2 | Das, in dem ich schreien will

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Ich wusste ich würde mein altes Ich dafür verfluchen die Batterien aus dem Wecker genommen zu haben. Mom weckte mich, als es eigentlich schon zu spät war. So hatte ich auf meinem Schulweg weder anständig gefrühstückt noch meine Haare ordentlich gekämmt. Ich war kurz vorm Zusammenbruch. Und dabei war gerade einmal der erste Schultag nach den Ferien. Die Lehrer würden genauso wenig Lust haben auf den Unterricht wie wir Schüler.

Mom hatte meine Hektik stumm belächelt.

„Ich hab mich schon gefragt, wann du das erste Mal verschlafen wirst. Sei froh, dass es nur der erste Schultag nach den Ferien ist und nicht ein Tag an dem du eine Klausur schreibst."

Sie gab mir einen Abschiedskuss auf die Wange und ich eilte los. Meine Laune war jetzt schon im Keller. Dabei begann der Tag eigentlich ziemlich schön. Natürlich nur, wenn man davon absah, dass ich viel zu spät dran war. Der Himmel war noch dunkel und durch die Straßen waberte ein undurchdringlicher Nebelschleier. Noch erreichte das Thermometer keine Minusgrade, aber das war nur noch eine Frage der Zeit. Spätestens wenn Weihnachten endlich vor der Tür stand.

Im November wurde es langsam, aber sicher Zeit an Weihnachten zu denken. Wann würden die ersten Weihnachtsmärkte öffnen? Welche Geschenke sollte ich Paul und Mom dieses Jahr kaufen? Wann würden wir die ersten Weihnachtskekse backen? Wie oft würde Drei Haselnüsse für Aschenbrödel wohl dieses Jahr im Fernsehen laufen? Und wie viele Male würde ich es letztendlich schauen? Ich lächelte stumm vor mich hin.

Wenn der Sommer vorbei war, begann für mich für gewöhnlich die Vorfreude auf Weihnachten. Alles bekam plötzlich einen magischen Touch. Wenn dann die Weihnachtslichter in Form von Sternschnuppen an der Hauptstraße aufgehangen wurden, wusste ich, dass uns die schönste Zeit des Jahres bevorstand. Selbst die kahlen Bäume (die Stimme meiner Mutter, die mich fragte, wie ich etwas Sterbendes schön finden konnte, hallte in meinem Kopf wider) bekamen durch die blinkenden Lichterketten einen neuen Glanz. Momentan deutete leider noch nichts darauf hin, dass in ein paar Wochen Weihnachten sein würde. Ich vergrub meine Hände in den Jackentaschen. So kalt war es schon lange nicht mehr gewesen. Meine Nase fühlte sich bereits an wie ein einziger Eisklumpen, obwohl ich sie in den Stoff meines Schals steckte.

Das letzte Stück meines Schulweges führte durch den Wald, der an diesem Morgen etwas besonders Mysteriöses ausstrahlte. Die Nebelschwaden waren auch hier so dicht, dass man kaum weiter als zehn Meter sehen konnte. Gelegentlich trat ich auf einen Ast, der unter den schillernd bunten Herbstblättern verborgen lag. Das leise Knacken schallte in die Stille. Früh morgens hatte ich zwischen den Bäumen öfter Rehe entdeckt und auch an diesem Morgen hielt ich Ausschau, ob eines sich vielleicht versteckt hielt oder mich insgeheim beobachtete. Meine Schritte waren jedoch so laut, dass die Tiere bestimmt längst das Weite gesucht hatten.

Die Schule sah so aus wie immer, als sie zwischen dem Geäst auftauchte und sich der Nebel endlich etwas lichtete. Die grauen Betonwände sahen sogar noch trostloser aus als normalerweise. Ein Schauer lief über meine Arme und ich zitterte leicht. Der Schulhof lag verlassen da. Die meisten Schüler saßen wohl bereits in ihren Klassenzimmern oder lungerten im Foyer herum. Hauptsache irgendwo, wo es warm war.

Erst als ich wieder im Trockenen stand, lockerte ich den Schal um meinen Hals. Die Heizung arbeitete auf Hochtouren und pustete dicke warme Luft durch die Gegend. Dagegen kam nicht einmal ein geöffnetes Fenster an. Mein Blick huschte zu meinem Smartphone und ich atmete erleichtert aus. Das war noch genug Zeit, um dem Bistro einen kurzen Besuch abzustatten und endlich mein Frühstück nachzuholen. Kurz dachte ich der Tag könnte doch noch entspannt werden. Doch wie hieß es so schön: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

Ich hatte mir fest vorgenommen ihn zu ignorieren. Ihn und seine ganze Bagage. Das hielt mich zwar nicht davon ab an ihn zu denken, war aber allemal besser als im von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen und sich mit dieser Konfrontation auseinandersetzen zu müssen. Ich gab es nur ungern zu, aber in den Herbstferien hatte ich viel zu oft an den Jungen mit den blau-braunen Augen gedacht. Und an unsere erste Begegnung nach den Ferien. So hatte ich sie mir definitiv nicht vorgestellt.

Katara - Bound To Trust (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt