hammer", sagte mein Bruder. "Und er singt gar nicht mal so schief."

"Ja, es versüßt mir immer den Tag, wenn ich ihn höre."

Letters from a StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt