Kapitel 13 - Irrläufer

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Ich konnte es kaum erwarten heute nach Hause zu kommen und seinen Brief zu erhalten. Ich war so nahe dran ihn endlich kennenzulernen.

In meinem Kopf malte ich mir schon unser perfektes Date aus: Wir würden in einem schönen Restaurant essen, in dem es weiße Tischdecken und und Kellner mit Fliege gab. Im Anschluss würden wir einen Spaziergang über die Promenade machen, wo Lichterketten wir Sterne über uns leuchten würden. Und dann - unter der alten Weide - würden wir uns küssen.

Vielleicht war das die Geschichte, die ich unseren Kinder erzählen würde. Ich musste bei dem Gedanken daran schmunzeln. Leider war das zu schön um wahr zu sein. Dessen war ich mir bewusst.

Constance kam zu mir ins Büro. Seit dem Gespräch mit Herr Wagens hatte ich sie nicht mehr gesehen.

Sie ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. Es war das Ende ihrer Schicht und sie war bereits umgezogen. Ihr Ausschnitt reichte nicht nur bildlich gesprochen bis zum Bauchnabel sondern dieser Zustand entsprach auch der Realität.

"Erik Wagens ist ein wirklich harter Brocken", seufzte sie und spielte mit ihren karamellfarbenen Haaren. Immer wieder wickelte sie sich eine Locke um ihren Finger und ließ sie dann wieder fallen.

"Gib es auf", informierte ich sie. "Ich will meine Quellen nicht preisgeben, aber ich weiß, dass er nicht auf dich steht."
Sie richtete sich abrupt auf und saß plötzlich kerzengerade in ihrem Stuhl. Entsetzt sah sie mich an. Man könnte fast meinen, ich hätte ihr soeben eine Ohrfeige verpasst.

"Wie bitte? Wer sagt so etwas?"

Sie war Polizistin. Was hatte ich erwartet? Dass sie es ohne zu hinterfragen hinnehmen würde? Wohl kaum!

"Ich kann dir meine Quelle wirklich nicht nennen, aber es gibt keinen Zweifel."
Sie verschränkte die Arme und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

"Er hat dir das gesagt, habe ich Recht?"

Ich war so verdammt schlecht im Lügen. Ich verlor in diesem Prozess stets jegliche Kontrolle über meine Gesichtsmuskeln.

"Nein", versuchte ich es trotzdem. "Warum sollte er das tun?"

"Du lügst. Das weißt du und das weiß ich. Also sprich: Was hat er gesagt?"

Nun machte sich doch Wut in mir breit. Ich war sauer, weil Herr Wagens mich in etwas hineingezogen hatte, mit dem ich nichts zu tun hatte. Ich wollte nicht zwischen den beiden stehen.

"Er hat nur gefragt, ob du vorher auch schon leicht bekleidet in die Männerumkleide gegangen bist. Mehr nicht."
An ihrer Stelle wäre ich schon längst errötet, doch das war nicht ihre Art. Ihr Selbstbewusst bekam nicht mal einen Kratzer.

"Und das kann er mich nicht selber fragen?"

"Was weiß ich denn?", sagte ich nun ein wenig genervt, denn ich sollte diese Diskussion nicht austragen, sondern die beiden. "Tu bitte so, als hätte ich es dir nie gesagt. Es war ihm sichtlich unangenehm. Wenn du dir selbst einen Gefallen tun möchtest, dann such dir eine andere Herausforderung, aber an Herrn Wagens wirst du dir die Zähne ausbeißen."

Offensichtlich konnte Constance nicht so gut mit Körben umgehen, wie ich angenommen hatte. Vielleicht war Erik Wagens aber auch etwas besonderes für sie. Vielleicht hatte sie sich von ihm mehr erhofft, als nur eine leidenschaftliche Nacht.

"Das ist so unprofessionell! Unsere Männer haben doch recht. Er ist kein guter Chef! Er ist zu weichlich. Bis jetzt habe ich ihn immer verteidigt, aber damit ist jetzt Schluss. Ich will Herr Luschke wieder zurück und nicht diesen Weichling, der einer Frau nicht einmal ins Gesicht sagen kann, dass er kein Interesse hat."

Den gekränkten Stolz konnte man ihr vom Gesicht ablesen.

Da hatte ich ja etwas angerichtet.

"Frau Maguschka", ertönte plötzlich mein Name und Erik Wagens war aus dem Nichts in meinem Büro erschienen. Constanca und ich waren so abgelenkt gewesen, dass wir ihn nicht hatten kommen sehen. Ich konnte nur hoffen, dass er uns nicht gehört hatte. Zumindest tat er so, als wüsste er nicht, vorher wir vorher gesprochen hatten. "Könnten Sie bitte diese Briefe in Umschläge stecken und verschicken?" Er drückte mir einen Stapel Papier in die Hand. "Danke." Er schenkte mir ein kurzes, aber freundliches Lächeln.

Constance sah ihn jedoch mit bitterbösen Blick nach, als er das Zimmer wieder verließ. Ich sah derweil die Briefe kurz durch. Die meisten gingen an Gerichte oder Staatsanwälte. Doch dann war da ein Blatt, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das konnte nicht sein.

UNMÖGLICH!
Der Brief begann mit:


Hallo Unbekannte!

Ich las nicht weiter, auch wenn ich genau wusste, dass der Brief für mich war. Ich kannte diese Handschrift. Da war kein Zweifel.

Mein Herzschlag setzte aus und meine Hände begannen zu zittern.

Das konnte doch nicht wahr sein!

Nun kannte ich die Identität meines vermeintlichen Traummannes.

Er war der Duschsänger.

Er war mein Tagtraum der letzten Woche.

Erik Wagens hatte diese Briefe geschrieben! Mein Chef!

Er fühlte sich einsam? Er hatte ein leeres Leben?

Das konnte ich mir nicht vorstellen.

Was hatte das zu bedeuten? Wusste er, wer ich war? Hatte er mir den Brief mit Absicht gegeben? War es ein Versehen gewesen?

War er wirklich der, für den ich ihn hielt?

War alles ein riesiges Missverständnis? Eine Gedankenflut aus Verwirrung und Schock rollte durch meinen Kopf.

Schnellen Schrittes ging ich in sein Büro und beobachtete ganz genaue Reaktion als ich ihm das Blatt zeigt.

Er lief sofort hochrot an und ich wusste augenblicklich, dass es ein Versehen gewesen war. Ich hatte den Brief nicht sehen sollen. Reaktionsschnell schnappte er nach dem Blatt Papier.

"Haben Sie es gelesen?", fragte er forsch und schien offenbar zu versuchen seine Panik zu unterdrücken. Doch ich konnte sie in seinen Augen aufblitzen sehen.

Ich schüttelte den Kopf und versuchte mit großer Mühe meine Fassade aufrecht zu erhalten.
"Nein, da war keine Adresse drauf. Deshalb wollte ich nachfragen, wo es hingeschickt werden soll. Ich habe den Brief nicht gelesen."
Man sah ihm an, wie die Erleichterung durch seinen Körper fuhr. Seine Schultern entspannten sich ein wenig.

"Kein Problem, ich verschicke ihn selber. Danke trotzdem."

Ich sah ihn plötzlich mit anderen Augen und spürte, wie ich noch weiter in mein Loch der endlosen Verliebtheit fiel.

Er hatte diese wunderschönen blauen Augen, die mir plötzlich viel vertrauter vorkamen. Sie waren umrahmt von kleinen Lachfältchen. Die schönsten Falten, die man wohl haben könnte. Seine Augenbrauen waren dunkel und bildeten eine perfekte geschwungene Linie. Zudem hatte er einen sonnengeküssten Teint, den er sich vermutlich während der Hitzewelle der letzten Wochen zugelegt hatte. Und dann hatte er noch diese LIppen, die förmlich danach schrieben, geküsst zu werden.

"Ist noch etwas?", fragte er ein wenig irritiert, weil ich grundlos in der Tür stehen geblieben war.

Ich schüttelte den Kopf.

Innerlich kam in mir das Bedürfnis auf laut loszuweinen. Denn bei einem Mann wie ihm würde ich niemals eine Chance haben. Er spielte in Ligen, die für mich unerreichbar waren.

Ich drehte mich um und ging in mein tristes Büro zurück.

In den letzten Tagen war der Briefaustausch mit ihm mein Highlight des Tages gewesen. Zudem war es meine letzte realistische Hoffnung auf mein Lebensglück gewesen. Mein Bauchgefühl hatte mir gesagt, dass wirklich etwas daraus werden könnte. Doch nun wusste ich die Wahrheit und es war klar, dass daraus niemals etwas werden konnte. Herr Wagens würde niemals eine Frau wie mich attraktiv finden. Er konnte Supermodels haben und Fitnessbloggerin haben. Warum sollte er sich auf eine etwas unförmige Sekretärin einlassen?

Eine Träne entfloh aus meinem Augenwinkel. Schnell wischte ich sie weg. 

Letters from a StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt