Ich hatte den Brief sicher in meinem Nachttisch verwahrt, hatte ihn in die hinterste Ecke geschoben unter einen Stapel alter Karten und Gutscheine, damit man ihn nicht sofort sah, wenn man die Schublade aufmachte. Und doch war seine Anwesenheit immer zu spüren gewesen. Vielleicht lag es an den darin enthaltenen Worten, die mir so schwer im Magen lagen und die ich, seitdem ich den Brief das erste Mal gelesen hatte, nicht mehr aus dem Kopf bekam.
Wie von selbst griff meine Hand nach der Schublade und zog den zerknitterten Briefumschlag hervor. Ich wusste nicht mehr, wie oft ich den Brief nun schon gelesen hatte. Zehn, Fünfzehn Mal, möglicherweise auch noch öfter. Seine Schrift war schon immer so schön gewesen.
Katara,
Ich bin eine absolute Niete im Briefe schreiben, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich schreibe sonst nie Briefe, warum auch? Es gibt SMS und das Telefon und eigentlich sehen wir uns jeden Tag in der Schule. Aber du reagierst auf keine meiner Nachrichten. Wenn ich anrufe, werde ich sofort zur Mailbox weitergeleitet und in der Schule hast du mir nur allzu deutlich gemacht, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Und das ist alles meine Schuld. Ich weiß, dass es meine Schuld ist.
Ich weiß auch, ich bin der Letzte, von dem du jetzt hören willst und du hast allen Grund dazu. Ich wollte nie, dass es so endet, das musst du mir glauben. Du wirst jetzt wahrscheinlich den Kopf schütteln und lachen, weil es so absurd ist, dass du mir überhaupt noch einmal vertrauen wirst. Alles, was ich damals in dieser Bar getan habe, habe ich nur zu deinem Besten getan. Das hat mit meiner Familie zu tun. Mit meiner Schwester, um genau zu sein. Vor dir habe ich noch nie mit einem Außenstehenden über meine Familie geredet, doch du hast mir das Gefühl gegeben, dass ich dir alles anvertrauen kann. Selbst meine dunkelsten Geheimnisse. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich auch so jemand für dich werden könnte. Nach dem Video kann ich das wohl vergessen. Du hast dir sicher längst deine Meinung gebildet und ich will nicht abstreiten, dass ich etwas falsch gemacht habe. Die Wette war scheiße. Es war scheiße von Vincent, der sich diese Wette ausgedacht hat und scheiße von mir überhaupt erst darauf einzugehen. Die Wahrheit ist: Ich dachte, ich tue das Richtige.
Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass man beschützen muss, was man liebt. Und genau das habe ich versucht zu tun. Erst meine Schwester und später auch dich. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen und redest wieder mit mir. Ich habe noch nie jemanden getroffen, mit dem ich so gerne rede und Zeit verbringe wie mit dir. Ich weiß, dass ich es vermasselt habe.
Aiden
Auf das Papier tropften heiße Tränen. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich bei seinen Worten angefangen hatte zu weinen. So viel Zeit war vergangen zwischen diesem Brief und einer neu gewonnenen Erkenntnis. Der Erkenntnis, dass Eva Aidens Schwester war. Eine eiserne Entschlossenheit ergriff von mir Besitz und ich zerrupfte den Brief kurzerhand in kleine Papierfetzen. Sie schwebten einen Augenblick vor mir in der Luft und segelten dann gemächlich zu Boden, wie Schneeflocken, die sich sanft auf die Erde legten und alles unter sich begruben, bis sich nichts mehr regte und die Gedanken so laut wurden, dass es mich in meinem tiefsten Inneren zerriss. Das Damoklesschwert hing bereits seit längerem tief über mir und stieß nun mit rücksichtsloser Geschwindigkeit zu. Einmal, zweimal, dreimal. Das Blut floss aus meinen offenen Wunden und brannte sich seinen höllischen Weg über meine Haut. Dort, wo es über meine Haut rann, hinterließ es rote Spuren, die sich niemals ganz abwaschen lassen würden. Damit ich nie vergaß, was sie bedeuteten und wer sie verursacht hatte.
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Katara - Bound To Trust (2)
Teen FictionTräume können wahr werden, wenn man nur fest genug an sie glaubt. Das ist eine Lüge, denkt Katara. Nach dem Verrat an ihr und ihrem Bruder glaubt sie nicht im Entferntesten daran, dass sie Aiden jemals wieder verzeihen kann. Das Vertrauen ist gebroc...