Kapitel [2]

126 12 4
                                    

Wei Ying. 

Dies war das Erste, was in Lan Zhans erwachendes Bewusstsein drang. Übelkeit stieg in ihm auf und sein ganzer Körper schmerzte. Er versuchte seine Augen zu öffnen, die ihm aber nicht gehorchen wollten. Lan Zhan atmete tief durch, um den Schwindel und das Pochen an seinen Schläfen unter Kontrolle zu bekommen. Doch eher er sich versah, erbrach er seinen Mageninhalt auf seiner Brust. Angewidert über sich selbst drehte er den Kopf zur Seite und bemerkte erst jetzt, dass seine Arme über seinen Kopf ragten. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, zwang er seine Augen mit Gewalt auf. Unter stechenden Schmerzen gaben seine verklebten Lider den Widerstand auf. Doch auch nachdem er sie nun geöffnet hatte, konnte er nichts erkennen. Dunkelheit umgab ihn. Sein benebelter Zustand ließ langsam nach und er erkannte in welcher misslichen Lage er sich befand. Um seine Handgelenke waren Eisen gelegt und er hing angekettet in der Luft. Selbst seine Beine berührten keinen Boden, sofern dieser vorhanden war. Um ihn herum war absolute Stille. Auch seinen Atem konnte er nicht vernehmen. Alles wurde von dieser absoluten Finsternis verschluckt. Lan Zhan versuchte nach jemandem zu rufen, jedoch kam kein Wort aus seiner, vom Erbrechen kratzenden, Kehle. Was passiert hier? Wo bin ich? Was ist mit mir geschehen? Wei Ying, wo bist du? Bin ich etwa?

*************

Nach einer Woche des Grübelns über Jiang Yins Worte gab Wei Xian endlich auf. Er hatte versucht nicht zu schlafen, aber seine egozentrische KI Alice machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Versetzte sein Essen mit Beruhigungsmitteln und ließ sogar einmal Schlafgas in seinen Raum. Wenn er wenigstens ohne diese verwirrenden und manchmal angsteinflößenden Träume hätte schlafen können, wäre es ihm nur recht gewesen. Doch sie kamen jede Nacht, immer und immer wieder. Also fasste er den Entschluss, auszuspannen und sich ein paar Tage Urlaub zu gönnen. "Alice? Hast du alles organisiert, um was ich gebeten habe?""Ja, Master Wei, ihr Ticket ist gebucht, Einreiseerlaubnis wurde bestätigt, ihr Gepäck ist bereits auf dem Weg nach Suzhou und wird direkt in Ihr Appartment gebracht.""Danke Alice, ich werde noch kurz in der Galerie vorbeischauen.""Gerne Master Wei. Sollten sie länger benötigen, geben sie mir bitte Bescheid, dann werde ich den Sprung auf einen späteren Zeitpunkt verschieben." Ohne darauf zu antworten, verließ er sein Penthouse, fuhr mit dem Fahrstuhl zur Tiefgarage und bestieg seinen Chopter. Der kurz darauf vor der Galerie hielt. "Bitte warte hier LZ, ich benötige nicht lange.""Sehr wohl, Master Wei." Wei Xian betrat die Galerie und lief direkt die Treppe hinauf in sein Atelier. Jiang Yin kam gerade aus der Küche mit einem Becher Tee und sah Xian hinterher. "Hey Xi, hast du etwas vergessen, oder wolltest du mich noch einmal umarmen? Jetzt, da wir uns so lange nicht sehen werden." Yin grinste Xian frech an, als dieser bereits wieder die Treppe herabkam. "Woher wusstest du das nur?" Xian ging mit ernster Miene auf Yin zu und wollte ihn umarmen, was Yin einen Schritt zurückspringen ließ. "Na, na. Lass das, war doch nur Spaß." Yin sah Xian verwirrt an. "Ha, erwischt, also kann ich dich doch noch erschrecken." Xian konnte sich sein Lachen nicht mehr verkneifen, ob des Gesichts, das sein Freund nun zog. "Du wieder." Schmollend boxte Yin ihn auf den Arm und sah dann die Bilderrolle in Xians Hand. "Du nimmst es mit? Ich dachte, du wolltest entspannen und alles hinter dir lassen?""Mh, ja, aber heute Morgen kam mir in den Sinn, dass ich es mitnehme. Vielleicht kann ich das Gesicht irgendwann erkennen und das Bild vervollständigen. Wäre doch schade drum." Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber Xian wusste, dass sich Yin mit dieser Antwort zufriedengeben würde. Der wahre Grund für Xian war, dass er es einfach mitnehmen musste. Er hatte das Gefühl, sonst etwas für ihn ungeheuer wichtiges zurückzulassen. "Ok, dann erhole dich gut. Bleib so lange du möchtest, ich schaukel hier schon alles, mach dir keinen Kopf." Xian nickte, verließ die Galerie und machte sich auf zum Gate. Dort angekommen sah er auf sein Intercom, um nach der Port-Nummer zu suchen und rief das Holo auf, das ihm den Weg wies. Dort angekommen blieb er kurz stehen und sah hoch zum Neonschild mit der Aufschrift Kuppelstadt Suzhou, das über dem Port hing. Xian trat auf das Terminal zu und scannte sein Intercom damit. Die KI Stimme, die danach ertönte, bestätigte den Empfang und bat ihn einzutreten. Tief durchatmend, näherte er sich dem Flackern, das nun erschien und trat hindurch. Mehr als 13 Jahre waren vergangen, als er das erste Mal dieses Gefühl der vollkommenen Auflösung spürte. Nachdem Yin und er als einzige ihrer Familie das Unglück überlebt hatten und nach New York kamen. Das Kribbeln dauerte nur wenige Sekunden und er befand sich jetzt in Suzhou. "Willkommen in der Kuppelstadt Suzhou. Bitte treten sie zum erneuten Scann an das Terminal." Xian zuckte kurz zusammen, als er die KI hörte, befolgte aber direkt die Aufforderung. Nachdem er alle Formalitäten abgewickelt hatte, verließ er das Gate und berührte sein Intercom. "Master Wei, was wünschen sie? Sind sie gut angekommen?""Ja, danke Alice, wo steht der gemietete Chopter?" Alice öffnete das Holo und kennzeichnete die Stelle, an der der Chopter parkte. Xian bedankte sich, schloss sein Intercom, öffnete sein Interface und machte sich dem Holo folgend zum Parkplatz auf. Dort angekommen, sah er direkt den ihm zugewiesenen Chopter. Das neuste Modell, wie seiner Zuhause. Xian schmunzelte leicht. Na, dann wollen wir doch mal sehen, ob da auch 'nen englischer Butler versteckt ist. Er strich mit dem Intercom über die Tür und diese öffnete sich sofort. "Willkommen Master Wei. Chopter XZWY steht in den nächsten Wochen zu ihrer Verfügung. Darf ich sie direkt zum Appartment führen, oder wünschen sie zuerst eine Stadterkundung?" Xian verschluckte sich fast, als er die Stimme der KI hörte. Die klingt ja gar nicht wie mein LZ. Angenehme weibliche Stimme, fast wie die von Alice. Mal sehen, ob sie auch Spaß versteht. "Mh, ich denke, ich möchte zuerst zum Mond und dann ein schönes Picknick draußen am Fluss." Stille. Ok, doch wie LZ, versteht keinen Spaß und ignoriert mich. "Master Wei, zum Mond benötigte ich diverse Updates, aber ein Picknick wäre machbar. Haben sie denn einen Schutzanzug dabei?" Zuerst war Xian vollkommen sprachlos, doch dann brach er in lautes Gelächter aus. Nachdem er sich endlich beruhigt und sich die Tränen aus den Augen gewischt hatte, holte er erst einmal tief Luft. "Du gefällst mir XZWY, sag mal, darf ich dir einen Namen geben?""Danke Master Wei, dass sie mit mir zufrieden sind. Es steht ihnen frei, mich zu nennen, wie sie es wünschen.""Gut, dann nenne ich dich Li Li. So habe ich meine Schwester immer genannt, die hat meine Witzeleien auch immer verstanden.""Sehr wohl Master Wei, haben sie sich entschieden, wohin sie zuerst möchten?""Ja Li Li, bring mich zuerst zum Appartment, sonst schmollt meine Alice noch mit mir" und hielt dabei sein Intercom zu, damit Alice ihn nicht hören konnte. Li Li erhob sich direkt hoch in die Luft, überflog die gesamte Stadt und landete dann auf dem Dach des Apartmenthauses. "Master Wei, wir sind angekommen. Sollten sie mich benötigen, finden sie mich genau hier.""Danke Li Li und mach schon mal das Update bereit." Schmunzelnd stieg Xian aus und ging auf den Fahrstuhl zu. Eine Antwort erhielt er wie bei Alice über sein Intercom, mit der Aussage, dass sie sich bemühen würde. Grinsend fuhr Xian in sein Stockwerk, ohne zu bemerkten, dass es sich direkt unter dem Dach befand. Er stieg aus und stand direkt vor der Eingangstür. Mithilfe seines Intercoms öffnete er die Tür und sogleich ertönte die Stimme seiner KI Alice. "Willkommen in ihrem neuen Zuhause, Master Wei. Ich habe mir die Freiheit genommen, alles so einrichten zu lassen, wie sie es gewohnt sind." Xian staunte nicht schlecht. Es kam ihm fast so vor, als wäre er in seinem Penthouse in New York. Die Einrichtung war perfekt sowie die Rundumsicht. "Danke Alice, du hast dich wie immer selbst übertroffen.""Danke, Master Wei, wir befinden uns im nördlichsten Teil der Stadt. Sie haben eine perfekte Sicht auf den Huqiu Shan (Tigerhügel) im Norden." Xian lief die gesamte Front seiner Panoramafenster ab, blieb dann an der nordöstlichen Ecke stehen und sah fernab auf die Berge. Ein seltsames Gefühl kroch in seine Knochen und er erschrak, als Alice ihn ansprach. "Master Wei, möchten sie etwas essen, oder kann ich sonst etwas für sie tun?""Nein, im Moment nicht, danke Alice oder doch. Wie heißt der Berg dort?" Xian deutete auf den Ort, den er ununterbrochen gebannt anstarrte und der ihm dieses seltsame Gefühl bescherte. "Berg.""Ha ha, sehr witzig, Alice?" Xian kniff die Augen zusammen und sein Blick fixierte weiterhin die Stelle. "Er hat keinen Namen.""Bitte, finde heraus, ob er jemals einen hatte?""Ich werde es versuchen, Master Wei.""Nein, nicht nur versuchen. Finde alles, was es über diese Gegend gibt.""Was meinen sie mit alles, Master Wei? Bitte präziser." "Nun gut, suche in allen möglichen Registern nach Aufzeichnungen, auch vor dem Krieg und darüber hinaus.""Verstanden Master Wei, dies kann aber eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.""Das ist kein Problem. Wir reisen ja in der nächsten Zeit nicht zurück. Danke Alice, ich werde mich etwas hinlegen.""Sehr wohl, Master Wei." Langsam löste er sich von dem Blick auf die Berge und ging ins Schlafzimmer. Xian setzte sich auf sein Bett, nahm die Bilderrolle zur Hand, öffnete sie und zog vorsichtig das unfertige Bild heraus. Beim Betrachten flammte das Kribbeln in seinem Inneren erneut auf und machte ihn nervös. Was hat das alles nur zu bedeuten? Warum hat mir Yin ausgerechnet geraten, in China Urlaub zu machen? Hat es etwas mit dem alten China zu tun? Wurde solche Kleidung dort getragen? Xian steckte das Bild zurück in die Rolle, legte sich hin und starrte an die Decke. Ohne es zu merken, fielen seine Augen zu und er schlief ein. Xian träumte wieder einmal. Aber dieses Mal war der Traum anders. Heller. Freundlicher. Weniger bedrohlich. 

Als er Stunden später erwachte, konnte er sich das erste Mal an seinen Traum erinnern. Xian sprang auf, stürzte zu seinem Schreibtisch, kramte ein Notizbuch aus einer der Schubladen und schrieb ohne darüber groß nachzudenken alles auf, woran er sich noch entsinnen konnte. Nachdem er damit geendet hatte, legte er den Stift beiseite und las seine Stichpunkte durch. Kaninchen, ein Esel, altertümliche Gebäude, Menschen in langen Roben und ‚er'. Der Mann, den Xian gemalt hatte. Jedoch besaß er immer noch kein Gesicht. Wer bist du? Warum habe ich dich gemalt, oder habe ich jetzt von dir geträumt, da ich dich gemalt habe? Xian rieb sich die Stirn. Seine Verwirrung war nicht weniger geworden, sondern hatte zugenommen. Langsam zweifelte er wirklich an seinem Verstand. Schon manch ein Künstler war verrückt geworden. Um auf andere Gedanken zu kommen, ging er in die Küche und nahm sich einen Kaffee. Auch wenn er wieder einmal entkoffeiniert war, so war es wenigstens der Geschmack und die Wärme, die Xian nun halbwegs genoss. Ohne dass er darüber nachgedacht hatte, trugen ihn seine Beine wieder zum Fenster mit Sicht auf die Berge. Leider war der Blick darauf nur unklar, da das Flimmern der Schutzkuppel dies nie zuließ. Die Aussicht in die zerstörte und verseuchte Welt war immer durch diese milchige Schicht versperrt. Die Umgebung wurde dunkler und in der Stadt begannen die ersten Lichter zu glimmen. Es scheint, die Sonne geht gerade unter. Wie gerne würde ich dieses Naturschauspiel einmal real miterleben oder eine sternenklare Nacht und den Mond beobachten. Doch nach dem Krieg war dies alles nicht mehr möglich. Eine vergiftete Masse hatte sich wie eine Glocke um den Erdball gelegt und auch nach fast 400 Jahren hatte sie sich nicht aufgelöst. Xian seufzte. "Master Wei, möchten sie nun etwas zu sich nehmen?""Ja, Alice, aber bitte etwas Leichtes, ich habe keinen großen Appetit." Nachdem er einen Salat mit Fruchtbeilage gegessen hatte, ging er zurück ins Schlafzimmer und weiter ins angrenzende Bad. Xian entkleidete sich und bestieg die Duschkabine. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab und riefen den Traum erneut in sein Bewusstsein. Er hasste diese Ungewissheit, nicht zu wissen, was diese Träume bedeuteten, falls sie überhaupt eine Bedeutung hatten. Xian verließ die Kabine, trocknete sich ab, ging dann wie immer nackt zu seinem Bett und krabbelte unter die leichte Decke. Er schnippte einmal mit den Fingern und im gesamten Penthouse erloschen die Lichter. Dunkelheit umfing ihn und das leise Plätschern des Zimmerbrunnens lullte ihn kurz darauf in den Schlaf.

 Dunkelheit umfing ihn und das leise Plätschern des Zimmerbrunnens lullte ihn kurz darauf in den Schlaf

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.


Soulmate III: Shackles of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt