Kapitel [22]

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Nachdem sie in Yanlous Bereich angekommen waren, half er Lan Zhan Platz zu nehmen und holte ihm etwas zu trinken. Gierig, so als wäre er von innen ausgetrocknet, leerte er den ihm gereichten Becher in einem Zuge. Immer noch vollkommen abwesend starrte Lan Zhan zu Boden. Yanlou bemerkte das ungewöhnlich starke Pulsieren um ihn herum. Er setzte sich neben ihn und legte beruhigend seinen Arm um ihn herum. Endlich nach langem Schweigen war es Lan Zhan, der zuerst sprach. "Wo, wo ist er? Kann ich ihn sehen?" Yanlou zögerte mit der Antwort, überlegte und kam zum Schluss, dass er zuvor Lan Zhan über Wei Yings jetzigem Zustand in Kenntnis setzen sollte. Er erzählte ihm, was alles nach der Lichtexplosion geschah und dass Wei Ying ihn schließlich angefleht hatte, den Tee des Vergessens trinken zu dürfen. Lan Zhan hörte zu, doch war sich Yanlou nicht sicher, ob er das gesamte Ausmaß auch wirklich erkannt hatte. Lan Zhan schüttelte Yanlous Arm von seiner Schulter, stand auf, ging entschlossen auf die Tür zu, drehte sich um und sah Yanlou auffordernd an. Yanlou seufzte, erhob sich und trat neben Lan Zhan. "Nach allem, was ich dir soeben erzählt habe, willst du ihn immer noch sehen?" Lan Zhan antwortete nicht darauf und sah Yanlou nur mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck an. Yanlou nickte und deutete ihm an zu folgen. Kurz darauf befanden sie sich in Youdu, der Hauptstadt der Unterwelt. Zielstrebig ging Yanlou vor und schon bald hatten sie den äußeren Rand der Stadt erreicht. Hier standen nur wenige Häuser und Lan Zhan konnte bereits von Weitem Wei Yings Silhouette ausmachen. Aufgeregt wollte er an Yanlou vorbei, doch der hielt ihn am Arm fest. "Nicht, du wirst ihn erschrecken. Er wird dich nicht erkennen." Lan Zhan stoppte. Yanlou sah den Schmerz und die Sehnsucht in Lan Zhans Augen. Genau in diesem Moment wandte sich Wei Ying um, erkannte Yanlou und kam freudig strahlend auf ihn zu. "Master, was verschafft mir die Ehre eures Besuchs?" Lan Zhan dachte, sein Herz würde stehen bleiben, jetzt, da sein Baobai so nah bei ihnen stand. Er sah ihn unentwegt an und hoffte darauf, dass Wei Ying ihn trotz allem erkennen würde. Doch nichts dergleichen geschah, schlimmer noch, er beachtete ihn erst gar nicht und sah nur Yanlou unentwegt an. Tränen bildeten sich ungewollt in Lan Zhans Augen. Das Atmen fiel ihm schwer. Einem Impuls folgend riss er Wei Ying einfach in seine Arme und hielt ihn fest an sich gepresst. Wei Ying erstarrte und sah Yanlou angstvoll über Lan Zhans Schulter an. Jedoch kam zu der Angst, die Wei Ying gerade verspürt hatte, etwas anderes hinzu. Nein, es überlagerte diese und war viel stärker. Ein Gefühl von Trauer, gepaart mit einem tief sitzendem Schmerz. Er war verwirrt und das spiegelte sich in seinen Augen wider. Yanlou konnte es genau erkennen. "Lan Zhan, lass ihn bitte los, du machst ihm Angst." Nur widerwillig gab Lan Zhan nach. Sah Wei Ying lange an, drehte sich schließlich abrupt um und verließ Youdu ohne ein weiteres Wort. Yanlou und auch Wei Ying sahen ihm mit gemischten Gefühlen hinterher. Um Wei Ying zu beruhigen, strich Yanlou ihm sacht über den rechten Oberarm, doch das registrierte er nicht, sondern war in seinen Gedanken, die nun vollkommen verrückt spielten, gefangen. Er bemerkte nicht einmal, dass er einen Namen flüsterte 'Lan Zhan'. Yanlou sah ihn daraufhin verschreckt an. Könnte es sein? Nein, unmöglich. Er hatte ihm nicht den Tee des Vergessens gegeben. Wei Ying hatte viele Leben, die er vergessen musste, gelebt, daher hatte sich Yanlou auch dazu entschlossen ihm direkt den Trank, aus dem der Tee hergestellt wurde, zu geben. Langsam setzte sich Wei Ying in Bewegung, wurde von Schritt zu Schritt schneller und rannte am Schluss durch die Gassen. Was hat er vor? Erinnert er sich etwa? Yanlou holte ihn schließlich am Tor ein, an dem Wei Ying verzweifelt rüttelte, er es jedoch nicht aufbekam. "A-Ying, wo willst du hin?" Wei Ying drehte sich mit tränenüberströmten Gesicht zu ihm um. "Master, bitte öffnet das Tor, ich muss mit dem Fremden sprechen. Ich weiß, es hört sich seltsam an, doch ich weiß, wenn ich es jetzt nicht schaffe, wird etwas Schlimmes geschehen." Yanlou sah mit Bestürzung die Qual in Wei Yings Augen und ohne weiter zu zögern, öffnete er für ihn das Tor mit einer Handbewegung. Der Spalt war kaum breit genug, doch Wei Ying quetschte sich bereits hindurch. Vor ihm taten sich diverse Gänge auf. Zuerst stockte er, doch dann lief er zielstrebig in einen hinein. Entsetzt bemerkte Yanlou, welchen Weg Wei Ying genommen hatte. Nun rannte er ihm nicht mehr nach, sondern sprang direkt zu dem Ort, an dem dieser Gang endete. Dem Fluss ohne Wiederkehr. Sofort registrierte er, dass er nicht allein dort war. Was bei allen Gerichtshöfen? Yanlou wirbelte herum und dann sah er ihn. Für einen Moment passte er nicht auf und Wei Ying rannte wie ein Wirbelwind an ihm vorbei, auf die Person zu, die dort bereits am Steg stand. Erstarrt beobachtete er die Szene, die sich jetzt vor ihm abspielte, unfähig, jetzt noch einzugreifen. Lan Zhan stürzte sich, bevor Wei Ying ihn erreichen konnte, in die Fluten. Wei Ying fiel am Ende des Steges auf die Knie und schrie und weinte. Das Wasser fing an zu brodeln und langsam durchbrach ein Lichtschein die Oberfläche. Eine Lichtkugel erhob sich und schwebte für ein paar Sekunden pulsierend über Wei Ying. Er riss die Arme hoch, um nach dieser zu greifen. Jedoch erreichte er sie nicht und im nächsten Moment war sie entschwunden. "Warum? Lan Zhan, warum verlässt du mich erneut?"  Yanlou traute seinen Ohren nicht. Hatte er gerade wirklich die Worte aus dessen Mund vernommen? Bevor er begreifen konnte, was hier vor sich ging, hatte sich Wei Ying bereits aufgerafft und ließ sich ebenfalls in die Fluten fallen. Das Grauen erfasste Yanlou. Das darf nicht wahr sein. Nein, das muss ein Traum sein. Bitte, bei den Himmeln und allen Göttern, lasst dies nicht wirklich geschehen sein. Wie betäubt ging Yanlou langsam auf den Steg zu, stellte sich genau an den Ort, an dem beide in den Fluten verschwanden und starrte hinein. Der Fluss zog ruhig an ihm vorbei. Vereinzelt hörte man entferntes Stöhnen, das jedoch nicht außergewöhnlich war. Das hätte niemals geschehen dürfen. Yanlou fühlte sich leer. Dies war der Ort, an dem Verräter des Himmels ihre immerwährende Bestrafung erhielten. Wenn er bedachte, wie aufgewühlt die Seelen und der Fluss zuletzt waren, als er den Wūshī hineinstieß, war dieses Mal alles ungewöhnlich ruhig. Wie lange Yanlou hinab starrte, war ihm nicht bewusst, doch schließlich wandte er sich ab, verließ den Steg und die Nebelwand, die die Sicht auf den Fluss für gewöhnlich behinderte, schloss sich hinter ihm.  

Soulmate III: Shackles of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt