Kapitel 25 - Verzweiflung

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Es vergingen Wochen.

Aus Wochen wurden Monate.

Doch Herr Wagens kam nicht zurück.

Niemand wusste etwas. Selbst Andy hatte keine genaueren Informationen.

Es war mittlerweile Oktober. Die Welt war grau geworden. Regen prasselten auf den Beton und die meisten Bäume hatten ihr prächtiges Blätterkleid bereits verloren.

Ich fühlte mich ebenfalls grau. Mein Leben war geprägt von Monotonie. Ich hatte die ganze Zeit gehofft, dass er wiederkomme würde und wir zumindest unser Treffen nachholen könnten, doch er reagierte nicht einmal mehr auf meine Nachrichten.

Er war vollkommen aus meinem Leben verschwunden.

Also hatte ich beschlossen weiterzuziehen. Und zwar proaktiv. Ich hatte Anfang Oktober angefangen wieder zu daten. Filip hatte sich als netter Zeitgenosse herausgestellt. Er war nicht mein Traummann. Doch immerhin war es nett mit ihm zu reden, mehr aber auch nicht. Und trotzdem hatte ich heute beschlossen, mit ihm zu schlafen. Ich konnte nicht weiterhin auf der Stelle treten. Ich musste irgendwie vorankommen.

Erst gestern Abend war mir wieder bewusst geworden, wie verzweifelt ich war. Denn als ich nachts im Bett gelegen hatte, war mir tatsächlich der Gedanke gekommen, ob ich die Pille einfach absetzen sollte ohne Filip Bescheid zu sagen. Einfach nur, um eine Chance zu haben jemals noch Mutter zu sein. Natürlich war das doof und ich hatte mich schnell für diesen Gedanken geschämt. Zudem wollte ich keine alleinerziehende Mutter sein. Ich wollte eine richtige Familie haben.

"Gut siehst du aus", ließ er mich wissen, als er mir die Tür öffnete. "Komm doch rein!"

Ich wollte es einfach hinter mich bringen. Es würde mir ganz gut tun mal wieder Sex zu haben. Vielleicht platzte dann der Knoten, der schon viel zu lange gespannt war. Ich erhoffte mir, dass ich vielleicht entspannter und offener auf Männer zugehen konnte.

Ich betrat seine Wohnung.

Sie roch nach Hund und Lasagne. Die Schuhe stapelten sich im Flur übereinander und ein neuer Anstrich wäre schon vor Jahren nötig gewesen.

Er nahm mir meine Jacke ab und legte sie auf einer eh schon überfüllten Kommode ab.

"Die Lasagne wartet schon", ließ er mich wissen und leitete mich in die Küche.

Dort herrschte das reinste Chaos. Das Dreckige Geschirr staplete sich gut einen halben Meter hoch. Es war fast schon beeindruckend künstlerisch.

Filip öffnete den Ofen und zog den duftenden Nudelauflauf aus dem Ofen. Immer schien er gut kochen zu können.

"Riecht gut", ließ ich ihn wissen und sofort sah ich den Stolz auf seinen schmalen Lippen.

Filip war ein großer schlaksiger Mann mit abstehenden Ohren und lichtem Haar. Doch er konnte auch witzig sein und war immer höflich. Er war ein guter Mann, aber für mich zu langweilig und gleichzeitig zu chaotisch. Leider war Nett-Sein eben doch nicht alles, was zählte.

Wir ließen uns im Wohnzimmer nieder. Er zündete ein paar Kerzen an, die einen künstlichen Zimt-Duft verbreiteten. Meinung nach nicht unbedingt die beste Wahl, die er beim Kauf dieses Produktes getätigt hatte.

Er goss uns Rotwein ein. Sofort nahm ich einen großen Schluck. Ihm entging das nicht und er lächelte mich nur schief an.

Wir unterhielten uns nett, doch ich kam mit ihm nicht auf die emotionale Ebene, auf der ich mit Erik Wagens kommuniziert hatte. Ich fragte mich, ob ich jemals über ihn hinwegkommen würde. EIn Anbetracht der Tatsache, dass wir uns nie näher gekommen waren, war es schon erstaunlich wie lange ich ihm noch hinterher trauerte.

Ich spürte, wie ich mich immer mehr verspannte. Ich aß bewusst langsam, denn ich hatte ein wenig Angst vor engen Körperkontakt. Das letzte Mal Sex hatte ich vor Jahren und die Erinnerungen daran waren entsprechend getrübt. Ich brauchte wieder Übung und genau deshalb war ich hier. Ein paar Praxisstunden konnten nicht Schaden.

Schließlich saßen wir mit einem Glas Rotwein auf der Couch. Er ließ seine Hand über meinen Oberschenkel fahren. Ich zwang mir ein Lächeln auf.

Ich sollte es einfach tun und nicht so viel darüber nachdenken. Es war nur Sex. Millionen Menschen hatten jeden Tag Sex. Es war keine große Sache.

Ich ließ mich auf seine Zuneigungen ein, auch wenn ich dabei nichts spürte. Ich fühlte mich leer und meine Bewegungen waren mechanisch. Ich schaffte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Mit den Gedanken war ich eh ganz woanders.

Ich fragte mich, ob ich erbärmlich war, weil ich mich aus Verzweiflung auf einen Mann einließ, den ich nicht attraktiv fand. Ich hatte Sex mit jemandem, obwohl ich kein Spaß dabei hatte.

Ich ließ es mehr über mich ergehen, als dass ich aktiv daran teilnahm. Ich gab mein Bestes, um vorzugeben, dass es mir gefiel, doch ich bezweifelte, dass Filip mir es abnahm. Ich gab keinen Laut von mir und mein Körper bewegte sich nicht mehr als er musste.

Ich würde definitiv als seine schlechteste Sexualpartnerin in die Geschichte eingehen. Vermutlich würde er am Stammtisch über mich und meine Passivität herziehen. Doch es war mir egal, denn ich hatte nicht vor, ihn je wiederzusehen.

"Willst du über Nacht bleiben?", fragte er mich, als wir nebeneinander im Bett lagen. Er streichelte mir mit seinen rauen Fingern über meinen Oberarm.

Ich wollte einfach nur in die Nacht rennen. Weg von ihm und dieser fürchterlichen Wohnung.

Dieser Sex hatte nichts verändert. Ich hatte mir erhofft, dass ich danach entspannter wäre oder weniger gehemmt. Doch dem war nicht so.

"Ja", antwortete ich und wusste nicht einmal warum.

Ich drehte mich auf die Seite, sodass ihm der Rücken zugewandt war. Ich wollte einfach nur noch schlafen. 

Letters from a StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt