Kapitel [4]

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Ein weiterer Tag in der Finsternis. Dies war der erste Gedanke, den Lan Zhan hatte, als er seine Augen öffnete. Erneut versuchte er krampfhaft etwas zu erkennen, so wie jedes Mal, wenn er aus seiner Benommenheit erwachte. Doch auch wie zuvor kein Lichtstrahl, keine Fackel oder Kerze, die ihm Hoffnung geben könnte. Seufzend ließ er seinen Kopf hängen und schloss wieder seine Augen. Wer hat mir dies angetan? Warum bin ich hier? Warum erinnere ich mich an nichts, oder bin ich schon immer hier gewesen und habe es nur vergessen? Ist dies eine Strafe? Was habe ich verbrochen? Doch je mehr er versuchte sich zu erinnern, desto schlimmer wurden die Schmerzen, die durch seinen Körper zuckten. Der Schmerz wurde schließlich zu viel für ihn und er sank erneut in eine Ohnmacht. Rote Augen funkelten in seine Richtung, doch Lan Zhan bemerkte es nicht mehr. "Bald schon, bald ist es so weit, dann bist du bereit", flüsterte die Person, die ihn in der Dunkelheit beobachtete.

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Geraume Zeit später hatten sie Gusu erreicht. Der Chopter stoppte und blieb oberhalb der Wolkendecke auf der Stelle stehen. "Was ist los, Li Li? Warum halten wir an?""Ich scanne erneut weitläufig die Umgebung, wir wollen doch keine Überraschungen erleben." Nachdem sie geendet hatte, setzte sich der Chopter langsam in Bewegung, durchbrach im Tarnmodus die Wolken und landete am Rande einer Lichtung. Xian starrte während des gesamten Sinkflugs aus den Fenstern und kaum hatten sie den Boden erreicht, sprang er aus dem Chopter. "Master Wei, ihr könnt doch nicht so einfach hinausgehen, was, wenn unsere Daten nicht korrekt sind?!" Alice schrie Xian über das Intercom an. Xian ignorierte sie und schaltete es stumm. Er atmete tief ein und streckte sich. Der Geruch von diversen Gräsern und Bäumen berauschte seine Sinne, er schloss die Augen, genoss dieses seltsame Gefühl der Freiheit, wie der Wind sanft sein Gesicht liebkoste und ließ sich rücklings in das Gras fallen. Sein Blick wanderte hoch zum Himmel und er fühlte sich frei wie nie zuvor. "Ah, Alice, Li Li, könntet ihr nur diesen Geruch aufnehmen. Es ist einfach herrlich." Das Brummen seines Intercoms machte ihn darauf aufmerksam, dass er es zuvor abgeschaltet hatte. Ayo, jetzt gibts wieder eine Strafpredigt. Xian nahm den Ruf an und Alice erschien über Interface. Wie erwartet wetterte sie sogleich los. "Master Wei, wie soll ich sie schützen, wenn sie mich abweisen? Auch wenn die Gegend vorab von uns gescannt wurde, so könnten wir dennoch etwas übersehen haben.""Ja, Alice, ich habe es gehört, aber sieh dich doch um, hier ist nichts weiter als pure Natur.""Haben sie die Sonden vergessen, Master Wei? Was ist, wenn jetzt gerade eine von ihnen sie erfasst hätte? Wir hätten sie nicht warnen können, sie hätten sterben können." Alice sah ihn missmutig an. Xian rollte mit den Augen. "Das habe ich gesehen, Master Wei" nun klang sie beleidigt. "Ich werde in Zukunft vorsichtiger sein, Alice, versprochen. Nun sei wieder gut, ich war zuvor zu aufgeregt." Xian legte seinen Hundeblick auf. Doch dieses Mal funktionierte es nicht und Alice schaltete sich mit einem hörbaren Schnaufen ab. Xian seufzte und ging zurück zum Chopter, öffnete die Heckklappe und nahm seinen Rucksack heraus. "Li Li, wie weit kann ich mich vom Chopter entfernen, um noch mit euch in Kontakt zu bleiben?""Soweit sie wollen, Master Wei. Wir werden sie begleiten!" Xian stockte und zog seine Augenbrauen zusammen. "Wie meinst du das? Wir werden sie begleiten." Bevor er eine Antwort erhielt, stand plötzlich Li Li als Holo neben ihm. Xian machte einen Satz zur Seite, stolperte über eine Wurzel und saß jetzt auf seinem Hosenboden. "Ayo, hättest du mich nicht vorwarnen können? Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen.""Hätten sie nicht!" Meldete sich Alice mit grollender Stimme, während sie neben Li Li erschien. "Ich überwache ihre Werte, schon vergessen?" Xian verkniff sich eine Antwort, vor sich hin grummelnd stand er auf, schlug die Erde von seiner Hose und rückte seinen Rucksack zurecht. "Gut, wenn das so ist, dann los." Drehte sich um, stapfte verstimmt voran, ohne darauf zu achten, ob die KI ihm folgen würden. Immer sein vorbestimmtes Ziel im Auge ging er schweigend über die Lichtung, die mit mannshohem Gras überwuchert war. Je weiter er hineinging, umso dichter wurde es und schon bald war kein Durchkommen mehr möglich. Das Gras vermischte sich mit Ranken, die äußerst dicke, spitze Dornen trugen und ihm den Weg versperrten. Xian setzte sich ins Gras, nahm seinen Rucksack ab und ließ sich resignierend nach hinten fallen. Er starrte in den wolkenverhangenen Himmel und seufzte. Er war davon ausgegangen, alles bedacht zu haben, jedoch hatte er nicht mit solch einem Hindernis gerechnet. Xian schloss seine Augen und überlegte. Zurück gehen und den Chopter benutzen? Nein, er steht dort geschützt. Die Schaufel ist nicht geeignet. Der Dolch wird nicht lange halten und stumpf werden. Einen anderen Weg nehmen? Nein, wer weiß, was mich dort erwartet. Feuer? Zu gefährlich. Mitten in seinen Gedankengängen brummte sein Intercom. Xian versuchte, es zu ignorieren. Er wollte selbst eine Lösung finden, doch lenkte ihn dieses Geräusch zu sehr ab, also gab er nach und beantwortete den Ruf. "Alice, was ist?", fragte er barsch. Jedoch war es Li Li, die sich meldete. "Master Wei, entschuldigt, ich wollte sie nicht stören. Ich habe die nähere Umgebung gescannt, nur ein paar Schritte weiter rechts sind die Ranken weniger dicht miteinander verwachsen." Xian setze sich auf, nahm seinen Rucksack und erhob sich ohne ein Wort. Er war immer noch ein wenig wütend, jedoch nicht auf seine KI, sondern auf sich selbst. Wei Xian, Wei Xian, wie konntest du nur so naiv sein? Machst dich in die Wildnis auf und nimmst kein Laserkris mit. Er folgte den Anweisungen seiner KI und stand alsbald an der Stelle, die Li Li ihm genannt hatte. Hier waren die Ranken wirklich weniger dick und mit ein paar Hieben seiner Schaufel hatte er schnell einen Durchgang geschaffen. Es wurde bereits dunkel, als er endlich die Lichtung hinter sich gelassen hatte und am Fuße des Berges ankam. Xian überlegte, ob er weiter gehen oder hier sein Lager aufschlagen sollte. Da er nicht wusste, was noch alles vor ihm lag, entschied er sich dazu, an Ort und Stelle zu übernachten. Xian sah sich nach einem geeigneten Platz um und fand eine Nische in der Felswand. Dort ließ er sich nieder, legte seinen Rucksack neben sich, zog seine Thermodecke heraus und wickelte sich darin ein. Sein knurrender Magen erinnerte ihn daran, dass er zuletzt vor seinem Aufbruch etwas zu sich genommen hatte. Erneut öffnete er seinen Rucksack und holte den Miniatur Replikator heraus. Nachdem er etwas gegessen und getrunken hatte, fühlte Xian sich etwas wohler. Er zog die Decke enger um sich und sah zum Himmel. Wie gerne würde ich jetzt die Sterne klar sehen. Diese Wolkendecke, warum ist sie immer noch da, obwohl sich die Natur erneuert hat? Xian blinzelte und alsbald fielen ihm die Augen zu.

Soulmate III: Shackles of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt