24 | Das mit dem Einhorn

101 14 13
                                    

Ich stopfte die Arbeitsblätter ungeachtet der Unordnung in mein Schließfach. Wenn ich sie wieder herausnahm, würden sie bestimmt völlig zerknittert sein, was ich normalerweise hasste wie die Pest. Doch an diesem Tag konnte ich mir keine Verspätung leisten. Herr Fries hatte die Mathestunde maßlos überzogen und musste uns am Ende auch noch die Hiobsbotschaft eines Tests für die nächste Stunde überbringen. Jetzt kam ich zu spät zu Biologie. Zweimal hintereinander konnte ich mir das wirklich nicht leisten.

„Aber wir haben doch nur noch nächste Woche, dann sind Ferien und Weihnachten. Haben Sie denn überhaupt kein Herz für Kinder?", maulte Tom sofort los. Herr Fries' Miene blieb vollkommen gleichgültig.

„Nein, habe ich nicht. Alle Quadratzahlen bis 30 und wiederholt die Integralrechnungen von heute. Die könnten wichtig sein.", erwiderte er augenzwinkernd und verließ als erster das Klassenzimmer. Die Schülerschar seufzte unisono und machte sich rasch daran ihre Bücher zusammenzupacken. Womit hatten wir das verdient? Ich war zu meinem Schließfach geeilt, um wenigstens etwas von meiner kurzen Pause zu haben.

Jetzt ließ ich erschöpft meinen Kopf nach hinten kippen und starrte an die weiße Akustikdecke. Die löchrige Decke hatte etwas von einem Sternenhimmel und instinktiv versuchte ich Verbindungen und Bilder zwischen den Punkten herzustellen. Ich atmete tief durch, um meine Schnappatmung von dem vielen Hin-und-her-Gerenne wieder unter Kontrolle zu bekommen.

„Alles klar bei dir?" Ich zuckte zusammen und schlug mit der Stirn gegen die Schließfachtür. Der Schmerz durchzuckte mich und malte bunte Muster vor meine Augen.

„Autsch."

„Oh Gott, Katara. Geht es dir gut?"

Helena legte eine Hand auf meine Schulter und begutachtete meine Stirn mit kritischem Blick. Ich war mir ziemlich sicher, dass ein roter Striemen genau zeigte, wo meine Stirn vor nicht einmal zehn Sekunden gegen die Schließfachtür gedonnert war.

„Das sieht schmerzhaft aus.", kommentierte sie und pfiff durch die Zähne. Ich tastete vorsichtig nach meiner Stirn und zog scharf die Luft ein. Eine Beule konnte ich jetzt schon erfühlen. Die Haut spannte sich an und pochte unangenehm, als würde jemand mit einem Presslufthammer auf meine Haut einschlagen. Es fühlte sich so an, als würde mein Auge zuschwellen. Na super. Jetzt legte ich auch noch einen Auftritt als Einhorn hin. Ich zog die Hand seufzend wieder weg und strich meine Haare vor die Beule.

„Nur ein blauer Fleck. Keine große Sache." Hoffte ich jedenfalls.

„Sicher, dass du damit nicht ins Krankenzimmer willst? Die haben wenigstens Kühlpacks für so etwas."

„Ach Quatsch. Das hilft sowieso nicht.", sagte ich und rang mir ein Lächeln ab. Dabei spürte ich die Beule mit jeder verstrichenen Sekunde deutlicher.

„Sicher?" Helena wirkte nicht sonderlich zuversichtlich.

„Absolut sicher.", bestätigte ich dennoch. Das Lächeln auf Helenas Gesicht wurde wieder breiter.

„Es gibt da nämlich eine Sache, über die ich mit dir reden wollte."

„Okay, schieß los."

„Es geht um die Abschlussfahrt nach Spanien."

Neugierig zog ich eine Augenbraue in die Höhe. Ich ignorierte den Presslufthammer, schwieg und wartete darauf, dass sie fortfuhr.

„Ich hab ja gehört, es soll Viererzimmer geben.", sagte sie bedeutungsschwer. „Und da dachte ich du, Emma, Eva und ich..."

„Teilen uns ein Zimmer?", beendete ich ihren Satz verblüfft. Ich wusste ja, dass Helena zu jedem nett war, aber sie hatte viele Freunde und noch mehr Freundinnen. Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass sie meine zwei Freundinnen und mich fragen würde, mit ihr das Zimmer zu teilen. Ihr standen alle Türen offen. So war es schon immer gewesen. Die Mädchen prügelten sich förmlich darum, wer mit ihr in ein Zimmer durfte, wahrscheinlich nicht ohne zu hoffen, dadurch einen Schritt näher an die beliebte Jungengruppe zu kommen. Aiden, Tom und der ganze Rest der Fußballmannschaft war für gewöhnlich ein unantastbarer Freundeskreis, der unter sich blieb. Niemand wurde so mir nichts dir nichts Teil dieses Clubs, nur weil er sich beim Mittagessen neben sie setzte. Teil des Clubs wurde man nur, indem man sich mit jemandem aus der Gruppe oder mit jemandem, der der Gruppe nahestand anfreundete. Kurz schossen mir die Gerüchte über Aiden und Helena durch den Kopf, die gegen Ende der Herbstferien die Runde gemacht hatten. Wenn es nach meinen Mitschülerinnen gehen sollte, waren Aiden und Helena schon lange heimlich und unheimlich ineinander verliebt. Ich verdrängte die Spukgeschichte wieder. Mittlerweile glaubte ich nicht mehr daran – oder nur noch ein sehr kleiner Teil von mir.

Katara - Bound To Trust (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt