Zweifel & Bedürfnisse

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Endlich schläft Jonas. Ich musste ihn jetzt zwei Stunden durch die Wohnung tragen, weil er nur gequengelt hat. Ich wollte nur, dass er schläft. Das sollte für ein vier Monate altes Baby um 20 Uhr jetzt kein Problem sein. Er versteht leider noch nicht, dass es auch abends keine Milch mehr gibt. Also doch, aber aus dem Fläschchen. Ich stille seit fast einer Woche gar nicht mehr. Es tat einfach zu sehr weh und nach dem letzten Milchstau hat auch meine Hebamme mir dazu geraten. Schade ist es trotzdem und wir vermissen es beide, aber leider geht es eben nicht mehr.
Jetzt liegt der Kleine zufrieden in seinem Bettchen. Ich nehme das Babyphon mit ins Wohnzimmer, wo Mark auf dem Sofa sitzt und Fußball schaut. „ Schläft er jetzt?", fragt Mark. Ich setze mich zu ihm und nicke. „ Gut. Dann ruh du dich jetzt auch aus", sagt er und küsst mich sanft. Ich erwidere den Kuss und versuche ihn zu vertiefen, aber Mark macht nicht mit. Ich lege mich neben ihn und platziere meinen Kopf auf seiner Brust. Er legt einen Arm um mich und streichelt meinen Rücken. Ich seufze leise und wieder kommt etwas in mir hoch, das ich schon seit Tagen spüren. Ich streichle sanft über Marks Brust und dränge mich näher an ihn. Er ist ziemlich auf das Fußballspiel konzentriert und bemerkt wohl nicht, was ich eigentlich möchte. Ich lege mein Bein über seine Hüfte und küsse sanft seinen Hals. Er schaut mich erstaunt an und murmelt:„ Lena, nicht. Du bist noch nicht soweit. Das kann noch warten." Ich seufze. Er meint das gut, will meinen Körper schonen, aber ich bin soweit. Mark konzentriert sich wieder auf das Fußballspiel. „ Ich...bin müde. Ich mache mich fertig und lege mich dann hin", sage ich leise und stehe auf. Mark entgegnet:„ Mach das. Du siehst wirklich müde aus."
Ich gehe ins Bad und schminke mich ab. Ich habe noch immer tiefe Augenringe, die die kurzen Nächte der letzten Monate widerspiegeln. Ich bürste noch kurz meine Haare und merke dabei, dass der hormonbedingte Haarausfall wohl wirklich langsam einsetzt. Ich seufze und mein Blick senkt sich. Ich hatte mich eigentlich über die Tatsache, dass meine Brüste ziemlich gewachsen sind, sehr gefreut, aber mittlerweile weiß ich, dass allein der Milcheinschuss dafür verantwortlich war und, wenn die Milchproduktion vollständig zum Erliegen gekommen ist, vermutlich weniger von meiner Oberweite übrig sein wird als vor der Schwangerschaft. Dabei ist es doch schon so wenig.
Ich ziehe mein Shirt hoch und schnappe mir das Baby Öl, dass neben dem Waschbecken steht. Ich tropfe etwas davon auf meine Hand und massiere es dann vorsichtig in die Haut an meinem Bauch. Ein paar feine Narben sieht man, aber mein Bauch ist schon wieder schön flach und man sieht wirklich nicht viel. Irgendwie auch schade, der Babybauch war auf seine Art wunderschön.
Ich streife meine Hose ab und schmiere auch meine Oberschenkel etwas mit Öl ein. Ich habe vor allem hier ordentlich zugelegt und extrem viele Dehnungsstreifen bekommen. Ich mochte meine Oberschenkel noch nie, aber das gefällt mir nun wirklich so gar nicht. An meinem Po gefallen mir ja die paar Gramm mehr, aber da gehen sie auch am schnellsten wieder weg. Das bedeutet wieder ewiges Schuften im Fitnessstudio bis meine Oberschenkel wieder so sind, wie ich sie gerne hätte.
Seufzend betrachte ich mich im Spiegel und muss schwer schlucken. Jahrelang haben alle kritisiert, dass ich zu dünn sei, aber ich war glücklich und immer froh, dass ich eine gute Figur hatte und mir keine Gedanken darüber machen musste, nicht fit genug auszusehen. Das ist jetzt ganz anders. Ich bin das absolute Gegenteil davon, was die breite Öffentlichkeit „in shape" nennt. Das alles nur, weil mein Körper im letzten Jahr ein kleines Wunder vollbracht hat.
Ich hänge meinen Gedanken noch eine Weile nach, bis ich den Blick vom Spiegel abwende und plötzlich eine Träne über meine Wange läuft. Könnte es sein, dass Mark mich deshalb abweist? Weil ich...nicht mehr so schön bin?

Nach fast einer halben Stunde, habe ich mich etwas beruhigt und verlasse das Badezimmer. Ich gehe leise ins Schlafzimmer und ziehe mich um. Ein Slip und ein Shirt von Mark müssen reichen, es ist ohnehin sehr warm heute. Ich lege mich ins Bett und nehme Jonas aus seinem Bettchen zu mir. Er soll jetzt eigentlich langsam alleine schlafen, aber ich brauche ihn gerade bei mir. Er gluckst zufrieden und bewegt sich etwas. Ich gebe ihm einen sanften Kuss auf die Stirn und streichle über seinen Kopf. Er krallt sich in mein Shirt und nuckelt daran. Ich seufze und denke kurz nach. Es wird wieder wehtun, aber er möchte so gerne und ich brauche diese Nähe gerade irgendwie. Ich ziehe das Shirt hoch und lasse Jonas an meine Brust. Er brummt zufrieden und fängt dann an zu saugen. Ich zucke kurz zusammen, weil es doch sehr weh tut, aber Jonas wirkt sehr glücklich als dann auch endlich etwas Milch kommt. Der Schmerz lässt etwas nach, ist aber stets präsent und zwischendurch muss ich ganz schön die Zähne zusammenbeißen. Ich lege meinen Kopf auf dem Kissen ab und versuche etwas zu dösen während Jonas trinkt.

Tatsächlich kann ich mich etwas entspannen bis ich höre wie Mark leise das Schlafzimmer betritt. „ Schatz? Stillst du?", fragt er fast schon ungläubig. Ich nicke und murmele:„ Ich...brauchte das irgendwie und Jonas hat sich gefreut." „ Tut es nicht mehr weh?", fragt Mark weiter. Ich seufze leise und antworte:„ Doch, aber...dazu sind meine Brüste doch da." Mark läuft um das Bett herum und schaut mich an. „ Ist alles in Ordnung? Du wirkst so traurig. Das Stillen ist dir doch sehr wichtig oder?", fragt er leise. Ich schließe die Augen, weil ich nicht möchte, dass er sieht, dass ich kurz davor bin zu weinen. Ich versuche mich zu sammeln, aber es geht einfach nicht. „ W-wenn das eben das ist, w-was mein Körper wenigstens kann", sage ich und meine Stimme bricht. Mark bekommt ganz große Augen und murmelt:„ Wenigstens? Dein Körper hat unglaublich viel geleistet in letzter Zeit." Ich schüttele den Kopf und schließe wieder dir Augen. „ Hey, was...was ist denn? Du brauchst nicht an dir zu zweifeln. Du bist wunderbar, so wie du bist", sagt Mark und geht wieder um das Bett herum, um sich neben mich zu legen. Er streichelt meinen Arm und schaut über meinen Oberkörper zu Jonas. „ Schau doch wie glücklich er ist. Er liebt dich", sagt Mark. Ich atme tief durch und sage:„ Aber ich bin nicht glücklich. Es tut nur weh und dafür kommt kaum was raus. Wie auch, da ist ja nichts vorhanden." Mark seufzt. Er kann es gar nicht leiden, wenn ich mich über meine Brüste beschwere. „ Lena, bitte. Du bist wunderschön ok? Du kannst nichts dafür, dass es nicht perfekt klappt", murmelt er und streichelt meinen Rücken. Jonas ist wieder eingeschlafen, also lege ihn ihn vorsichtig wieder in sein Beistellbettchen und ziehe das Shirt runter. Dann drehe ich mich zu Mark und murmele:„ Ich bin wunderschön, sag das nicht. Ich habe Augenringe, meine Haare fallen aus, meine Brüste verschwinden komplett und...meine Oberschenkel...wer findet das bitte schön?". Mark schaut mich ungläubig an und setzt sich auf. „ Solche Gedanken hast du? Du machst das für Jonas und dafür liebe ich dich. Mehr als alles andere. Du musst keine Modelmaße mehr haben." Ich antworte:„ Sicher?". Mark seufzt und fragt:„ Ist es wegen vorhin? Bin ich Schuld? Weil ich dich abgewiesen habe?". Ich seufze leise und traue mich kaum zu nicken. „ Oh Schatz. So war das doch gar nicht gemeint. Ich will dir nur nicht wehtun. Lass es noch verheilen. Dann ist es danach doch umso schöner", erklärt er. Ich kann nicht antworten, denn erneut laufen mir Tränen über die Wangen. Ich vergrabe mein Gesicht in Marks Brust und auch er sagt nichts mehr, sondern nicht mich einfach fest in den Arm.

Lena One ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt