Wei Ying erwachte mit rasenden Kopfschmerzen. Er hob seinen Arm und legte ihn auf seine geschlossenen Augen. Ahhh, was für ein Albtraum. "Alice, kannst du für mich einen Kaffee aufbrühen? Aber bitte dieses Mal nicht entkoffeiniert, ich benötige jetzt etwas Starkes." Keine Antwort. "Alice, bitte, was habe ich dieses Mal angestellt, dass du schmollst?!" Erneut keine Antwort. Wei Ying seufzte und rieb sich mit geschlossenen Augen die Schläfen, die im Rhythmus seines Herzschlags pulsierten. Ein leises Säuseln traf seine Ohren. Mh, der Zimmerbrunnen hört sich heute aber seltsam an. Er schnupperte in die Luft und rümpfte kurz darauf seine Nase. Wieso riecht es hier so merkwürdig? "Bei den Himmeln, du bist endlich erwacht, A-Ying." Wei Ying setzte sich erschrocken auf, blinzelte, da er seine Umgebung nur verschwommen wahrnehmen konnte. Erneut jagte ein Blitz durch seinen Kopf und er ließ sich erschöpft nach hinten fallen. "Alice, bitte, spiel keine Spielchen mit mir, mein Kopf bringt mich um." Sein Bett gab an einer Stelle nach, so als ob sich jemand zu ihm gesetzt hätte. Dann spürte er eine Hand an seinem Nacken, die ihn leicht anhob und ihm ein Becher an den Mund hielt. "Ganz ruhig, A-Ying, trink das, dann geht es dir gleich besser." Ich muss immer noch träumen, diese Stimme, ich kenne sie, aber. Langsam floss die angewärmte Flüssigkeit seinen Rachen hinab. Wei Ying würgte, da sie äußerst bitter war, jedoch bemerkte er, dass seine Kopfschmerzen nachließen, somit unterdrückte er den Reiz und schluckte. Er hörte, wie der Becher abgestellt wurde und das Plätschern von Wasser. Jemand legte ihn vorsichtig ein feuchtes Tuch auf die Stirn und streichelte sanft seinen Kopf. Wei Ying öffnete seinen Augen einen Spaltbreit und konnte die Silhouette eines Mannes erkennen. "Lan Zhan?" Es war nur ein Flüstern, doch die Person musste es gehört haben. "Nein, A-Ying, ich bin es, Yanlou. Was ist nur mit euch geschehen?!" Wei Ying zog die Stirn in Falten und schloss seine Augen wieder. "Yanlou? Ich, ich erinnere mich an den Namen, aber." "Schhh, ruh' dich noch etwas aus und lass die Medizin wirken." Das Gewicht neben ihm verschwand und Schritte entfernten sich von ihm. Er hörte erneut das Säuseln und jetzt auch klappern von Geschirr. Der Schmerz in seinem Kopf verschwand immer mehr und auch seine Gedanken klärten sich. Wei Ying nahm das Tuch von seiner Stirn, setzte sich auf und besah sich seine Umgebung. Der Ort kam ihm seltsam vertraut vor, so als ob er bereits einmal hier gewesen sei. "Ähm, Verzeihung? Kann es sein, dass ich schon einmal hier war?" Yanlou drehte sich um, kam auf ihn zu und setzte sich neben ihn. "Ja, du warst regelmäßig hier, aber nur zu Besuch, nicht, dass du meinst, ich hätte deine Seele geholt." Wei Ying sah ihn verwirrt und fragend an. "A-Ying, woran kannst du dich erinnern? Nur an meinen Namen, oder auch wer ich bin? Weißt du, was für ein Ort dies ist?""Ich bin mir nicht sicher" und legte dabei seinen Kopf schief. "Du bist hier in Diyu, der Unterwelt und ich bin Yanlou, der Herrscher von Diyu." Wei Ying wurde blass und sah Yanlou ängstlich an. "Bin ich, bin ich etwa gestorben?" Yanlou warf seinen Kopf in den Nacken und fing lauthals an zu lachen. Als das schaurige Echo von den Wänden widerhallte, zuckte Wei Ying unmerklich zusammen und rückte ein ganzes Stück weit weg, um Abstand zu gewinnen. Nachdem Yanlou sich beruhigt hatte, sah er Wei Ying ernst an. "Nein, A-Ying, noch nicht ganz, jedoch, wenn wir nicht schnell handeln, weiß ich nicht, was mit dir geschieht. Deine Seele ist zersplittert und wir müssen so schnell wie möglich die übrigen Fragmente finden." Wei Ying zitterte leicht, schloss seine Augen, da der Schwindel wieder einsetzte und das Chaos in seinen Gedanken erneut aufflackerte. Sofort sprang Yanlou auf, hastete zum Tisch und kam mit einem Becher zurück. "Hier, schnell, trink das, oder ich verliere dich wieder." Hastig nahm Wei Ying den Becher und leerte ihn in einem Zug. Unmittelbar bemerkte er, wie Ruhe in seinen wirren Gedanken eintrat. Erneut verzog er das Gesicht wegen der Bitterkeit. "Ayo, muss das Gebräu so bitter sein? Das bekommt man ja kaum hinunter, aber, was meintest du mit verlieren?" Yanlou nahm ihm den Becher ab und strich mit den Fingern an seinem Kinn herum, so als ob dort ein Bart wäre, den er glatt streichen musste. Er schippte mit den Fingern und ein Seil erschien in seiner Hand. Ohne Vorwarnung fesselte er Wei Yings Hand mit der seinen aneinander. Wei Ying starrte auf sein Handgelenk und sah Yanlou danach wütend an. "Was zur Hölle soll das?" Yanlou grinste darauf nur. "Nun, so kannst du mir nicht mehr davonspringen. Deine Gedanken sind nicht fokussiert, du reist zwischen den Welten herum, ohne es zu wissen. Nun sieh mich nicht so wütend an, ich werde es dir schon noch erklären." Schmollend wandte sich Wei Ying von ihm ab und wollte seine Arme verschränken, jedoch hielt das Seil ihn davon ab. Entnervt sah er Yanlou an. "Ja, dann los, ich bin ganz Ohr.""Nun gut. Zuerst beantworte mir eine Frage. Wer bist du?" Wei Ying sah ihn verwirrt an und schüttelte unverständlich leicht seinen Kopf. "Wie? Was meinst du damit, wer ich bin?""Das war eine einfache Frage, wer bist du?""Ich bin Wei Ying, ähm, oder zuletzt Wei Xian. Ich arbeite zusammen mit meinem Ziehbruder Jiang Yin in meinem Atelier und kam nach Suzhou, um Urlaub zu machen, wegen meiner Albträume. An der Felswand wurden meine Erinnerungen wieder erweckt.""Das ist aber noch nicht alles, also, noch einmal meine Frage. Wer bist du wirklich? Oder kann ein gewöhnlicher Sterblicher zwischen den Welten hin und her springen?" Schwindel und Übelkeit ergriffen erneut von Wei Ying Besitz, sodass er seine Augen schließen musste. Doch dadurch wurde es schlimmer, denn nun blitzen wieder rasend schnell Bilder auf, die er nicht greifen konnte. Er fühlte, wie sein Körper sich auflösen wollte, doch etwas hielt ihn davon ab. Entfernt hörte er eine Stimme nach ihm rufen. "A-Ying, reiß dich zusammen, du musst den Fokus behalten, sonst wird dich das Chaos beherrschen und verschlingen." Chaos, das Chaos verschlingt mich. Nein, ich bin das Chaos. Ich beherrsche das Chaos, es ist mein Werkzeug. Ich bin, ich bin der Gott des Chaos, ich bin Yin, die Dunkelheit. Während Wei Ying seinen inneren Kampf ausfocht, konnte Yanlou die Veränderung bei ihm erkennen. Sein ursprüngliches Ich kam zum Vorschein. Kleidung, Haare, selbst die Gesichtszüge änderten sich. Schwarz-violetter Nebel bildete sich um seinen Körper und als Wei Ying schließlich seine Augen wieder öffnete, lächelte Yanlou ihn zufrieden nickend an. "Da ist er ja wieder. Willkommen zurück, unsterblicher Wei Ying, jetzt können wir beginnen deine Seelenfragmente zu suchen, jedoch solltest du dies dabei stets bei dir behalten." Daraufhin reichte Yanlou ihm eine Kürbisflasche. Wei Ying nahm sie, entkorkte sie und roch daran. "Ayo, Yanlou, das ist das eklige Gesöff, das du mir eingetrichtert hast. Muss das sein?""Ja, muss es, oder willst du wieder desorientiert herumwandern? Die Medizin nimmst du, falls es nötig ist, um deine Gedanken zu ordnen." Wei Ying hängte sie mit einem angewiderten Gesicht an seinen Gürtel und verdrehte die Augen. "Und hör auf, solch ein Gesicht zu ziehen, ich hab's gesehen.""Ayo, du bist fast wie Alice, die nörgelt auch immer an mir herum.""Alice? Genau, wer ist das überhaupt? Du hast nach ihr gerufen, als du aufgewacht bist." Sich an der Nase kratzend, überlegte Wei Ying, wie er das am verständlichsten erklären könnte. "Ähm, ja, mh, wie soll ich? Also in der Zukunft, wo ich jetzt lebe, gibt es etwas Ähnliches wie Magie, es nennt sich Technologie und Alice ist eine KI, eine künstliche Intelligenz, du kannst sie aber wie einen guten Geist betrachten, denn sie hat keinen greifbaren Körper, sie hilft mir bei den täglichen Arbeiten." Yanlou konnte man ansehen, dass sich lauter Fragezeichen in seinem Gehirn bildeten. "Ach, lassen wir das. Wie kann ich meine Seelenfragmente finden und sie wieder zusammen fügen? Doch das wichtigste ist, wo ist Lan Zhan?""Dasselbe wollte ich dich auch fragen, somit weißt du es also auch nicht." Wei Ying starrte Yanlou an, stand abrupt auf, um sofort wieder neben ihn zu sinken, denn das Seil hielt ihn zurück. Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte er auf sein Handgelenk und sah danach Yanlou missbilligend an. "Oh, das hatte ich vollkommen vergessen. Warte, ich löse das Seelenband augenblicklich.""Seelenband?""Ähm, ja, du warst nicht du selbst, also habe ich deine Seele kurzfristig an mich gebunden.""Yanlou?!""Ah, schau nicht so, glaubst du, ich wollte dich hier einsperren? Wie kannst du nur so von mir denken?!" Nun war es Yanlou, der sich schmollend abwandte. Wei Ying lief indessen nachdenklich im Raum auf und ab. So viele Gedanken und Erinnerungen, aber warum kann ich mich nicht daran erinnern, was mit Lan Zhan und mir passiert ist? Ich sehe unsere zusammen verbrachten Leben, aber nicht den Zeitpunkt unserer Trennung. Selbst das, was Wen Ning mir erzählt hat, ist mir fremd. "A-Ying? Vielleicht sollten wir darüber sprechen, was geschehen ist, ich meine, mit den neun Himmeln, den drei Wildnissen und den Unsterblichen." Wei Ying blieb stehen und drehte sich zu Yanlou um. "Was ist mit ihnen?" Doch bevor Yanlou antworten konnte, fiel Wei Ying der zerstörte Pfirsichhain ein. "Sieht es überall so aus? So wie im Pfirsichhain? Was ist mit dem alten Phönix und dem Sternenlord? Geht es ihnen gut?" Yanlou drehte sich von Wei Ying weg, da er nicht wollte, dass man ihn, den Herrn der Unterwelt, weinen sah. Verstohlen wischte er die Tränen fort, die seine Augen bereits verlassen hatten. Bevor er Wei Ying antwortete, räusperte er sich kräftig. "Sie sind fort, ich weiß nicht, ob sie überhaupt noch leben." Wei Ying trat neben Yanlou, griff seinen Arm, damit er ihn ansah. "Götter und Unsterbliche können nicht so einfach sterben, außer sie werden mit einer göttlichen Waffe getötet und das wiederum würde heißen." Wei Ying wagte es nicht diesen Satz zu beenden, denn das würde heißen, es war jemand aus den eigenen Reihen. Yanlou sah ihn bitter an. "Ja, auch wenn du es nicht aussprichst, genau das würde es heißen. Ich möchte dich nicht verdächtigen, aber wo ist dein Amulett?" Entsetzt über das soeben Gehörte, ließ Wei Ying Yanlou los, so als ob er sich verbrannt hätte. Ja, wo ist mein Amulett? Ich weiß es nicht, ich, nein, ich würde mich doch daran erinnern. Warum sollte ich so etwas Furchtbares machen? Ein weitaus schlimmerer Gedanke formte sich in seinem Kopf. Was ist, wenn es Lan Zhan war? Wäre er dazu in der Lage? Nein, Wei Ying, hör auf damit. "Ich sehe, wir denken gerade an dasselbe, jedoch beabsichtigte ich nicht weiter darüber nachzudenken. Ich will und kann das nicht glauben, von keinem von euch beiden." Wei Ying taumelte, schüttelte immer wieder den Kopf, während Tränen seine Wangen hinabliefen. "Ich, ich kann nicht, ich, ich muss allein sein, es tut mir leid, Yanlou." Bevor Yanlou realisierte, was geschah, war Wei Ying verschwunden. Er spürte, wie Wei Yings Präsenz verblasste, somit konnte er ihm nicht folgen. A-Ying, Junge, bitte mach nichts Unüberlegtes.
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Wen Ning sprang in Panik auf, als Wei Ying so plötzlich wieder vor ihm erschien. "W-Wei Shàoyé, w-wo wart ihr? W-wieso seht ihr jetzt wieder, w-wie früher aus?""Verzeih, Qionglin, aber ich habe im Moment nicht den Kopf dazu, dir alles zu erklären." Ohne weiter auf Wen Ning zu achten, rannte er los in Richtung des Kalten Frühlings. Er wusste, dass er dort die nötige Ruhe hatte, um über alles nachzudenken. Kaum war er dort angekommen, entledigte er sich seiner Kleidung und ging nur im Untergewand in das eisig kalte Wasser. Sogleich fing er an zu zittern. Ohhh, so kalt hatte ich es gar nicht in Erinnerung. "Master Wei! Verlassen sie sofort das Wasser, es ist viel zu kalt! Sie werden sich erkälten.""Ayo, dich hatte ich ja vollkommen vergessen. Nein, Alice, das ist jetzt genau das, was ich benötige, um zu meditieren, also bitte sei still.""Aber?!""Alice!!!" Sofort verstummte die KI. Wei Ying seufzte, setzte sich an den Rand auf einen Felsen, schloss seine Augen und begann mit der Meditation. Er spürte, wie die Energie durch ihn hindurchfloss und sich in seinem Qi sammelte. Nach einer Weile öffnete er seine Augen wieder und er fühlte sich ein wenig ruhiger als zuvor. Er atmete noch ein paar mal tief durch, erhob sich und verließ das Wasser. Während er sein Obergewand anzog, bemerkte er eine leichte Vibration von Energie, die ihm bekannt vorkam. Chenqing? Meine Flöte?! Wie kann sie hier sein? Ohne darüber großartig nachzudenken, sprang er zu dem Ort, an dem er sie erfühlt hatte. Nun befand sich Wei Ying in einer Höhle, die, als er sich umsah, bewohnt aussah. Hat Wen Ning die gesamte Zeit hier gelebt? Etwas stupste ihn am Bein und als er nach unten sah, wollte er zuerst seinen Augen nicht trauen. Mit einem freudigen Aufschrei ging er in die Knie und hob das indessen vor Schreck zitternde schwarze Kaninchen auf. "Du lebst, ich kann es kaum glauben, aber du lebst tatsächlich noch." Während er noch vertieft darin war, das Kaninchen zu kuscheln, wagten sich jetzt auch die anderen aus ihrem Versteck und umringten Wei Ying. "Ihr lebt ja alle noch." Tränen der Freude traten in Wei Yings Augen, als sich die übrigen weißen Kaninchen fast darum stritten, nahe bei ihm zu sein. "Habt ihr mich vermisst? Ja, das habt ihr, mh?" Wegen der überschwänglichen Freude hätte er fast vergessen, warum er hierherkam. Also legte er die Kaninchen, die sich auf seinem Schoß eingerollt hatten, vorsichtig ab und stand langsam auf. Wei Ying steuerte direkt das Regal, was in einer Nische stand, an und da lag sie. Seine Flöte, seine Chenqing. Als er nach ihr griff, bemerkte er, dass dort noch etwas lag. Etwas, das auch auf ihn reagierte. Wei Ying nahm den verschnürten Gegenstand und wickelte ihn vorsichtig aus. Suibian? Warum ist mein Schwert auch hier? Wei Ying kratzte sich an der Nase und überlegte, wie es sein konnte, dass sein Schwert hier bei Wen Ning war. In Gedanken ging er alle ihm bewussten Leben durch, doch nichts deutete darauf hin, dass er es ihm gegeben hatte. Ich sollte mit Wen Ning über das Leben reden, das er erwähnt hat und ich nicht kenne. Nachdem er sein Schwert komplett ausgewickelt hatte, ließ er es erst einmal verschwinden und steckte nur seine Flöte sichtbar in seinen Gürtel. Wei Ying verließ die Höhle, so wie er gekommen war und erschien wenige Augenblicke später wieder dort, wo einst das Jingshi stand. Wen Ning saß immer noch dort und spielte mit seinen Ketten herum. Als er Wei Ying bemerkte, sprang er sofort auf und eilte auf ihn zu. "W-Wei Shàoyé, geht es euch jetzt b-besser?""Ja, Qionglin, komm setzen wir uns. Ich würde jetzt gerne mit dir über alles sprechen, ist das für dich in Ordnung?" Wen Ning nickte eifrig und gemeinsam setzten sie sich auf ein Stück Rasenfläche.
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Soulmate III: Shackles of Darkness
FanfictionTräume ... Haben Träume eine Bedeutung, vor allem, wenn es immer derselbe ist? Dies fragt sich Wei Xian fast jeden Morgen, wenn er schweißgebadet erwacht. Es begann alles in der Nacht zu seinem 16. Geburtstag und das ist jetzt 14 Jahre her. _____...