Zwischen zwei Welten. - Teil 4

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Als ich direkt den Weg zur Theke antrete, sehe ich schon meine Großmutter Chiara, sie grinst mich von weitem an. In mir breitet sich Wärme aus, als sie um die Theke geht und mir mit ausgebreiteten Armen entgegen kommt ''Martina, meine kleine Maus.''

Sie drückt mich fest und gibt mir einen Kuss an die selbe Stelle, an die mich auch Matthias zuvor geküsst hat. Ich sehe sie fragend an ''Was ist denn heute los? Wieso sind hier so viele Leute?''

Großmutter lächelt:''Vielleicht ein kleines.. Weihnachtswunder?''
Ich grinse, meine Großmutter ist wirklich eine Verrückte, wahrscheinlich wird sie mir noch etwas von Elfen erzählen, die unsere Buchhandlung mit einem guten Zauber belegt haben. Großvaters weißer Haarschopf schaut aus einem der Kochbuchregale heraus ''Chiara übertreibt mal wieder! Es ist doch bald Weihnachten. Die Leute brauchen um diese Zeit unbedingt Geschenke und mit Büchern kannst du nie etwas falsch machen.''

''Ach Alessio, ich übertreibe nicht!''

Ich lache und gehe auf ihn zu ''Hallo Großvater.''

''Hallo mein Spatz!'', er drückt mir einen Kuss auf die Stirn ''Wie war die Schule heute?''

''Ganz okay..'' ich zucke gleichgültig mit den Schultern und ziehe Jacke, Mütze, Schal und Handschuhe aus. Dann laufe ich in das Lagerhaus und packe meine Sachen weg, bevor ich wieder zu Großvater Alessio gehe.

''Habt ihr die Matheklausur zurückbekommen?''

Ich nicke – meine Eltern interessieren sich immer nur für meine Noten und ich muss den ganzen Tag über lernen. Nichts anderes, gute Noten sind höchste Priorität, umso überraschter bin ich, als mein Großvater mich ausfragt. Das war ich nicht von ihm gewohnt. Denn im Gegensatz zu meinen Eltern, interessierten sie sich nicht so sehr für meine schulischen Erfolge.

''Und? Was hast du?''

''Natürlich eine eins.'', sage ich und gehe auf die Rolltreppe zu – solche Verhöre hatte ich schon genug mit meinen Eltern! - kurz vorher drehe ich mich noch einmal um. ''Ihr scheint hier alles im Griff zu haben, wenn ihr mich braucht – ich bin oben in der ersten Etage.''

Großmutter lächelt mich liebevoll an, dann ist sie auch schon aus meinem Blickfeld verschwunden.

Nein, ich bin nicht eingebildet, aber meine Noten waren immer gut – was anderes war ich einfach nicht gewohnt. Dieser Zustand durfte sich auch nie ändern, sonst würden mir Mama und Papa noch die paar Dinge nehmen, die sie mir noch genehmigten, aber auch nur mit viel Betteln, guten Argumenten und Kämpfen. Ich darf nicht viel, bis gar nichts – fast nie raus, kaum Freunde treffen, kein Alkohol, nicht rauchen, keinen Freund oder allgemein Jungs (bis auf Matthias, meine Mutter liebt ihn fast genauso sehr wie ich), keine Partys, Drogen. Im Großen und Ganzen: ich werde ziemlich streng erzogen.
Ab und zu gebe ich auch Nachhilfe, meist für meine Mitschüler, so verdiene ich mir nur noch mehr dazu. Oft werde ich dumm angemacht von ein paar aus meiner Klasse oder einer Parallelklasse. Letztens war es Valentino – der Mädchenschwarm meiner gesamten Stufe, er war in meiner Parallelklasse und ich musste zugeben er war wirklich unglaublich hübsch, aber ein mieses Arschloch.
''Martina!'' hatte er gerufen und ich mich umgedreht.
''Ja?''
''Könntest du mir Nachhilfe geben?'', er lächelte mich umwerfend an. Dann sah ich schon seine Freunde Emre, Alexander und Michael am Ende des Ganges, sie lachten so laut, dass es bis hin zu uns drang. Auch wenn die Gänge voll waren, ich versuchte mich zusammenzureißen und musterte ihn skeptisch ''Achja? Und in welchem Fach?''

''Biologie.'', beim Grinsen, blitzten seine weißen Zähne und ich schien geblendet zu sein. Mein Misstrauen wurde größer und auch das Lachen, der drei Jungs dahinten wurde lauter ''Welches Thema habt ihr denn gerade?''

''Sexualkunde.'', sagte er einfach und ich drehte mich um und ging, ohne auf seine Rufe oder auf das Lachen der Jungs zu achten. Die Jungs fragen mich oft nach Nachhilfe, Mädchen kommen eigentlich kaum bis gar nicht. Und 80 % dieser Nachhilfeschüler hatten versucht mich zu küssen. Vergeblich, denn ich achtete sehr auf meinen ersten Kuss – ich wollte ihn von einem ganz bestimmten Jungen bekommen und ich konnte mir schon denken wer es war.

Zufrieden lasse ich mich auf einen der alten, braunen Ledersessel im ersten Stock fallen und schnappe mir eins der Bücher, dass ich beim Kommen rausgesucht hatte. Es geht diesmal um eine Liebesgeschichte, die in Italien spielt. Wobei ich eigentlich eher auf Fantasy stehe, aber Emilia hat mir so sehr von diesem Buch vorgeschwärmt, da weckte sie einfach meine Neugierde und ich las jetzt den ersten Band. Von sieben.
Das war noch die Zeit in der sie gerne las und einfach der Mensch war, den ich kannte. Wie sie sich doch verändert hatte, meine kleine Emilia. Sie trieb sich nun mit Leuten herum, die ich nicht ausstehen konnte.

Ich sehe mir noch einmal das Cover an, ein Junge und ein Mädchen sind darauf zu sehen. Das Mädchen unscheinbar und der Junge ein unglaublich hübscher Typ. Wie ich solche Bücher liebe, die in Italien spielen und dazu noch eine Liebesgeschichte! – aber die meisten Geschichten spielen in Amerika oder Deutschland, was mich ziemlich deprimiert, aber trotzdem lese ich sie gerne. Lesen ist einfach toll – man versetzt sich in eine Person, die man nie sein wird und vergisst alles um sich herum. Entweder taucht man in die Welt der Vampire und Werwölfe ein, oder in die der Zauberer und Feen oder doch lieber die der großen und sprechenden Tiere? Oder man lässt sich von einer verführerischen und schönen Liebesgeschichte leiten – wenn mir schon selber so etwas nicht passiert, dann darf man ja wohl wenigstens träumen!

Nachdem ich einige Stunden nun schon in mein wunderschönes Buch versunken bin, höre ich lautes Lachen und einen dumpfen Knall. Vorsichtig lege ich das Buch mit dem Lesezeichen auf den kleinen Holztisch neben mir und stehe auf – die Geräusche kommen aus der Richtung, in der die Kalender stehen. Unbeirrt gehe ich weiter und sehe eine Gruppe Jungs vor ein paar Kalendern stehen.

''Alter Phil, guck dir die mal an!''

''Scheiße, hat die geile Titten!''

Lautes Lachen. Ich atme tief ein und aus und gehe auf die Jungs zu, vier Augenpaare mustern mich skeptisch. Die letzten Beiden sehen erst später auf, der Junge der ganz in der Mitte steht sieht von dem Kalender in seiner Hand auf. Halbnackte Frauen posieren vor der Kamera – um seine Mundwinkel zuckt es. Er mustert mich skeptisch, seine Augen sind golden und blau/grün, aber eher mehr Gold ''Was kann ich für dich tun?''

Ich fasse mich wieder, geblendet von seiner Schönheit – oder sind es nur die Augen, die mich blenden? Denn solche Augen habe ich noch nie zuvor gesehen, ich räuspere mich ''Könntet ihr etwas leiser sein?''

Er lacht, aber es klingt spöttisch ''Wieso? Wirfst du uns sonst raus?''

Ich verenge meine Augen ''Eigentlich schon, ich kann natürlich auch ein paar andere Leute rufen die euch herauswerfen, aber ich denke es ist nicht so peinlich, wenn ihr von alleine geht. Also..'', ich zeige auf die Rolltreppe. ''Da unten ist die Tür!''
Der Junge schnurrt leise und lacht dann, als er an mir vorbeigeht winkt er seine Freunde zu sich ''Lasst uns gehen Leute. Aber glaub mir, ich komme wieder.''

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