Mittlerweile machte die Dunkelheit sowie die Ungewissheit Lan Zhan fast wahnsinnig. Dazu kam noch der schier unerträgliche Schmerz, der durch seine Eingeweide tobte. Egal, was er auch versuchte, die Fesseln an seinen Handgelenken ließen sich einfach nicht öffnen. Es schien fast so, als ob er seine gesamte Kultivierung verloren hätte. Aber wie konnte dies möglich sein? Er, der eine gesamte Welt mit nur wenigen Hieben seines Schwerts zerstört hatte. Oder war es das Gift, wovon der Wūshī gesprochen hatte? War es ebendieses, das ihn so schwach werden ließ? Wusste sein Vater überhaupt von dem Gift? War er damit einverstanden, dass er, sein einziger Sohn, so von dessen Wūshī behandelt wurde? Seine gesamte Welt brach wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ein Fehler, nur ein Fehler und er wurde nun so hart bestraft. Warum war sein Vater so unnachgiebig? Oder wusste er überhaupt nicht, dass er hier unten gefangen gehalten wurde?! Erneut versuchte er sich an das Geschehen zu erinnern, bevor er hier in Ketten erwachte, doch jeder Gedanke in diese Richtung entglitt ihm sogleich. Das einzige, was immer wieder auftauchte, war ein Gesicht. Ein Gesicht, das ihn weinend und doch gleichfalls mit einem Lächeln ansah. Für ihn fühlte es sich fast so an, als ob er die Person, die ihn anblickte, kannte und dennoch konnte er sich nicht an sie erinnern. Wer bist du nur? Warum sehe ich dich ständig? Was willst du von mir?
*************
"Warum sind wir in den Grabhügeln?" Yanlou sah sich in der Höhle um, "und warum gerade hier in der Bluthöhle?" Wei Ying schwieg und trat unterdessen in die nächste Kammer, dort, wo sich einst seine Schlafstätte befand und die sich nicht verändert hatte. Alles war noch so frisch in seiner Erinnerung, als hätte sich alles erst am Vortag ereignet. Doch es lagen Monate, nein Wei Ying verbesserte sich direkt, Jahre zurück. Viele Jahre. Yanlou folgte ihm und trat neben ihn, doch bevor er erneut fragen konnte, antwortete Wei Ying ihm endlich. "In diesen Kammern befindet sich immer noch meine dunkle Energie. Sie verhüllt unsere Anwesenheit. Warum die Grabhügel? Hier hat es begonnen, hier wird es enden. Das Portal befindet sich draußen. Der Schatten hat uns hergeführt. Es ist seltsam, ich habe es zuvor nicht bemerkt. Wahrscheinlich, weil meine Seele zersplittert war." Yanlou stutzte, sprach jedoch seinen Gedankengang direkt aus. "Warum sprichst du auf einmal von einer Seele? Du hast zuvor immer nur von Essenz gesprochen, A-Ying.""Nun, es gibt da etwas, worüber ich mit dir noch sprechen wollte, etwas, was mir erst wieder bei meiner Rückkehr in die Unendlichkeit bewusst wurde." Wei Ying ließ sich auf seiner alten Schlafstätte nieder und klopfte, mangels weiteren Sitzmöglichkeiten, neben sich. Yanlou folgte der Aufforderung und sah Wei Ying abwartend an. Bevor er jedoch anfing zu erzählen, ließ er sich nach hinten fallen, überkreuzte seine Arme im Nacken und überschlug sein Bein über das bereits aufgestellte. Sein Blick war fest an der Höhlendecke geheftet, doch Yanlou hatte das Gefühl, dass Wei Ying eher durch sie hindurchblickte in eine längst vergessene Zeit. Yanlou hatte mit allem möglichen gerechnet, jedoch nicht mit dieser fast schon traurigen Geschichte. Wei Ying berichtete über die Zeit, als er und Lan Zahn nur Yin und Yang waren, bevor sie sich entschlossen, als Sterbliche zu leben, nachdem sie den Seelenfresser erfolgreich in der Schattenwelt eingesperrt hatten, denn so wie es sich jetzt darstellte, war es kein Zufall, dass sie als Wei Ying und Lan Zhan in dieser Welt lebten. Wei Wuxian, Geburtsname Wei Ying, war bei der Nachtjagd seiner Eltern anwesend und starb gemeinsam mit ihnen. Doch genau zu diesem Zeitpunkt, als die Seele den Körper verlassen wollte, schlüpfte Yin in dessen Körper und somit verbanden sich Essenz und Seele miteinander. Ähnlich war es bei Yang. Da der junge Lan Wangji, Geburtsname Lan Zhan, seine Mutter so sehr vermisste und selbst in bitterkalten Nächten vor ihrem Haus kniete, erfror er in einer besonders kalten Nacht und Yang schlüpfte in ihn. Beide Leben hätten genau in dieser Nacht enden sollen, doch durch die Präsenz einer unsterblichen Essenz, überlebten sie. Somit bekam Yanlou keine Nachricht, dass er diese zwei Seelen sammeln sollte, genau wie der Sternenlord nicht bemerkte, dass die Schicksalsrollen fortgeführt wurden. Jetzt als Sterbliche vergaßen sie ihre zuvor geführte Existenz, sogar nach ihrem irdischen Tod konnten sie sich nur lückenhaft daran erinnern, was in Wirklichkeit geschehen war. Doch jetzt, da er aus der Unendlichkeit zurück war, waren all seine Erinnerungen wieder hergestellt. Wei Ying beendete seine Erzählung mit einem lang gezogenem Seufzer, bevor er sich erhob. "Genau deswegen ist es nur noch dringender geworden, Lan Zhan so schnell wie möglich zu finden, denn wenn er ohne sein Wissen über seine wahre Existenz stirbt, wird die Seele verbrennen und für immer verloren sein. Alles, was Yang und Lan Zhan gemeinsam ausmacht, wird verschwinden." Wei Ying starrte auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand, mit leicht geneigtem Kopf, sodass seine Haare sein Gesicht halb verbargen. Doch Yanlou konnte trotzdem die Tränen sehen, die ihm über die Wangen rannen. Er hatte noch so viele Fragen an ihn, jedoch schwieg er, da es Wei Ying wohl sehr mitgenommen hatte über die Vergangenheit zu sprechen. Auch konnte er nachvollziehen, dass er Angst hatte Lan Zhan zu verlieren. Nach einer Weile des Schweigens stand Wei Ying auf und begab sich in die Vorhalle zum Ausgang. Davor blieb er stehen und sah sich nach Yanlou um, der ihm mit etwas Abstand gefolgt war. "Yanlou, du solltest hier bleiben und auf meine Rückkehr warten. Ich weiß nicht, was mich hinter dem Portal erwartet." Ohne ihn aussprechen zu lassen, fiel Yanlou ihm ins Wort und verneinte. Wei Ying setzte erneut an, doch Yanlou ging direkt an ihm vorbei und öffnete das schwere Tor. "Egal, was uns dort auch erwartet, ich werde an deiner Seite sein und sollte dies unser Ende bedeuten, dann sei es so." Wei Ying schüttelte nur den Kopf, trat an Yanlous Seite und gemeinsam verließen sie die Höhlen. Zielsicher ging Wei Ying zum hinteren Teil der Grabhügel, dort, wo sie die Gräber belassen und gepflegt hatten. Je näher sie dem angestrebten Ziel kamen, umso mehr bemerkte nun auch Yanlou die fremde Energie, die das Portal ausstrahlte, doch konnte er es immer noch nicht sehen. Wei Ying stoppte abrupt und wandte sich erneut an Yanlou. "Noch ist es für dich Zeit zur Umkehr. Wenn wir hindurchgehen, kann ich für nichts garantieren. Es ist möglich, dass dort unsere Kräfte nicht funktionieren. Vielleicht werden wir sofort entdeckt und selbst gefangen genommen." Doch mehr als einen entschlossenen Blick bekam er nicht von Yanlou. Seufzend hob er seine Hand und zeichnete etwas auf Yanlous Stirn, worauf dieser kurz zurückzuckte, um dann plötzlich Wei Yings Stimme in seinem Kopf vernahm. "Na, erschrocken? Jedenfalls deute ich das aus deinem Gesichtsausdruck." "Ja, ein wenig." Wei Ying grinste. "So können wir uns auch, falls wir getrennt werden, unterhalten, sofern es dort überhaupt funktioniert. Und? Bereit?" Yanlou nickte nur zustimmend und holte tief Luft, um sich selbst zu beruhigen. So aufgeregt kannte er sich selbst nicht, was ihm wiederum ein freches Grinsen von Wei Ying einbrachte. "Pass auf, was du denkst. Ich kann dich hören." "Was? Du hörst alles?" "Ja, aber du kannst es unterdrücken." "Und wie?" "Wie war das mit ausreden lassen?" Wei Ying schüttelte gespielt missbilligend den Kopf. "Es funktioniert ähnlich, wie deine Präsenz verschleiern, nur eben machst du dies mit deinen Gedanken, die ich nicht hören soll." Yanlou nickte und dachte zuerst daran, etwas Bissiges zu antworten, unterließ es dann doch lieber. "Sehr gut, du hast den Bogen raus, ich kann deine Gedanken nicht mehr hören." Nun war es Yanlou, der frech grinste. "So wie ich das sehe, hast du gerade etwas Fieses sagen wollen, nun gut, lass uns gehen." Yanlou rollte daraufhin nur mit seinen Augen und dachte bei sich, wie gut Wei Ying ihn doch kannte. Vorsichtig gingen sie weiter zum Portal, das inzwischen auch für Yanlou langsam sichtbar wurde, je näher sie kamen. Beide sahen sich kurz an, nickten und gingen hindurch. Wei Ying hatte fast mit allem gerechnet, jedoch nicht mit dieser düsteren Umgebung, die voller grollenden Energie war. "Spürst du das auch A-Ying?" Wei Ying nickte nur zur Bestätigung, denn er wusste, dass Yanlou bei Weitem nicht das fühlen konnte, was er gerade empfand. Schmerz, Angst, Hass, Wut, Rage, sogar Hilflosigkeit. Dies alles strömte wie eine Urgewalt auf ihn ein und ließ ihn leicht taumeln. Vor ihnen lag ein langer, dunkler Gang. Nur eine kleine Lichtquelle am scheinbaren Ende, war von ihrem Standort auszumachen. Behutsam tasteten sie sich an der Wand, die anscheinend aus Fels bestand, vor. Je weiter sie vordrangen, umso wärmer und heller wurde es. Als sie aus dem Gang heraustraten, fanden sie sich auf einem Vorsprung wieder. "Ist das die Schattenwelt? Es sieht eher so aus, als ob wir in einem Vulkan stecken würden." Yanlou hatte recht, denn das, was sie sahen, glich wahrhaftig dem Inneren eines Vulkans. Das würde auch die extreme Hitze sowie die Lava unten in der Tiefe erklären. 'Haben wir dies alles wirklich erschaffen?' Wei Ying war sich nicht mehr so recht sicher, ob sie sich wirklich in der Schattenwelt befanden, doch behielt er es vorerst für sich. "Der Schatten hat uns hergeführt, wir sollten uns umsehen." Der Vorsprung, auf dem sie sich befanden, lief so weit sie es sehen konnten, rundherum entlang der Wand. Zwei bis drei Personen konnten bequem nebeneinander laufen. Im Zentrum dieser ‚Höhle', wenn man diesen riesigen Raum so bezeichnen wollte, ragte ein wahrer titanischer Fels aus der Tiefe empor. Darauf waren Gebäude zu sehen. Eines davon, Wei Ying nahm an, dass dies wohl ein Palast sein sollte, überragte alle anderen um viele Längen. Die einzige Lichtquelle war die glühende Lava, die in der Tiefe zwischen weiteren großen und kleinen Felsen blubbernd vor sich hin floss. Eben solche hingen auch an der Decke. Für Wei Ying sahen sie fast aus wie Stalaktiten und Stalagmiten, die er einmal in einer Dokumentation in der Zukunft gesehen hatte. Während er noch dieses Wunderwerk bestaunte, stupste ihn Yanlou an. "Hörst du mir überhaupt zu?" "Mh? Oh, verzeih', ich war von diesen Felsen fasziniert." Yanlou grummelte leise etwas vor sich hin, worauf Wei Ying direkt den Finger an seine Lippen führte, um ihn darauf hinzuweisen, dass jegliches Geräusch von den Wänden als Echo wiedergegeben werden würde. Bis jetzt wurden sie noch nicht entdeckt, wobei es Wei Ying äußerst seltsam fand, dass sie hier noch niemanden begegnet waren. "Ja, verstanden, aber was jetzt? Wie kommen wir dort rüber?" "Wir sollten uns aufteilen, du gehst dort entlang und ich in die andere Richtung. Von hier aus kann ich keinen Übergang oder eine Brücke sehen. Wir treffen uns auf der gegenüberliegenden Seite wieder." Yanlou nickte zur Bestätigung und so machten sich beide auf den Weg. Wei Ying war erst wenige Schritte gelaufen, als Yanlou ihm zurief. Er drehte um und sah, dass Yanlou wieder bei dem Gang stand, doch auch erkannte er nun, warum er ihn zurückbeordert hatte, denn genau dort befand sich der Übergang, den man, wenn man davor stand, nicht erkennen konnte. 'Eine optische Täuschung, warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?' Jetzt, von Weitem betrachtet, sah man deutlich, eine Brücke oder eher gesagt ein Steg, denn es fehlte ein Handlauf. Gestützt wurde er durch die darunter befindlichen Felsen. Aus diesem Winkel betrachtet konnte Wei Ying erkennen, dass dies der einzige Weg war, um hinüberzugelangen. Er sah sich erneut um und bemerkte weitere Stege, die vom Hauptfelsen nach unten führten, wo sich wiederum Öffnungen zeigten, gesäumt von einem weiteren Felsvorsprung. Somit gab es drei Ebenen. Wei Ying, der nicht wirklich Lust hatte, diese Pfade zu Fuß abzulaufen, sprang zur untersten Ebene, worauf er die Maßregelung von Yanlou ertragen musste, dem vor Schreck fast das Herz stehen geblieben war. "Hör auf zu meckern und komm hier runter. Ist doch gut gegangen." "Ernsthaft? Manchmal würde ich dich am liebsten erwürgen für deine Unvorsichtigkeit." "Ayo, dann wäre der Kampf eben jetzt schon losgegangen." "Kampf? Wer redet hier von Kampf?! Ich dachte, du verbrennst in der Lava!" Den letzten Satz ignorierte Wei Ying und machte sich daran, in den nächstgelegenen Gang zu gehen. Als Yanlou dies sah, beeilte er sich und folgte ihm geschwind. "Du hättest auch warten können." Doch auch darauf bekam er keine Antwort. Gemeinsam betraten sie nun den Gang, der absolut finster war. Nach wenigen Schritten teilte er sich in zwei Teile. Wei Ying horchte in beide Richtungen, jedoch war es absolut still. Nur das entfernte, zischende Geräusch der Lava war zu hören. "Und? Welche Richtung?" "Rechts." Yanlou wollte zuerst fragen, warum gerade rechts, doch Wei Ying war bereits weitergegangen, somit hatte er keine andere Wahl als ihm zu folgen. Der Gang führte sie in eine kleine Höhle, kaum größer als eine Hütte. Sie war bis auf die am Boden liegenden Schlafmatten leer. Derselbe Anblick in der nächsten und übernächsten, wobei sie feststellten, als sie wieder am Felsvorsprung ankamen, dass die Mittlere etwa doppelt so groß war. Sie überprüften die weiteren Gänge, fanden jedoch in allen dasselbe vor. "Nur Schlafstätten, was glaubst du, wo die dazugehörigen Inhaber sind?!" Wei Ying zuckte nur mit den Schultern und deutete auf die mittlere Ebene. Nachdem sie diese ebenfalls gründlich erkundet hatte, waren beide etwas ratlos, denn auch auf dieser befanden sich nur Schlafstätten, jedoch mit einem Unterschied. Hier war alles äußerst unordentlich und zerwühlt. Wei Ying lehnte sich an den Fels und kratzte sich an der Nase. 'Wenn dies wirklich die Schattenwelt sein soll, wie konnte das alles entstehen?! Wo sind die Schatten? Warum ist es hier so still? Haben sie uns bereits bemerkt und stellen uns eine Falle?!' Ohne seine Gedanken mit Yanlou zu teilen, sah er sich die Umgebung erneut genaustens an. Bis sein Blick auf dem riesigen Fels haften blieb. Er legte den Kopf schief und im nächsten Moment stieß er sich ab und landete am Fuße des Felsens. "A-Ying! Könntest du das mal lassen? Ich komme mir langsam wie ein Schoßhund vor, der seinem Herrn blind überallhin folgt." Wei Ying grinste ihn wieder einmal nur frech an, als Yanlou kurz darauf neben ihm stand. "Ayo, Yanlou, warum immer so dramatisch?! Hier sie, was ich entdeckt habe."
DU LIEST GERADE
Soulmate III: Shackles of Darkness
FanfictionTräume ... Haben Träume eine Bedeutung, vor allem, wenn es immer derselbe ist? Dies fragt sich Wei Xian fast jeden Morgen, wenn er schweißgebadet erwacht. Es begann alles in der Nacht zu seinem 16. Geburtstag und das ist jetzt 14 Jahre her. _____...