Kapitel 24 - Er ist weg

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"Wo ist Herr Wagens?", fragte mich Constance, als sie zur mir in Büro kam.

Es hatte sich offenbar schon herumgesprochen, dass er heute nicht hier war.

"Privater Notfall. Er hat sich spontan 3 Wochen Urlaub genommen", informierte ich sie.

"3 Wochen? Ich dachte, wir sollen nicht mehr als 2 Wochen am Stück nehmen."

"Wie gesagt: Privater Notfall. Da ist eine Ausnahme wohl angebracht", erklärte ich ihr.

Sie verdrehte die Augen.
"Dann sage ich beim nächsten Mal auch einfach, dass es einen privaten Notfall gab."

Ich ging nicht weiter auf ihren Kommentar ein und widmete mich meiner Arbeit. Ich hatte schließlich mehr zu tun, da er nicht da war. Offiziell wusste niemand, was der private Notfall war. Ich hatte sie Information lediglich aus seines Nachricht, die er mir am Samstagnachmittag geschrieben hatte

Ich hörte schwere Schritte vom Gang und eine imposante Statur trat in den Raum.

"Andy", sagte ich verwundert. "Was machst du hier?"

Er lächelte mich an.

"Wie geht es dir, Lotta?", fragte er väterlich.

"Gut", antwortete ich automatisch. "Aber was tust du hier? Du solltest doch deine Rente genießen.

"Herr Wagens fällt länger aus. Sein Vater ist gestorben und seine Mutter ist pflegebedürftig. Er braucht ein paar Wochen, um das zu klären. Solange springe ich für ihn ein."

Diese Nachricht zu hören, brach mir das Herz. Ich konnte mir sein Leid kaum vorstellen. Sein Vater hatte nicht überlebt. Seltsamerweise war mir dieses Szenario bisher nicht in den Sinn gekommen. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie es sein würde, wenn mein eigener Vater sterben würde.

"Das ist ja schrecklich."
Andy nickte ernst.

"Ja, es ist furchtbar und genau deshalb tue ich mir das hier noch einmal an. Denn Erik muss schon genug durchmachen. Er soll sich zumindest die Zeit nehmen können, alles zu klären. Ein Elternteil zu verlieren ist schlimm. Insbesondere, weil es bei seinem Vater nicht zu erwarten war. Seine Mutter hat Krebs im Endstadium. Bei ihr war es zu erwarten, aber nicht beim Vater."

Andy erzählte Details, die er vermutlich besser für sich behalten sollte, da es sehr private Informationen waren. Trotzdem war ich für diese Information dankbar, denn es zeigte mir eine weitere Seite von Herr Wagens. Eine sehr verletzliche und intime. 

Gleichzeitig kam auch der Gedanke in mir auf, dass ich wieder Zeit verlieren würde. Ich musste wieder warten. Und so, wie es sich anhörte, war noch nicht einmal klar, wann er wiederkommen würde. Warum hatte ich es ihm nicht schon längst gesagt? 

Ich hatte das dringende Bedürfnis Erik zu sehen und ihn einfach nur in den Arm zu nehmen. Ich konnte nur hoffen, dass seine Schwester bei ihm war und sie sich gegenseitig unterstützen konnten. Niemand sollte so einen Schmerz allein ertragen müssen. 

Letters from a StrangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt