Kapitel [8]

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So sehr Wei Ying sich auch bemühte seine Tränen zurückzuhalten, es gelang ihm nicht. Er fühlte, wie sie sich aus seinen Augen lösten und seine Wangen benetzten. Seine Hände begannen zu zittern. Die Kraftaufwendung, um sein Qi gleichmäßig fließen zu lassen, war doch anstrengender, wie er zuvor geglaubt hatte. Konzentration Wei Ying, reiß dich zusammen, du musst es bis zum Ende aufrechterhalten. Wei Ying sprach sich selbst gut zu. Wäre er nur etwas stärker, könnte er auch hören, worüber sein vergangenes Ich und Lan Zhan redeten. Aber er war froh, wenigstens das Feld erzeugen zu können. Bis jetzt war noch nichts passiert. Man konnte die beiden sehen, wie sie sich unterhielten, jedoch auch immer wieder suchend umblickten. Warum waren wir dort? Wurden wir etwa hergelockt? Das Feld flackerte erneut. Wei Ying ging bis zum Äußersten, er schwitzte bereits heftig, doch gab er erneut einen Schub Qi frei. Doch das Flackern blieb und es wurde dunkler. Das liegt nicht an meinem Qi, das muss etwas anderes sein. Wei Ying erschrak bis aufs Mark.  Er musste mit ansehen, wie ohne Vorwarnung sein Oberkörper von hinten durchstoßen wurde. Vor seinem Brustkorb lag sein noch pochendes Herz in einer fremden Hand, die es langsam zerquetschte. Silbrig weiße Fäden surrten kurz darum herum und verschwanden dann in alle Himmelsrichtungen. Wei Ying keuchte auf und musste sich zwingen, seinen Atem zu regulieren, um das Feld aufrechtzuerhalten. Das, das war meine Seele. Yanlou hatte recht, sie wurde zerrissen. Sein Augenmerk fiel jetzt auf Lan Zhan, wie er aufschrie und gleichzeitig gepackt wurde. Sein Gewand verfärbte sich blutrot, denn die Hände, die ihn hielten, waren keine, sondern Klauen, wie er es zuvor in seinem Traum gesehen hatte. Lan Zhan wehrte und wollte sich immer wieder losreißen. Obwohl Wei Ying nichts hören konnte, wusste er, was Lan Zhan die ganze Zeit über schrie. Er schrie in vollkommener Pein seinetwegen und musste mit ansehen, wie der Körper nun zur Seite kippte, da die Hand, die ihn bis dato aufrecht hielt, herausgezogen wurde. Das Abbild verblasste langsam. Wei Ying sah nur noch, wie der Nebel immer dunkler wurde und Lan Zhan dort hineingezogen wurde. Außer den Klauenhänden konnte man nichts von den Angreifern erkennen, denn sie waren eins mit den Schatten. Wei Ying begann am ganzen Körper zu zittern. Er hörte einen gequälten Schrei, ohne dass ihm bewusst war, dass er es selbst war. Das Abbild verschwand jetzt gänzlich und Wei Ying brach, Lan Zhans Namen rufend, schreiend und weinend zusammen. Jemand ergriff ihn und zogen ihn hoch. Vorsichtig wurde er in die Bluthöhle gebracht und auf sein ehemaliges Schlaflager gebettet. Wei Ying wehrte sich und schlug immer wieder auf die ihn haltenden Hände ein. "Lan Zhan, wo bist du? Was haben sie dir, uns angetan? Warum?" Wei Ying bemerkte, wie das Chaos in ihm die Oberhand gewinnen wollte. Fahrig versuchte er an seine Kürbisflasche zu gelangen. Doch er erreichte sie nicht. Nein, nein, nein, nicht jetzt, ich muss bei klarem Verstand bleiben. Seine Augen verdrehten sich bereits nach hinten, als er die Flasche an seinem Mund fühlte. Gierig nahm er einen Schluck und bemerkte, wie sein Körper und Geist sich entspannten. Schwer atmend, öffnete er die Augen und sah die besorgten Blicke. "Danke, Qionglin." Langsam richtete sich Wei Ying auf, wischte den Schweiß und seine Tränen ab. "Master Wei? Geht es ihnen wirklich gut? Was haben wir da gerade gesehen? Das waren doch nicht sie, oder?" Wei Ying lächelte Alice schwach an. "Es geht mir gut, ich bin nur ein wenig geschwächt. Und ja, das waren Lan Zhan und ich. Dort ist es geschehen, dort wurde meine Seele zerrissen und Lan Zhan entführt, nur weiß ich nicht von wem, aber jetzt lasst mich bitte kurz ruhen, ich muss zu einem Freund und ihm alles erzählen." Alice nickte verwirrt, schwieg jedoch. Wei Ying legte sich wieder hin und schlief augenblicklich ein. Es war bereits tiefe Nacht als Wei Ying erwachte. Zuerst war er ein wenig orientierungslos, doch dann holte ihn alles wieder ein. Er setzte sich auf und barg sein Gesicht in seinen Händen. Wer bei den Himmeln war das? Ja, ich war damals in meinem menschlichen Körper, aber wie konnten sie meine Seele zerreißen? Wer hat solch eine Macht? Ich muss mit Yanlou darüber sprechen, vielleicht hat er Antworten für mich. "W-Wei Shàoyé, ihr seid w-wach, i-ich habe Xifan g-gekocht, wartet, ich h-hol euch eine Schüssel." Wen Ning verließ die Höhle und kam kurz darauf mit der Schüssel zurück. Wei Ying nahm sie entgegen und schnüffelte daran. "Qionglin? Woher hast du den Reis? Sag nicht, der lag hier noch.""N-nein, Wei Shàoyé, ich w-war im Dorf und habe ihn dort g-geholt." Wei Ying sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Dorf? Welches Dorf? Dann hätte er ihn auch von hier nehmen können. Vorsichtig stocherte er mit dem Löffel in der Reissuppe herum, bevor er ihn zum Mund führte. Was soll's, ich bin unsterblich, was kann mir jahrhundertealter Reis schon anhaben?! Wider Erwarten war sie sogar recht gut und bald schon war sie ausgelöffelt. "Danke, Qionglin, der Xifan war wohltuend." Wen Ning nahm die leere Schüssel mit einem Lächeln entgegen und wollte gerade hinausgehen. "Warte Qionglin, hier, nimm das und verwahre es für mich." Wei Ying löste sein Intercom vom Handgelenk und überreichte es Wen Ning, der es zaghaft entgegennahm. Wei Ying sah die Skepsis. "Keine Sorge, sie sind nur manchmal nervig, aber sie können dir nichts anhaben." Dies war natürlich ein Stichwort für Alice, die sofort darauf erschien. "Was soll das denn heißen, Master Wei? Nervig? Sie meinen Li Li und mich? Und warum legen sie uns ab? Wollen sie uns nicht mehr?" Wei Ying rollte mit den Augen, hob jedoch direkt seine Hand, damit Alice nichts darauf erwidern konnte. "Alice, bitte, manchmal bist du nervig, ja, aber dennoch sehr hilfreich. Doch da, wo ich jetzt hingehe, könnt ihr mir nicht helfen, da wärt ihr ohnehin inaktiv, also lasse ich euch bei Wen Ning.""Inaktiv? Das ist unmöglich, überall, wo sich ein Stromnetz befindet, können wir agieren.""Mh, ich glaube kaum, dass es in der Unterwelt Strom gibt, aber ich könnte Yanlou mal den Vorschlag machen es zu installieren, jedoch vermute ich, dass er allein schon mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen kann." Die letzten Worte kamen nur noch gepresst hervor. Wei Ying verkniff sich dermaßen das Lachen, da er Yanlous Gesicht vor Augen hatte, dass er dachte, er würde gleich platzen. Alice sah ihn verwirrt an. "Ja, ich sagte Unterwelt und ich meinte es so, wie ich es gesagt habe. Von mir aus nenne es Hölle, Jenseits, wie auch immer, aber dort lebt ein enger Freund von mir, der sehr wahrscheinlich schon auf heißen Kohlen sitzt. Ha, der war gut, den sollte ich ihm mal an den Kopf schmeißen, aber nun Spaß bei Seite, ihr habt doch gesehen, was draußen geschehen ist. Denkt ihr immer noch, ich bin nur der Mensch Wei Xian? Mir läuft die Zeit davon, ich muss meine Seelenfragmente suchen, ansonsten muss ich die nächsten Jahrtausende wohl sein Gesöff zu mir nehmen, damit ich nicht verrückt werde." Li Li erschien jetzt neben Alice und lächelte Wei Ying an. "Ich passe auf Qionglin auf, Master Wei. Ich wünsche ihnen, dass sie ihre komplette Seele wiederbekommen und auch Lan Zhan retten. Falls sie nicht zurückkehren, möchte ich noch sagen, dass es mir eine Ehre war, für sie da zu sein." Sie verbeugte sich vor Wei Ying und strahlte dann Wen Ning an. Der kratzte sich verlegen am Nacken und fast hätte man meinen können, er wäre rot geworden. Alice hingegen schüttelte nur missmutig den Kopf und verschwand zurück ins Intercom. Wei Ying stand auf, ging zu Wen Ning und half ihm dabei, das Intercom an seinem Handgelenk zu befestigen. "Li Li, ich danke dir, pass gut auf ihn auf und ignoriere die Werte. Er ist weder tot noch lebendig, er ist etwas, dazwischen." Li Li nickte eifrig und sah dann etwas wehmütig aus. "Was ist los Li Li? Traurig, dass ich gehe?""Ja und nein, Master Wei. Ich beneide nur jetzt die Patrouillen KI, denn die haben einen Körper.""Was haben die? Warum weiß ich davon nichts?!""Weil sie nur für den Einsatz in den Minen zuständig sind, sie wissen doch, wenn jemand nicht gehorcht, können sie ihn bestrafen und zurückbringen." Wei Ying nickte, denn er wusste genau, was sie damit meinte, hob dennoch fragend seine Augenbraue. "Und warum möchtest du einen Körper? Du willst doch nicht etwa meinen Qionglin bestrafen.""Nein! Was denken sie von mir, Master Wei? Nur wenn ich einen Körper hätte, könnte ich ihn besser beschützen oder helfen." Schmunzelnd schüttelte Wei Ying mit dem Kopf. Wen Ning sah Li Li ehrfürchtig an. "Ich denke, Qionglin kann sich hervorragend selbst beschützen, aber vielleicht besorge ich dir einen, bevor ich gehe, dann kannst du entscheiden, ob du ihn benötigst oder nicht." Li Lis und Wen Nings Augen weiteten sich. "Da-das würden sie für mich machen, Master Wei? Aber es ist schwer und sehr gefährlich, dort hineinzugelangen.""Zeig mir, wo ich hinmuss und ich hole ihn dir. Niemand wird mich bemerken, aber vorher bringe ich Wen Ning zurück nach Gusu in die Cloud Recesses." Kaum ausgesprochen, waren sie zurück, direkt vor Wen Nings Höhle. Li Li kam wieder hervor und quietsche laut auf, als sie die Kaninchen sah, die vor Schreck in alle Himmelsrichtungen stoben. "Ahhh, sind die süüüß und bald kann ich sie sogar streicheln." Wei Ying zwinkerte Li Li zu, die sofort ein Holo öffnete und ihm die Produktionsstätte darauf zeigte. Sie erklärte ihm noch, welches Modell sie gern hätte und schon war Wei Ying fort. Wenige Augenblicke später war er zurück mit dem gewünschten KI Körper. "Wao, Master Wei, das ist genau der Richtige und wie schnell sie wieder zurück waren.""So, nun hopp, rein da, ich möchte dich darin noch sehen." Das ließ sich Li Li nicht zweimal sagen. Es dauerte etwas, jedoch als sich der erste Finger bewegte, ging es rasend schnell. "Huch, das fühlt sich ungewohnt an. Musste erst alles neu kalibrieren und was sagst du Qionglin? Gefalle ich dir?" Zuerst sah Wen Ning diesen Körper skeptisch an, doch als er Li Lis Stimme und dann ihr Gesicht sah, leuchteten seine Augen und er nickte eifrig. Li Li umarmte ihn und strahlte Wei Ying an. Oh, ich glaube, da haben sich zwei gefunden. "Und, kannst du ihn vollständig benutzen? Muss er aufgeladen werden? Was ist mit dem Intercom?""Ja, alles voll funktionstüchtig. Aufladung erfolgt automatisch, wenn ich mich bewege und das Intercom ist für mich jetzt überflüssig, habe hier drin alles, was ich benötige. Ich kann sogar den Chopter von hier aus steuern. Ist das nicht toll?""Also vollkommen autark? Keine Überwachung von der Kuppelstadt?""Alles gekappt, sie wissen doch, ich bin ein Hacker." Li Li zwinkerte Wei Ying zu und grinste breit. "Dann ist ja alles in bester Ordnung, wenn ich wieder komme, möchte ich euch alle lebendig wiedersehen und falls Alice auch einen Körper möchte." Weiter kam er nicht, denn Alice rief aus dem Intercom, warum man sie vorher nicht gefragt hätte, aber nun wollte sie auch keinen mehr. Wei Ying presste die Lippen fest aufeinander, um nicht laut loszulachen und ließ einen zweiten Körper erscheinen, denn er war sich von vorneherein sicher, dass Alice auch einen wollte. "Ja gut, wenn das so ist, dann hat Li Li einen als Ersatz hier." Jetzt war es Wei Ying, der Li Li zuzwinkerte. Kaum ausgesprochen, erschien Alice. "Was? Sie haben mir einen mitgebracht, Master Wei?" Wei Ying lächelte Alice an und wies auf den noch ungefüllten KI Körper. Alice sah ihn bewundernd an und schlüpfte, wie zuvor Li Li, hinein. Auch hier dauerte es eine ganze Weile, bis Alice erschien und über das komplette Gesicht strahlte. Sofort verknüpften sich Alice und Li Li miteinander und tauschten sich aus. Wei Ying sah beiden zufrieden zu, denn falls er nicht zurückkehren würde, hätte er zumindest seine beiden KI glücklich gemacht. Wen Ning stand zwischen ihnen und hörte sich ihr Fachchinesisch an. Niemand bemerkte, wie Wei Ying sich langsam zurückzog. Ich werde euch vermissen. Kurz darauf verschwand er und erschien in der Vorhalle der Unterwelt. "Yanlou! Ich bin zurück. Wo steckst du?" Da von der Vorhalle diverse Wege abzweigten und er nicht genau wusste, welchen er gehen musste, blieb er und wartete, bis Yanlou sich zeigen würde. Wenige Augenblicke später erschien Yanlou aus nordöstlicher Richtung und kam auf Wei Ying zu. Er sah nicht gerade erfreut aus und Wei Ying dachte zunächst, es würde an ihm liegen. Doch als er auf ihn aufmerksam wurde, erhellte sich seine Miene. "A-Ying, gut, dass du hier bist. Es ist zum Verzweifeln. Was ist in der Welt der Sterblichen los? Plötzlich erscheinen Seelen auf meiner Liste, die noch lange nicht an der Reihe waren, aber was noch schlimmer ist, sie können nicht eingesammelt werden." Wei Ying zog seine Stirn kraus, schüttelte seinen Kopf und zuckte mit den Schultern. "Ahh, verzeih, ich vergesse immer, dass ein Teil deiner Seele in der Zukunft auftauchte. Und, hast du dich jetzt einigermaßen gefangen?""Nicht wirklich, wir müssen reden, ich weiß, was geschehen ist." Yanlou sah erstaunt von seiner Liste auf, die er so eben noch studiert hatte. "Wie? Ach, das wirst du mir gleich erzählen, komm, folge mir." Yanlou führte Wei Ying durch die labyrinthartigen Gänge zu seinem Bereich. Wei Ying nahm Platz auf dem ihm zugewiesenen Sessel, während Yanlou seine Liste beiseitelegte und sich mit einer Kürbisflasche und zwei Bechern anschließend gegenübersetzte. Nachdem sie schweigend ihre Becher geleert hatten, erzählte Wei Ying alles, was er an den Grabhügeln erfahren hatte. Yanlou hatte während der Erzählung geschwiegen und nur gelegentlich sein Kinn gerieben. Als Wei Ying geendet hatte, sah er Yanlou fragend an. Nach einer Weile sah Yanlou auf. "Das ist gut, es wird die gesamte Sache erleichtern." Wei Ying sprang erbost von seinem Sessel auf und unterbrach somit Yanlou. Er stieß dabei an die Flasche, die scheppernd zu Boden fiel und ließ den Tisch, der zwischen ihnen stand, arg ins Schwanken geraten. "Wie meinst du das? Warum ist das gut? Weißt du eigentlich, wie ich mich dabei gefühlt habe?""Ah, A-Ying, der gute Wein. Wenn du mich hättest zu Ende reden lassen, wüsstest du, was ich damit meinte." Wütend stapfte Wei Ying durch den Raum. Griff dann zu seiner Flasche und nahm einen kräftigen Schluck daraus und sah Yanlou angewidert an. Es wunderte ihn ein wenig, dass sie immer noch randvoll war. "Was ist überhaupt in dieser Flasche? Das Gebräu schmeckt ekelhaft und warum wird sie nie leer?""Wärst du nicht einfach verschwunden, wüstest du dies auch bereits. Jetzt beruhige und setz dich wieder hin." Wei Ying schob schmollend seine Unterlippe vor, folgte jedoch der Anweisung. Yanlou quittierte dies mit einem Seufzen und atmete tief durch. Dieser Junge, wir müssen A-Zhan schnell finden, sonst dreht er wirklich noch durch.

 Dieser Junge, wir müssen A-Zhan schnell finden, sonst dreht er wirklich noch durch

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Soulmate III: Shackles of DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt