„Ich kann das erklären, Katara."
Aiden rannte mir hinterher. Wortlos war ich an ihm und seiner Schwester vorbeigegangen und hatte mir meine Schuhe geschnappt. Ich verfluchte mich und das Wetter, dass mich dazu verleitet hatte, dicke Winterstiefel anzuziehen. Es dauerte mir viel zu lange, bis ich die Schnüre so weit hatte, dass ich mit dem Fuß hereinschlüpfen konnte. Das Schuhe binden stellte ein weiteres Problem dar. Meine Hände zitterten unkontrolliert. Die Wahrheit war mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Und ich hatte nur noch einen Gedanken, der mir permanent durch den Kopf schoss. Wie die nervige Werbung im Radio, die alle paar Minuten abgespielt wurde und die man irgendwann auf die Sekunde genau mitsprechen konnte.
Ich muss hier raus.
Alles in diesem Haus schnürte mir die Luft zum Atmen ab. Eine unsichtbare Hand legte sich um meine Kehle und drückte zu, während ein großes Gewicht auf meiner Brust hockte und jegliche Luft aus mir herauspresste. Die Bilder an den Wänden sprangen mich förmlich an. Wie eine Horde Raubtiere sprangen sie mir mit ihren messerscharfen Klauen entgegen und schnitten mir das Fleisch von den Knochen. Wie viel Schmerz und Verrat kann ein einzelner Mensch vertragen, bevor er daran zugrunde geht? Obwohl die Erkenntnis mich so hart und schmerzhaft traf wie ein ICE, der durch einen verlassenen Bahnhof sauste, kamen keine Tränen. Ich war leer von Emotionen. Irgendjemand hatte in meinem Inneren einen Schalter umgelegt, der verhinderte, dass die Gefühle an die Oberfläche traten. Zurück blieb nur ein Mädchen mit ausdrucksloser Miene und leeren, nichts sehenden Augen, das nicht atmen konnte, aus Angst, dass mit der Luft auch die unterdrückten Gefühle an die Oberfläche dringen würden.
„Katara, willst du etwa schon wieder gehen? Der Kuchen muss nur noch eine halbe Stunde abkühlen. Hoppla. Aiden, was ist denn mit dir los?", hörte ich Susan verwundert fragen, als ich in meine Jacke schlüpfte und auf die Tür zustürmte.
„Estutmirleidichmussgehenaufwiedersehen.", erlaubte ich mir in die grobe Richtung, aus der ich ihre Stimme vernommen hatte, zu nuscheln. Dann war der Sauerstoff aufgebraucht und ich hastete nach draußen.
„Bitte lass es uns erklären, Katara.", sagte eine helle Stimme. Die Panik und Hilflosigkeit in ihrer Stimme ließ mich fast innehalten. Wäre da nicht mein verletzter Stolz gewesen, der mir genau vorschrieb, was ich zu tun hatte. Klein beigeben kam jedenfalls nicht in Frage.
„Was ist denn überhaupt los? Hattet ihr Streit?" Diese Frage war an ihren Neffen und ihre Nichte gerichtet.
Aidens Schwester.
Die kalte Dezemberluft traf mich mitten ins Gesicht. Obwohl ich wusste, dass es kalt war, schnappte ich nach Luft und pumpte den Sauerstoff rasselnd in meine schmerzenden Lungen. Mir war schwindelig, mein Kopf wollte platzen und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich mich übergeben musste. Mein Gesicht brannte und doch zitterte ich. Zu viel war in so kurzer Zeit geschehen.
„Lass es mich erklären."
Er hatte kaum Zeit gehabt, Jacke und Schuhe anzuziehen. Als er mich einholte, hatte er lediglich Socken an den Füßen, die wahrscheinlich bereits triefend nass waren. Seine nackten Arme ließen mich erschaudern.
„Lass es mich bitte erklären.", wiederholte er und atmete so schwer, dass man kleine Wölkchen sehen konnte, jedes Mal, wenn er die Luft atemlos ausstieß.
Ich schüttelte den Kopf und ging weiter. Ich spürte meine Beine nicht. Irgendein Teil von mir – der rationale, emotionslose Teil – hatte die Kontrolle übernommen. Meine Schritte waren fest, viel fester als ich in dieser Situation erwartet hätte. Der andere Teil – der, der sich immerzu Sorgen machte und ein paar wenige Gefühle zuließ – hatte allerdings die Kontrolle über meine Stimme behalten. Dieser Teil hatte auch registriert, dass er keine Schuhe und auch keine Jacke trug und dass mittlerweile, wie es im Dezember so üblich war, Minusgrade herrschten.
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Katara - Bound To Trust (2)
Teen FictionTräume können wahr werden, wenn man nur fest genug an sie glaubt. Das ist eine Lüge, denkt Katara. Nach dem Verrat an ihr und ihrem Bruder glaubt sie nicht im Entferntesten daran, dass sie Aiden jemals wieder verzeihen kann. Das Vertrauen ist gebroc...