•zwölf•

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Ich betrachtete meinen Arm, als jemand an meiner Kabine hämmerte.

"Charlie, mach auf. Komm bitte sei nicht so.", ich konnte mir bei dieser Aussage ein abfälligen Schnauben nicht verkneifen.

"Wie bin ich denn, Elli? Sag mir, wie bin ich zu euch? Verdammt, ich seh doch, dass ich dir nicht gut tue."

"Wovon redest du eigentlich bitte?", fragte sie verwirrt. Ihre Stimme hallte in dem leeren Raum wieder.

"Ich rede davon, dass ich sehe, wie sehr ich dich abfucke. Man Elli ich sehe doch, dass du leidest. Bei jedem meiner Ausbrüche, bei jeder Narbe, bei mir. Ich bin ein einziger Trigger. Ich sehe es, sehe dich."

Ich öffnete die Tür und trat heraus. Ich beobachtete ihr Gesicht, ihre Mimik, jedes zucken und den panischen Ausdruck, als sie meinen Arm sieht. Tränen liefen ihr über ihre geröteten Wangen.

"Bitte, Charlie, bitte hör auf damit. Mach dich nicht kaputt. Ich kann das nicht. Ich kann nicht zu sehen wie du dich kaputt machst. Wie ihr euch kaputt macht."

"Ich sagte dir, ich mache dich kaputt. Niemand kommt damit klar und du bist nicht anders, als alle Anderen. Du bist wie jeder andere auch. Ihr versucht Dinge zu retten, die nicht mehr zu retten sind."

Ich spuckte ihr diese Worte nur so entgegen, während ich meinen Ärmel herunter zog und mich auf dem Weg nach draußen begab.

Hier drohte ich zu ersticken, hier bei ihr, erstickend an meinen eigenen Schuldgefühlen.

Adrian sah, wie Charlie aus der Toilette stürmte, in der Elli kurz vorher verschwand. Ihre Augen glasig, den Tränen nahe, ihre Haut blass und eingefallen, ihre knochige Hand, die nervös ihr Haar hinters Ohr strich.
Kurz gesagt, Charlie war tot, zumindest die Charlie die er mal kannte.

Nachdem er sich wieder gefasst hatte, lief er auf die Toilette zu und klopfte zaghaft an.

"Elli?", es klang mehr wie eine Frage, als, dass er sie wirklich zu sich rief. Mit einem Ruck öffnete sich die Tür und eine völlig aufgelöste Elli fiel ihm in die Arme. Er hörte ihr lautes Schluchzen und ließ zu, dass sie sich in sein T-Shirt krallte.

" Ich-, ich-, hab alles-, alles nur noch-, viel, viel schlimmer gemacht.", hörte er die Worte zwischen ihren schluchzern. Er verstand kaum ein Wort und dennoch hatte er eine Ahnung, was sie meinte.

"Was hast du schlimmer gemacht, Elli?", fragte er sie.

"Ich-, ich hab sie enttäuscht. Ich hab die Freundschaft kaputt gemacht. Ich hab gesagt ich kann das nicht mehr. Ich-", erneut brach seine kleine Schwester in Tränen aus.

Es tat ihm weh sie so zu sehen, denn sie war alles, was ihm noch das Leben schenkte.

Wütend schlug ich auf den Boxsack ein, ich kam viel schneller aus der Puste. Olaf bemängelte immer, dass ich an Kraft verlor, an Muskeln verlor, mein Training vernachlässigte, dabei hing ich mich immer mehr rein, als zuvor. Und dennoch, wurde ich immer schwächer. Wenn es so weiter ging, kam ich im Ring nicht mal durch die erste Runde.

Ich musste trainieren. Mir ging Ellis Bitte durch den Kopf. Lag es vielleicht daran? Verlor ich Kraft, weil ich weniger aß? Natürlich war ich zu schwach, weil ich nichts aß, aber was solls?

'Wer schön sein will muss leiden'

Manchmal fragte ich mich, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, mir Hilfe zu suchen. Ich meine das Problem ist mir schon irgendwie bekannt, aber ich würde jetzt nicht so weit gehen und es Magersucht nennen.

Ich meine, um Gottes Willen, auf was für eine Schnapsidee kam Elli denn bitte? Ich meine andere spritzen sich Botox, um schön zu sein. Ich portioniere, neben den Sport, einfach nur mein Essen etwas geringer, um einen größeren Erfolg zu erzielen.

Machen das nicht alle so?

Olaf hatte mich damals zu einem Arzt geschleppt, wollte mir helfen, dabei fasste mich dieses widerliche Ekel von Arzt einfach nur unangemessen an.

Es endete für ihn mit einem verdrehten Handgelenk und für mich mit einem enttäuschten Blick Olafs, seitdem mied ich Ärzte. Ich hatte nie jemandem davon erzählt, es würde mir eh keiner glauben.

So viele Frauen, die sich erhoben und etwas sagen wollten, sogar klagten, und nie geschieh etwas. Es würde bei mir nicht anders sein, also wieso ein Risiko eingehen?

Es hatte nichts gebracht, der Arzt hatte mich nicht weiter gebracht, also konnte ich es auch gleich sein lassen.

Olaf bemerkte, dass ich weiter abgenommen hatte und das machte mich unfassbar Stolz. Er jedoch schien nicht sehr überzeugt, weshalb ich mich umso mehr ins Zeug legte. Ich wollte so sein, wie jede andere.

'Schlank und wunderschön.'

Mir war in dem Moment egal, wie sehr meine Kraft nachließ, es zählte einzig und allein, dass ich mich in meinem Körper wohl fühlte und das tat ich noch lange nicht.

Ich schlug weiter auf den Boxsack bis ich hörte, wie sich die Tür öffnete und ich kurz inne hielt.

"Charlotte Andersen?", fragte mich ein unbekannter Mann mittleren Alters. Ich drehte mich zu ihm um.

"Die bin ich, kann ich Ihnen helfen?"

"Mein Name ist Jonathan Lutz, der Notar von Herrn Olaf Herzig und ich werde seinen letzten Willen verlesen."

"Okay?", fragte ich ihn schon verwirrt, da ich nicht wusste, worauf er hinaus wollte.

"Nun ja, Sie kommen darin vor und da ich Sie telefonisch nicht erreicht hatte, musste ich mich auf die Suche nach Ihnen begeben. Man sagte mir, dass ich Sie zumeist hier auffinden würde."

Mir schwirrte der Kopf.

"Warte, worin komme ich vor?"

"In dem Testament. An dieser Stelle möchte ich auch noch mein herzlichstes Beileid aussprechen.", ich hörte die Worte, aber verstand, wie egal es ihm war. Für ihn ist es nur eine einfache Floskel. Leere Worte, mehr nicht. Es war nicht sein Verlust.

Es war nicht das erste Mal, dass er diese Worte aussprach, aber den Sinn dahinter nicht verstand. Er litt nicht, er musste nur alles sauber über die Bühne bringen und dieses Erkenntnis tat unendlich weh.

Es tat unendlich weh, dass es Menschen gab, die ihn nicht so kannten, wie ich, die ihn nicht so liebten, wie ich und nicht so vermissten, wie ich.

"Benötigen Sie ein Taschentuch?", fragte mich der Notar-Heini. Ich merkte die Tränen, ich vergoß viel zu viele davon. Vehement schüttelte ich den Kopf.

"Nein, danke."

"Ich würde vorschlagen, dass Wir einen Termin ausmachen, bei dem wir Uns alle zusammen setzten und das Testament verlesen.", abwesend nickte ich nur zustimmend.

Zum Einen war ich überrascht, dass ich in Olafs Testament genannt war, zum anderen fragte ich mich, ob es vielleicht daran lag, dass mich Olaf mehr oder weniger bei sich aufgenommen hatte, mich wie sein eigenes Kind behandelte und der Vater war, den ich nicht hatte.

"In Ordnung. Ich hätte in den nächste zwei Wochen einen Termin frei, hätten Sie da Zeit?", erneut nickte ich nur.

"Hätten Sie vielleicht auch eine andere Nummer, unter der ich Sie erreichen könnte?"

Ich gab ihm meine Handynummer, reichte ihm zum Abschied die Hand und beobachtete ihn dabei wie er die Halle verließ.

Ich stand nur weiter da, wie festgefahrenen und brauchte einige Zeit, um zu realisieren, was hier eben geschehen ist.

Honey BadgerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt