Emma erschien erst am Mittwoch wieder in der Schule. Entgegen meiner Befürchtung, dass sie sich von Eva und mir abgrenzen würde, verhielt sie sich wie immer. Mir fiel damit immerhin ein kleiner Brocken vom Herzen. Mom behielt recht, so wie meistens. Ich musste ihr einfach Zeit geben, darüber nachzudenken, wie sie mit dieser neuen Situation umgehen wollte.
Emma und Eva saßen nun fast in jeder Pause und Freistunde nebeneinander und lasen. Wenn sie wirklich in ihrem Element waren und ganz konzentriert auf die Seiten vor ihnen starrten, konnte nichts und niemand sie aus der Ruhe bringen. Selbst Leonardo DiCaprio samt Paparazzi und kreischenden Fans hätte an ihnen vorbeilaufen können und sie hätten es nicht einmal bemerkt. Davon konnte ich nur träumen. Ich hatte neuerdings ja sogar schon Konzentrationsprobleme, wenn es im Klassenzimmer mucksmäuschenstill war. Zugegeben, das hing auch mit der Anwesenheit einer gewissen Person zusammen. Ich musste dringend meine Prioritäten neu ordnen.
Auch wenn ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, beobachtete ich Emma öfter lange und gründlich. Ich suchte nach einem Zeichen. Einem stummen Hilfeschrei, auf den ich nur allzu gerne geantwortet hätte. Du bist nicht allein. Diese Botschaft versuchte ich in meinen Blicken zu verstecken. Ob die Nachricht ankam, wusste ich nicht. Emma lächelte verlegen und unterzog sich meinen prüfenden Blicken beinahe eine Spur zu gelassen. Sie ließ nicht weiter hinter die Fassade blicken. Dennoch wusste ich, dass es ihr lieber wäre, wenn ich von nichts gewusst hätte. In meinen schwachen Momenten wünschte ich mir selbst, dass ich von den Zuständen bei ihr zuhause nie erfahren hätte. Kaum hatte ich diesen furchtbar egoistischen Gedanken zu Ende gedacht, schämte ich mich bereits dafür. Was war ich nur für eine grauenhafte Freundin?
Würde ich mich an Emmas Stelle befinden, könnte ich zu jeder Zeit auf meine beste Freundin zählen. Niemals würde sie mich im Stich lassen, allein die Vorstellung würde ihr falsch vorkommen.
Nicht einmal die gute Note, die wir für unsere Hausarbeit erhielten, konnte mich aufmuntern. Meine Gruppe hatte sich nur noch einmal in der Bibliothek treffen müssen, um die Arbeit fertig zu schreiben und Aiden hatte sich nichts von diesem merkwürdigen Mensa-Moment anmerken lassen. Gerade als ich mich so weit zusammengerafft hatte, um wieder einen Schritt auf ihn zuzumachen und ihm wenigstens bis zu einem bestimmten Grad zu verzeihen (was hielt uns davon ab, einfach nur Freunde zu sein?), unterband er jeden weiteren Versuch mich auf den Fluren abzufangen und mit mir zu sprechen. Er nickte mir bloß kurz zu oder lächelte sein Grübchen-Lächeln, sodass meine Beine weich wurden. Ohne, dass ich so ganz wusste, warum, war ich wieder wütend auf ihn. Mom hätte (wenn ich mit ihr darüber gesprochen hätte) bestimmt gemutmaßt, dass meine Stimmungsschwankungen an der Pubertät lag, die bei mir schließlich sehr spät eingesetzt hatte. Ich war eine Spätzünderin in so ziemlich allem. Oder es lag, wie meine Mutter weiter überlegt hätte, daran, dass ich meine Tage bekam. Dem war nicht so. Ich wusste es besser. Meine Gefühlsschwankungen lagen einzig und allein an ihm. Und damit vielleicht ein klitzekleines bisschen auch an der Pubertät. Aber doch vor allem an meiner leider immer noch währenden Schwärmerei.
Wir behandelten uns fast so wie früher. Ich, Bestandteil der Schüler, die ständig übersehen wurden, und er, das genaue Gegenteil. Obwohl es - die Rückkehr zu der Zeit, in der ich unsichtbar gewesen war - genau das war, was ich mir immer erhofft hatte, spürte ich einen unangenehmen Stich in der Brust. Nicht in meinem Herz, nur sehr nah daneben.
In Wirklichkeit hatte sich alles verändert und wenn ich ehrlich sein sollte, wollte ich auch nicht mehr in diese Zeit zurückkehren. Ich vermisste unsere Gespräche, unsere vielsagenden Blicke im Deutschunterricht, wenn wir genau wussten, was der andere gerade dachte und wenn er aus dem Nichts nach meiner Hand griff und dann schelmisch grinste, weil er ohne hinzuschauen wusste, dass ich rot anlief. Ich vermisste diese kleinen Augenblicke mit ihm. Unweigerlich erinnerte ich mich auch an sein Geständnis oder was auch immer es gewesen war: „Ich habe mich in dich verliebt." Wahrheit oder Lüge? War es schon so weit gekommen, dass er sich selbst eingeredet hatte, über die Zeit Gefühle für mich entwickelt zu haben, oder (und das war beinahe noch schlimmer, denn es machte alles noch komplizierter), es war die pure Wahrheit.
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Katara - Bound To Trust (2)
Teen FictionTräume können wahr werden, wenn man nur fest genug an sie glaubt. Das ist eine Lüge, denkt Katara. Nach dem Verrat an ihr und ihrem Bruder glaubt sie nicht im Entferntesten daran, dass sie Aiden jemals wieder verzeihen kann. Das Vertrauen ist gebroc...