•drei•

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Ich weiss nicht mehr, warum ich sie gestern angelächelt hatte, geschweige denn mich nach Hause begleiten lassen hab, denn jetzt stand sie fertig gemacht vor meiner Haustüre und drückte pausenlos die Klingel. Ich kann von Glück reden, dass meine Mutter gestern Abend weggefahren ist und mich nun die nächsten Tage alleine lässt.

Schnell zog ich mir meinen braunen Parker und meine Schwarzen Ankle Boots an.
Langsam lief ich unsicher aus der Tür, denn ich hatte noch nie hohe Schuhe in der Schule an. Elli sah mich vielsagend lächelnd an.

"Machst du dich etwa hübsch für jemanden", sie neigte ihren Kopf leicht zur Seite und ihr grinsen wurde breiter. Ich merke wie mir das Blut in den Kopf stieg. Ich will ihr etwas Schlagfertig entgegen bringen, doch es verlässt nicht mehr als ein stottern meinen Mund. Neckend sah sie mich an.
"Keine Sorge, das Geheimnis ist bei mir sicher."

Langsam, da mich meine Schuhe mit jedem Schritt mehr umbrachten, liefen wir auf den Pausenhof. Die ganzen Schüler um mich herum beobachteten mich. Wahrscheinlich, weil ich zum ersten Mal seit langen mich nicht in einem Kapuzenpulli versteckte, sondern einen pfirsichfarbenen Pullover mit weiten Ärmeln angezogen hatte. Ich selber weiss nicht genau wo dieser Sinneswandel herkam, aber nun musste ich mit gehobenem Haupt, als wäre nichts, umher stolziern, darauf bedacht nicht peinlich auf den Boden zu fallen.

Schnell schaute ich peinlich berührt zu Elli, als mich die ganzen Jungs anfingen zu Mustern, mit eingeschlossen Adrian. Mein Puls verschnellerte sich Augenblicklich.
Was ist denn nur mit mir los? Nicht, dass ich noch jämmerlich an Herzklappenversagen sterben werde.

Okay, vielleicht wollte ich ja ein kleines bisschen, dass Adrian nicht schlecht von mir dachte, sondern merkte, dass aus mir was geworden ist. Aber schnell schob ich den Gedanken wieder beiseite, denn aus mir ist nichts geworden und wird es nie. Mutter hatte Recht.
Wie konnte ich nur kurz daran denken, dass ich etwas Besonderes bin, etwas Besonderes aus mir wurde?

Ich bemerkte erst spät, dass wir in unserem Klassenzimmer standen.
Hinten im Eck, an meinem Stammplatz, setzte sich Elli mit mir hin. Wie konnte ich sie gestern nicht bemerken? Und warum redete keiner von ihr?
Zugegeben bin ich ihr noch sehr misstrauisch gegenüber und das schien sie zu merken. Dass sie auch deutlich jünger als alle anderen in diesem Raum war, schien keinen zu stören. Sie war schließlich gerade zwei Jahre jünger als ich.

Sie tut mir schon leid, schließlich muss sie sich jetzt mit einem gebrochen Menschen die Zeit vertreiben und kann sich nicht den anderen Mädels dieser Klasse anschließen. Sie wird zur Außenseiterin, durch mich.

Aber warum will sie ausgerechnet mit mir befreundet sein? Schneller als ich es wirklich verhindern hätte können, verließen diese Worte meinen Mund. "Was meinst du damit?", entgegnete sie.

Ich wiederhole meine Frage deutlich angespannter.
Sie prustete: "Dein Ernst?! Schau dir doch die ganzen anderen an. Wir haben hier überall Mitläufer. Alle haben das Gleiche an. Unsere Gesellschaft ist eine reine Kopie. Wie der eine ist, ist auch der andere. Was der eine liebt, mag auch der andere, doch du bist anders. Du bist besonders, du bist einfach du selbst und lässt dir nichts vorschreiben. Das mag ich so an dir und deshalb will ich mit dir befreundet sein."

In meinem Kopf vervollständige ich ihren Satz. Noch willst du mit mir befreundet sein.

Ich bringe ein schwaches Lächeln zustande. Mehr schaffte ich in diesem Moment nicht.

Noch bevor unsere Lehrerin das Zimmer betritt stürmte Adrian herein, setzte sich neben Elli und lächelte sie sanftmütig an, doch als ein Blick zu mir wandert, verfinstert sich dieser.

Langsam raffte ich mich auf und ging auf die Toilette, während sich sein brennender Blick in meinen, noch immer verletzten Rücken, meiselt.

Als ich in der Toilettenkabine stand, sank ich auf die Knie. Seit wann war ich so verletzbar?
Es ist eine so kurze Zeit, in der die beiden mehr Gefühle gesehen haben, als je ein anderer. Langsam zog ich das Messer aus meinem BH, das ich dort sorgfältig versteckte, und zeichnete wie gewohnt, feine, blutrote Striche auf meine weiße Haut.

Mittlerweile ist mir der Schmerz, der dabei auftritt vergönnt, es blieb nur noch bei einem leichten brennen. Und trotzdem mache ich es als Erinnerung, dass ich noch lebe.

Für mich ist es, wie eine Strichliste, in der ich notiere wie oft ich schon aufgeben wollte, wie sehr ich schon aufgeben wollte.

Ich streife den Ärmel meines luftigen Pullis über meine frische Verletzung. Und genau jetzt verfluche ich mich, dass ich diesen angezogen habe.
Langsam stellte ich mich gerade hin, klopfte den Dreck von meiner Hose und wollte in den Spiegel schauen, doch zu groß ist die Angst meinen Vater in mir zu sehen.

Mein Blick wurde kalt, verbittert, erst dann wagte ich es mein Spiegelbild zu betrachten.
Meine Augen haben den Glanz verloren, sind nicht mehr so groß und neugierig, sondern nunmehr schmal und bösartig funkelnd.

Gedankenverloren lief ich durch den Gang und bemerkte mein Umfeld nicht. Mein Weg führte mich in die Cafeteria, da ich nicht mehr in das Klassenzimmer, mitten im Unterricht reinplatzen kann.

Langsam setzte ich mich auf den Stuhl, neben dem Fenster und schaute nach draußen in die weite Welt, die heute nunmal an den Toren der Schule endet.

"Hey", riss mich jemand aus meinen Tagträumen. Ich stöhnte verzweifelt auf: "Sehe ich echt so aus, als würde ich von jedem angesprochen werden wollen? Nein ich bin nicht für eine Nacht zu haben und jetzt lass mich in Ruhe!", wie ich billige Anmachen doch hasste.

Perplex schaut mich der rothaarige Junge an. "Aber das will ich doch gar nicht", beteuert er mir. "Ich wollte dich nur Fragen, ob du Eleonora kennst."

Meine anfängliche Überraschung wich der Verbitterung, die in mir aufkam und ich würgte ihm die Worte fast schon in das Gesicht.

"Frag Adrian, die kennen sich scheinbar so gut." Ein tiefes dunkles Lachen seinerseits erfüllte die gesamte Cafeteria. "Bist du etwa eifersüchtig?"

Bei mir brannten endgültig die Sicherungen durch. "Eifersüchtig?! Warum bitte soll ich eifersüchtig sein?!" Yannik, mein Mitschüler, sah sich um und versuchte mich zu beschwichtigen.

"Ist okay, aber bitte sei leise, die anderen schauen schon zu uns herüber." Augenblicklich lief der Rothaarige gegenüber rot an. Er ist also wohl eher der schüchternde, stille Typ, der die Aufmerksamkeit nicht mag.

Ich stand auf und lief, das 'Warte' ignorierend, aus der Cafeteria. Als ich sehe, dass keiner mehr in dem Zimmer war, hüpfte ich rein und holte meine Sachen. So schnell es mit diesen Schuhen ging sprintete ich in den Raum in dem wir Philosophie haben.

Als ich jedoch sehe, dass Eleonora, Adrian, Yannik und ich einen Raum teilen müssen, verdarb es mir endgültig die Laune.

Honey BadgerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt