Kapitel 19 - Keine große Sache für das Universum

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"Das ist, was Männer wollen", sagte Jens mit seiner tiefen Stimme, als er in den Innenhof trat und das Fleisch auf dem Grill sah.

Herr Wagens hatte sich selbst zum Grillmeister ernannt und nach und nach trudelten die Kollegen ein. Selbst Andy, unser ehemaliger Chef, war gekommen.

Den Gesichtern meiner Kollegen sah ich an, dass Herr Wagens sich langsam als neuer Chef etabliert hatte, was jedoch weniger mit seiner Qualifikation zu tun hatte, sondern mehr mit dem, was er alles aufgetischt hatte. Steaks, Würste, Knoblauchbrot, Salate, Kuchen und weil er wusste, dass ich keine tierischen Produkte aß, hatte er sogar für ausreichend vegane Alternativen gesorgt.

"Erik, hast du das alles selbst gemacht?", fragte Andy neugierig, als er Herr Wagens über die Schulter sah. Dieser lächelte und schüttelte den Kopf.

"Nein, ich bin ein miserabler Koch. Aber es gibt dafür umso bessere Catering-Firmen."

Andy lachte laut auf und klopfte seinen Nachfolger auf die Schulter.

"Keine Frau in Aussicht, die dir dabei helfen kann?"

Gebannt sah ich ihn an.

"Es ist nicht einfach", sagte er und drehte dabei ein Steak um.

"Das hört sich aber schon so an, als gäbe es jemanden?", hakte Andy nach.

Herr Wagens zucke mit den Schultern.

"Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Es ist kompliziert."

Bei seinen Worten spannten sich meine Finger an, sodass die in Alufolie eingepackten Kartoffeln in meiner Hand knisterten. Beide sahen sich abrupt um und starrten mich an.

"Tut mir leid, ich wollte nicht stören", entschuldigte ich mich sofort. "Ich wollte nur die Kartoffeln bringen, damit wir sie in die Glut legen können."

"Oh natürlich", sagte Herr Wagens wieder deutlich gefasster und griff nach den Kartoffeln.

Es schien ihm unangenehm zu sein, dass ich das Gespräch mitgehört hatte. Schnell drehte er mir wieder den Rücken zu und widmete sich dem Grill.

Andy sah mich derweil eindringlich an. Er hatte schon immer eine ausgezeichnete Menschenkenntnis gehabt und ich fragte mich, ob er spüren konnte, dass zwischen mir und Herr Wagens eine gewisse Spannung bestand. Um ein weiteres unangenehmes Gespräch zu vermeiden, drehte ich mich um und ging zu dem Tisch, an dem auch Constance saß.

"Irgendetwas ist doch zwischen euch", murmelte sie so leise, sodass ich es nur hören konnte.

Ich biss von meinem Maiskolben ab, um nicht darauf antworten zu müssen.

"Man muss ihm wirklich lassen, dass er ein ausgezeichnet Grillmeister ist", mischte sich Jens ein und schob sich ein Stück Steak in den Mund. "Hätte ich ihm gar nicht zugetraut." Dann hielt er mir seinen Teller hin. "Willst du nicht wenigstens mal probieren? Es ist ganz zartes Fleisch."

Dankend lehnte ich ab.

"Mein Maiskolben ist auch lecker. Aber danke!"

Er verdrehte die Augen, sagte aber nichts weiter. Ein weiterer Kollege namens Robert gesellte sich zu uns und stellte jedem ein Bier hin.

"Dürfen wir überhaupt Alkohol trinken?", erkundigte sich Constance. "Auf dem Dienstgelände?"

"Solange du hier nach keinen Dienst mehr hast und nicht vorhast ins Auto zu steigen, dürfen wir. Der Chef hat es genehmigt."

Er öffnete uns die Flaschen und wir stießen auf den lauen Sommerabend sowie auf unseren neuen Chef an.

Je später es wurde, desto mehr Kollegen gesellten sich zu uns an den Tisch. Ich trank mehr, als mir gut tat. Doch es war einer dieser Moment, in dem ich meine Sorgen für einen Augenblick vergessen konnte. Ich realisiert mal wieder, dass ich viel zu selten unter Menschen war. Zwar traf ich mich wöchentlich mit Wilma und gelegentlich auch mal mit anderen Freundinnen, doch ich war nie von größeren Gruppen umgeben. Abgesehen von meiner Familie, die eher Probleme veranlasste, anstatt sie vergessen zu lassen.

Letters from a StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt