•neun•

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Erschöpft hob ich meinen Kopf und schaute mich um. Das beständige wummern, das in meinem Kopf herrschte, wollte nicht aufhören.
Die Wärme, die mir die Schutz bietende Decke spendet, wurde unerträglich.
Mit leichten Rückenschmerzen trat ich von der Couch ab und drehte mich zu Elli, die es sich auf der anderen Seite des Sofas bequem gemacht hatte.
Während ich nicht mehr als einen Quadratmeter Schlafplatz hatte, vereinnahmte sie die restliche Seite des Sofas.

Auf Zehenspitzen schlich ich in mein Zimmer, zog eine Hose und einen gestreiften Pullover aus dem Schrank mit denen ich zurück ins Wohnzimmer tapste. Die Brünette im Auge behaltend, zog ich mir meine Klamotten an. Nach einem riskanten Kampf mit den Ärmeln des Kleidungsstückes, weckte ich die zierliche Person auf dem Sofa.

Murrend drehte sie sich und schaute mich verwirrt an. Ihre Augen weiteten sich und erschrocken fragte sie mich, wie spät es sei. Ihr Blick folgte meinem Zeigefinger, der in Richtung Turmuhr deutete. Wie von einer Tarantel gestochen sprang sie auf und floh zur Haustür hinaus.

Verwundert ließ mich die quirlige Frau alleine in dem geräumigen Wohnzimmer.
Gelangweilt lief ich sockig in die Küche und betrachtete den Apfel. Ich erinnerte mich an die Worte die gestern den Abend in unangenehme Stille gehüllt hatten. Ein schlechtes Gewissen plagte mich. Bin ich wirklich magersüchtig?

Mein Versprechen, das ich gestern gab lässt mich stutzen, denn acht Monate blieben mir noch, bis das Jahr sich dem Ende neigt.

Die Türklingel lässt mich zusammenzucken.
Vor weniger als einer viertel Stunde ließ mich Elli in dem Anwesen allein, jedoch stand sie nun wieder vor der Haustür und strahlte mich mit frisch geputzten Zähnen an.
Ihre Haare standen ihr in wilden Strähnen ab und erinnerten an einen verrückten Wissenschaftler.

Lachend nahm ich mir eine Bürste zur Hand und kämte ihr das seidig weiche Haar. Vielleicht sieht das für die Nachbarn merkwürdig aus, aber das ist uns egal, denn nur der Moment zählt. Es ist der Moment in dem mir bewusst wurde, dass ich mich fallen lassen kann.

In dem mir bewusst wurde, dass sie an meiner Seite bleiben wird, egal wie sehr ich mich sträubte.
Es ist eine seltsame Situation aber es ist mein Bauchgefühl, das mir die Bestätigung gibt.

Sie ist jemand, den ich Freund nennen kann.

Wir machten uns auf den Weg zu Schule, aber bald darauf merkten wir die schweren Schritte hinter uns.

"Ellchen, warte doch. Ich meinte das nicht so. Du kannst mich doch nicht ewig meiden."
Die raue und verzweifelte Stimme zerschneidet die angenehme Atmosphäre.

Mit einem Satz packte ich Elli bei der Hand und zog sie mit mir mit. Das Schritttempo erhöhte sich so lange bis wir den Berg hinunter rannten. Keuchend erreichten wir den Pausenhof. Mein Herz arbeitete auf Hochtouren, sodass ich tief und schnell einatmete.

Luftschnappend griff ich mir an die Brust und presste meine Handfläche gegen den Torso. Besorgt betrachtete Elli mich, jedoch richtete ich meinen Blick auf das Geschehen hinter ihrem Rücken.
Möglicherweise hatten wir es heute nicht geschafft zu essen, was für mich sowohl Triumph, als auch Schuld bedeutete.

Nachdem Adrian mit Yannik geredet hatte, kam der Rothaarige auf uns zu. Seine braunen Augen funkelten, wie die Sterne am Nachthimmel.

Immerzu richteten sich seine Augen sehnsüchtig auf die Schönheit neben mir, jedoch machte das verliebte Strahlen seinerseits, Platz, für die an mich gerichtete Besorgnis.

Mit einer abwinkenden Geste erklärte ich kurzangebunden, dass es mir gut geht, doch der skeptische Blick von Elli blieb stets.

Eingehakt bei Yannik liefen wir in das Klassenzimmer, in dem unser nächster Kurs stattfindet. Das grinsen des Mannes neben mir wurde immer breiter, als sich Elli bei ihm anlehnt, dabei ging es ihm wahrscheinlich gar nicht darum, dass er zwei Mädels im Schlepptau hat, sondern eher, dass sich das Mädchen seiner Träume an ihn schmiegte.

Kurz bevor wir zu der Tür unseres Zimmers kamen, hakte ich mich aus und holte meine Bücher aus dem Wandschrank. Wortlos lief ich an ihnen vorbei und setzte mich auf den Platz neben dem Fenster. Genüsslich zog ich die frische Morgenluft ein, die meine Gedanken etwas klarer gestalteten. Ich schloß meine Augen bevor ich das ruckeln neben mir vernahm. Mir war mehr als bewusst, dass Adrian sich zu mir gesellt hatte und er nun versuchte, mich so gut es geht zu ignorieren.

Zwei Stunden sollte ich das gemurre neben mir aushalten, und bislang funktionierte es auch perfekt, doch obwohl ich starke Nerven besaß, ging er mir letzendlich dann doch auf den Geist. Nervös als würde ihn etwas beschäftigen, tippte er aufwechselnd mit den Fingern auf den Tisch. Er hörte gar nicht auf zu zappeln.

Mir reicht es, also packte ich seine Hand und drückte sie auf den Tisch. Das prickeln, das mich durchfährt, wird zu einem angenehmen Schauer. Es fühlte sich an, wie kleine Nadelstiche, aber diesmal der guten Art.

Erschrocken zog ich meine Hand zurück und blickte in Adrians zornig funkelnde Augen. Beschämt drehte ich mich wieder in Richtung des Lehrers, der uns missglückt versucht etwas zu erklären. Still schweigend ging der restliche Unterricht zu Ende, als endlich das erlösende Klingeln ertönt und sämtliche Schüler von diesem anstrengenden Tag befreite.

Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich den Gehsteig entlang in Richtung meines Hauses, bevor ich merkte, dass ein Mustang in unserer Auffahrt parkt. Kaum merklich zuckte ich zusammen und meine Gedanken fingen an zu toben.

Ob ich aufgeräumt hatte?
Laut Plan sollte Mutter erst heute Abend hier eintreffen, jedoch ist sie stets für eine Überraschung gut. Mit einer schlechten Vorahnung bedachte ich, dass  heute noch ein langer Tag wird.

Vorsichtig öffnete ich die Haustür und schlich in das Hausinnere.
Als ich die Tür schloß, war das Trampeln auf der Treppe zu vernehmen.

"Wo warst du?", es ist das zischen einer Schlange gleichend.
"Ich war in der Schule, Bildung und so.", eingeschüchtert sah ich zu Boden.

Wüsste ich es nicht besser, dann würde ich mich gleich in Stein verwandeln, da Medusa selbst vor mir stand.

"Nicht in diesem Ton.", mit diesen Worten flog eine Hand geradewegs in mein Gesicht. Meine linke Wange fing an zu brennen. Demütig schaute ich zu Boden, "Entschuldige Mutter, es war nicht meine Absicht."

"Nun gut, dann räum auf, denn das hier ist ein Zustand den man nicht lassen kann, du machst schließlich eh nie was, dann hast du ja genug Zeit. "

Ich nickte und lief zuerst in die Küche, um die Spülmaschine aus zu räumen. Ich war erstaunt wie gelassen meine Mutter doch ist.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer machte sich in mir breit. Es ist die Sehnsucht, meine Mutter wieder für mich zu haben, jedoch wurde diese Hoffnung wieder zu nichte gemacht, als sie zu mir rief:

"Ich gehe aus, und du Nichtsnutz hast bis dahin das Haus blitzeblank geputzt, wenn nicht, kannst du dich darauf gefasst machen, dass du nach diesem Abend nicht wieder aufstehen wirst."

Wieder nickte ich geknickt. Wieso wollte ein kleiner Teil von mir hoffen, dass meine Mama wieder zu mir kommt? Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich an unsere gemeinsame Zeit, vor Jahren zurück dachte.

Mit einem Kopfschütteln verwarf ich meine Hoffnungen und machte mich auf den Weg den Müll hinauszubringen.
Als ich die Tür hinter mir schließen möchte, sah ich Adrian im selben Moment aus dem Haus treten. Mit hochgezogenen Brauen betrachtet er mich mit dem schwarzen Sack in der Hand.

Ich möchte ja gerne behaupten, dass ich heute ausnahmsweise annehmbar erschiene, allerdings zerstörte ein gewisser schwarzer sack meinen Wunsch.

Ich sah noch wie er kurz schmunzelt, allerdings packte er auch schon seine Sporttasche fester und verschwand in Windeseile auf seinem Skateboard. Bedröppelt blieb ich noch etwas stehen, bis ich mich wieder zusammenreiße und mit einem Kopfschütteln den Müll wegbrachte.

Den ganzen Tag kreisten meine Gedanken weiterhin um den Nachbarn mit seinen schönen grünen Augen. Und wieder geriet ich in eine Versuchung, die mir verwährt bleibt.

Honey BadgerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt