9 | Das, in dem ich verloren bin

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„Lass uns da rein gehen!" Eva zeigte mit ausgestreckter Hand auf eine Attraktion in der Nähe. Ich verzog das Gesicht. Das sollte hoffentlich nur ein Scherz sein.

„Da rein?"

„Ja, wieso nicht? Das wird bestimmt lustig."

„Jaa, sicher..."

Zögernd ließ ich mich von Eva auf das schaurige Gebäude zuziehen. AmazeING HORRORSHOW stand in verschlungenen Buchstaben über dem Eingang und es war nicht schwer, sich vorzustellen, was das bedeutete. Offenbar war die Attraktion eine der mittelmäßig beliebten im Park. Ein paar Menschen warteten begierig auf Einlass, der ihnen von einem Mann in langem schwarzen Mantel und ins Gesicht gezogener Kapuze gewährt wurde. Die Warteschlange war zwar nicht so lang, dass man mehrere Stunden warten musste, aber mir wurde trotzdem unbehaglich.

„Willst du wirklich so lange anstehen? Da hinten gibt es Churros und es stehen gerade so wenige Leute an.", tat ich einen Versuch Eva von ihrem Vorhaben abzubringen. Gruselfilme und alles, was mit Horror zu tun hatte, waren mir zuwider. Außerdem sehnte sich mein Magen wirklich nach dem süßen mit Schokolade überzogenem Gebäck.

Eva bemerkte meine Skrupel.

„Hast du Angst?", kicherte sie und stieß mir freundschaftlich in die Seite.

„Ich mag einfach keinen Horror. Ich kann nicht einmal den harmlosesten Horrorfilm sehen. Wenn der Sensenmann um die Ecke kommt, muss ich mir immer gleich die Augen zuhalten."

„Oh.", Eva nickte verständnisvoll. „Wie kommts?"

„Mein Bruder liebt Horrorfilme und hat sie schon als Kind immer und immer wieder angesehen. Früher hatten wir beide einen sehr leichten Schlaf. Wenn er durch den Flur an meinem Zimmer vorbeilief, hab ich es gehört und war sofort hellwach. Wenn wir einmal wach waren, hat man uns nur schwer wieder zum Schlafen gebracht. Deswegen haben wir uns immer vor den Fernseher gesetzt und mein Bruder hat einen Film rausgesucht."

Eva verzog das Gesicht.

„Du kannst dir denken, was dann passiert ist. Mein Bruder hat einen seiner Lieblingshorrorfilme herausgesucht und angemacht. Ich konnte danach zwei Tage nicht richtig schlafen."

„Das glaube ich. Wie alt warst du da?"

„Elf oder zwölf. Paul ist zwei Jahre älter als ich und eigentlich mochte ich die Filme, die er herausgesucht hat, immer. Bis auf diesen einen."

Ich lachte bei der Erinnerung. In den folgenden zwei Tagen war ich abends immer zu meinem Bruder unter die Bettdecke gekrochen, damit er mich beschützen konnte, wenn die bösen Zombies auftauchten und mir mit ihren messerscharfen Händen das Herz aus der Brust reißen wollten. Mom hatte ihm danach verboten, mir noch einmal irgendeinen Film zu zeigen, ohne dass sie ihn vorher absegnete und das war auch gut so. Kaum auszumalen, was passiert wäre, wenn er mir mehr seiner Lieblingsfilme gezeigt hätte.

„Wir müssen ja nicht reingehen.", sagte Eva schließlich. „Es gibt noch so viel zu sehen."

Ich lächelte. Eva war so süß. In ihren Augen konnte ich die leichte Enttäuschung sehen, deswegen ergriff ich ihre Hand und zog sie zielsicher auf den Eingang zu.

„So schlimm wird es ja sicher nicht sein. Ich hab eben einen Zehnjährigen da reinlaufen sehen. Wenn der das schafft, dann ich erst recht.", meinte ich zuversichtlich. Besagten Zehnjährigen entdeckte ich wenig später weinend, festgekrallt am Jackenzipfel seiner Mutter, was mir wenig Hoffnung hab. Wenn ich ehrlich mit mir selbst war, hätte ich zugeben müssen, dass ich am liebsten dasselbe getan hätte. Evas Hand sah schon im Wartebereich ziemlich malträtiert aus. Ich unterdrückte jegliche Blutzufuhr. Ich hatte das Lachen des Sensenmannes vor dem Eingang hören können. Ich gab wohl keinen besonders schönen Anblick.

Katara - Bound To Trust (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt