In der Zeit, in der ich meine Großmutter nur von den (im Nachhinein sehr beschönigenden) Geschichten meiner Mutter kannte und sie lediglich mit diversen, zumeist kitschigen Gratulations- und Glückwunschkarten in Verbindung brachte, hatte ich mir immer ausgemalt, wie es wohl bei ihr zuhause aussah. In meiner Vorstellung waren die Wände sonnengelb gestrichen und mit zahlreichen Bildern von mir, Paul und unseren Eltern bestückt. Irgendwo, wahrscheinlich im Wohnzimmer, hinge eine große Kuckucksuhr aus Holz, dessen Schnitzereien ich stundenlang bewundert hätte. Es würde immer nach Gebackenem riechen, egal, wo man sich im Haus befand und eine riesengroße Schale mit bunten Leckereien würde auf dem Tisch stehen. Jedes Mal, wenn Paul und ich „zufällig" daran vorbei gingen, würden gleichzeitig auch ein oder zwei Sahnebonbons (die Paul liebte) und ein oder zwei Kirschlollis (die ich liebte) oder ein paar Schokoladenkugeln (die wir beide liebten) „zufällig" in unsere Taschen wandern. Wir würden uns diebisch freuen, wenn wir mit diesem Spielchen Erfolg hatten, auch wenn unsere liebevolle Großmutter insgeheim wusste, warum wir alle zwanzig Minuten in die Küche schlichen und unsere grinsenden Gesichter uns bei unserer Rückkehr ohnehin verrieten.
Das Wohnzimmer war in meiner Fantasie der wohl heimeligste Ort, den mein kleines fünfjähriges Ich sich hatte vorstellen können. Der Boden war mit mehreren Teppichen belegt und selbst an den Wänden hingen Wandteppiche und gestickte Bilder. Auf der Fensterbank und in den Schränken stünden mehrere Puppen, mit denen zu spielen mir von meiner Mutter strengstens verboten wurde. Oma Adelaide würde es mir aber doch erlauben. Eine Puppe, die mir besonders gefiel, hätte sie mir sogar geschenkt und ich hätte sie wie meinen eigenen Augapfel gehütet. Bei meiner Oma hätte ich mich rundum geborgen und geliebt und sicher gefühlt. Hätte, hätte, Fahrradkette.
Großmutter Adelaide bereitete dieser wahrhaft traumhaften Illusion ein Ende. Ein schmerzhaftes noch dazu. Außer ihrem Porzellan, das niemand anrühren durfte, es sei denn es wurde ausdrücklich erlaubt (und wehe, jemand hielt sich nicht an ihre Regeln!) und den kleinen zierlichen Blumenmädchen, die sie auf dem Regal mit penibelster Genauigkeit nach Erscheinungsjahr aufgestellt hatte und die sie mindestens einmal in der Woche abstaubte, befand sich nichts in ihrem Besitz, dass ich mir gerne genauer angesehen hätte. Ihrem Erscheinungsbild nach zu urteilen, hätte ich mindestens zehn antike Bücher in ihrer Sammlung erwartet. Doch ein großer Bücherwurm schien sie nicht zu sein. Ich fragte mich, ob es überhaupt etwas gab, in dem wir uns ähnlich waren oder inwiefern der Charakter meines Vaters von seiner Mutter beeinflusst worden war. Ich ging stark davon aus, dass er zum größten Teil nach seinem eigenen Vater schlug, den ich leider nie kennenlernen durfte. Er starb bereits fünf Jahre vor meiner Geburt.
Großmutter Adelaide lebte nach dem Motto „Wer nicht viel hat, kann auch nicht viel verlieren.", wie sie so schön sagte. Das leuchtete mir in ihrem speziellen Fall jedoch nicht besonders ein, da sie vor nicht wenigen Wochen ihr gesamtes Haus verloren und sich darüber lautstark echauffiert hatte. Großmutter Adelaide sagte häufiger in einem Moment etwas, was sie in einem anderen Moment vehement abstritt. Sie bog sich alles so zurecht, wie sie es gerade brauchte.
Bei Frau Humboldt, Emmas Nachbarin, sah es so aus wie ich mir das Zuhause meiner Traum-Großmutter erträumt hatte. Die Kuckucksuhr hing zwar bereits im Flur und musste seit Jahren außer Betrieb sein (der rot-grün schimmernde Kuckuck war etwas verstaubt) aber die Schnitzereien waren wunderschön anzusehen. Als ich mit dem Finger vorsichtig über die zarten Flügel des Vogels strich, klebte eine dicke Staubschicht an meinem Finger, den ich ungeschickt an meiner Hose abwischte. Es roch nach Anis und anderen Kräutern und der Tee, den sie für mich kochte, war der beste, den ich je in meinem Leben getrunken hatte.
„Meine eigene Teemischung.", hatte sie lächelnd erklärt und mir eine zweite Tasse eingeschenkt, nachdem ich die erste in Null Komma Nichts förmlich inhaliert hatte. Abgebrühte Geschmacksknospen hin oder her. Es schmeckte einfach zu himmlisch.
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Katara - Bound To Trust (2)
Teen FictionTräume können wahr werden, wenn man nur fest genug an sie glaubt. Das ist eine Lüge, denkt Katara. Nach dem Verrat an ihr und ihrem Bruder glaubt sie nicht im Entferntesten daran, dass sie Aiden jemals wieder verzeihen kann. Das Vertrauen ist gebroc...