Kapitel 31 - Du verstehst das nicht

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Ich hatte mich an ihn gekuschelt, als wir auf seiner Couch im Wohnzimmer saßen und den letzten Tropfen Rotwein soeben geleert hatten. Der Regen peitschte gegen die Scheibe und perlte dann an diesem ab. Es ging langsam auf die Weihnachtszeit zu, doch es war noch zu früh zum Schmücken und so war der Blick aus dem Fenster ein sehr trister. Der Himmel bot alle Grau-Nuancen, die man sich vorstellen konnte.

Erik streichelte mir über den Arm. Wir hatten bisher noch nicht genau definiert, was wir waren, doch nach meinem Verständnis konnte man das, was wir führten, durchaus Beziehung nennen. Ich schlief eigentlich gar nicht mehr allein in einem Bett. Entweder waren wir bei ihm oder er bei mir.

"Sag mal, wie würdest du das beschreiben, was zwischen uns ist?", sprach ich meine Gedanken schließlich aus. Schon viel zu lange haderte ich damit, es endlich anzusprechen.

Er seufzte.

Verstohlen sah ich ihn an. Das war seine Reaktion? Ein Seufzen?

Nun wurde ich doch etwas nervös.

"Ist es wegen der Arbeit? Weil du nicht willst, dass es jeder weiß?", fragte ich, als er zu lange zögerte.

Noch immer hielten wir es geheim. Wir hielten uns nur äußert selten in der Öffentlichkeit auf, aus Angst, dass uns jemand sehen könnte.

"Nein, das hat damit nichts zu tun. Ich wollte dir eh anbieten die Stelle zu wechseln", ließ er mich fast beiläufig wissen. Dabei war das alles andere, als eine Nebensache.

Ich richtete mich auf und sah ihn an.

"Was meinst du?"

"Ich wollte dir die Stelle sogar schon anbieten, bevor ich wusste, dass du meine geheime Brieffreundin bist. Ich sehe doch, dass du komplett unterfordert bist und viel mehr drauf hast. Du bist mit deiner Arbeit nicht glücklich. Das weiß jeder bei uns auf der Wache. Deshalb habe ich mich ein wenig umgehört und es wird bald eine Stelle im Präsidium frei. Ich denke, dass es dir dort gut gefallen wird. Das Team ist total nett und die Arbeit ist abwechslungsreich. Ich kenne dort ein paar Leute, die mir vertrauen. Und wenn ich sage, dass ich eine gute Mitarbeiterin für die offene Stelle habe, würden sie dich sicher nehmen. Aber wie gesagt: Das hat nichts mit uns zu tun. Ich dachte nur, dass es deine Karriere ein bisschen pushen würde. Du kannst natürlich auch bei mir auf der Wache bleiben, wenn dir das besser gefällt."

Er war immer wieder für Überraschungen gut.

"Ähm, wow.... Warum hast du mir davon nichts erzählt?"

"Es war nicht ganz klar, ob die Stelle wirklich frei wird. Gestern habe ich die Bestätigung bekommen und wollte es dir am Montag offiziell sagen."

Das war genial, denn in meinem jetzigen Job verdummte ich mit jedem Tag ein Stück mehr.

"Danke! Ich meine, das wäre perfekt. Ich bin wirklich nicht so glücklich mit meiner Position "und für uns beide macht es das auch einfacher... oder?", fragend sah ich ihn an, denn er hatte mir noch immer nicht gesagt, wie er das zwischen uns einordnete.

"Ja", antwortete er knapp.

"'Ja' heißt, dass wir in einer Beziehung sind?", hakte ich sicherheitshalber noch einmal nach.

Wieder seufzte er.

Er mied meinen Blick und sah aus dem Fenster. Etwas stimmte nicht. Das spürte ich.

"Erik, was ist los?", bohrte ich nun und sah in sein bekümmertes Gesicht. "Ich dachte, es läuft gut zwischen uns."

Brach nun doch alles schon zusammen, bevor es überhaupt angefangen hatte?

"Tut es auch", sagte er durchaus glaubhaft.

"Aber?"

Sein Körper spannte sich sichtlich an. Was hatte das zu bedeuten?

"Erik, du kannst doch mit mir über alles sprechen."

Hatte er Tränen in den Augen?

"Es ist nicht so einfach", begann er und spielte nervös mit seinen Fingern. "Ich glaube einfach, dass ich nicht der Richtige für dich bin."

Wie kam er denn auf diesen absurden Gedanken?

"Erik, du bist alles, was ich mir jemals gewünscht habe. Für mich bist du genau der Richtige! Oder meinst du eher, dass ich nicht die Richtige für dich bin?"

Er schüttelte den Kopf.

"Nein, nein. Es liegt wirklich nicht an dir."

Ich schüttelte unverständlich den Kopf.

"Was ist es dann? Bitte erkläre es mir!"

Er presste seine Lippen zusammen und schien mit sich selbst zu ringen.

"Ich habe einfach nicht das Gefühl, dass ich dir gerecht werden kann. Ich denke nicht, dass du mit mir glücklich werden kannst."

Das war doch absurd. Wie kam er auf so einen Gedanken? Ich schüttelte heftig den Kopf.

"Wie kommst du darauf? Ich bin sehr glücklich mit dir", versicherte ich ihm erneut.

"Du verstehst das nicht."

"Dann erkläre es mir bitte!"
Er seufzte wieder, sah mich an, dann aus dem Fenster und dann zu Boden. Schließlich stand er auf.

"Es ist besser, wenn ich jetzt gehe."

Ich packte ihm am Handgelenk. Er konnte jetzt nicht einfach so gehen und mich dem Chaos in meinem Kopf zurücklassen.

"Erik, bitte bleib' hier!"
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn.

"Nicht heute", war alles, was er sagte. Er sagte es liebevoll und trotzdem bestimmt.

Erik befreite sich sanft aus meinem Griff und verließ dann die Wohnung.

Ich bezweifelte, dass er auch nur erahnen konnte, was er für ein Schlachtfeld von Gefühlen hinter sich ließ.

Letters from a StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt