•neunzehn•

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Gespannt beobachtete ich den achtzehnjährigen, der grinsend 'Die zwölf tanzenden Prinzessinnen' einlegte.

Er setzte sich zu mir auf das Sofa, woraufhin ich mich provokativ breit machte und meine Beine über die seinen legte. Er ließ sich davon nicht beirren, sondern fixierte weiterhin den Bildschirm.

Wir hörten einen Schlüssel im Türschloss, bevor eine lachende Elli mit Yannik eintrat. Sie strahlten über beide Ohren bis sie ins Wohnzimmer traten und das Lächeln in sich einfiel. Überrascht und ungläubig starrten sie uns an.

Ellis Blick wanderte zum Fernseher, um gleich darauf wieder verdutzt zu uns zu schauen.

"Ist es das, was ich denke, dass es ist?"

Adrian grinst sie provokant an:
"Was denkst du denn, dass es ist?"

"Barbie!", schrie Elli und rannte zu uns auf das Sofa. Sie schmiss sich halb auf mich, wonach ich nur unter ihrem Gewicht begraben lag.

Yannik rannte ihr hinter her und ließ sich mit Schwung auf Adrian fallen, welcher gleich darauf ein gequältes Ächzen von sich gab.

"Geh runter von mir du Fettsack", schimpfte er und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Mein Magen machte dicht, protestierte, genauso wie es mein Kopf tat. Vorsichtig zog ich meine Füße unter Yannik hervor und entfernte mich ein wenig von Adrian, welcher gleich darauf die Augen verdrehte.

"Doch nicht du, Charlie. Ich meinte Yannik, der mich gerade komplett zerquetscht."

Mit einem Satz schubste er Yannik von sich runter, der sogleich unsanft auf den Boden plumpst. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich den Ellenbogen.

Bevor ich in lautes Gelächter ausbrechen konnte, packte mich Adrian an der Hüfte, zog mich näher zu sich und legte meine Beine wieder über die seinen.

"So ist's besser", zufrieden lächelte er und widmete sich dem Fernsehen. Mir entging dabei nicht der merkwürdige Blick, den Elli und Yannik miteinander austauschten.

Unsere Augen klebten förmlich am Bildschirm, bis der Abspann lief. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es langsam Zeit wurde, nach Hause zu gehen. Im passenden Moment hörte ich jemanden ins Haus treten.

"Hi, Papa", rief Elli gleich, ohne auch nur einen Finger zu rühren und auf zu stehen.

Dies nutzte ich als Anlass, nach Hause zu verschwinden. Langsam schob ich meine Beine von Adrian runter und stand auf. Fragend schaute er mich an, weshalb ich ihm mein Vorhaben berichtete.

Kurz darauf stand er ebenfalls auf, um mich wohl zur Tür zu begleiten. Der Mann mittleren Alters, den ich schon beim Umzug gesehen hatte, stand mir gegenüber. Überrascht blickte er mir entgegen.

"Ich wusste gar nicht, dass wir Damenbesuch haben."

"Ja was das angeht-", nervös stand Adrian vor seinem Vater, bis ein schüchterner Yannik ums Eck trat.

"Das ist Charlie und das ist Yannik", erklärte eine glückliche Elli, die hinter ihm stand. Sie zeigte auf uns beide und der Vater nickte. Zur Begrüßung hielt er mir die Hand hin, die ich zögerlich ergriff und schüttelte.

"Markus Herzig", stellte er sich mir vor.

"Charlotte, Charlotte Andersen", erwiderte ich. Seine Augen wurden mit einem Mal groß und er schaute mich erstaunt an, unsicher sah ich weg. Er richtete sich an Adrian und deutete auf mich.

"Die Charlotte?", fragte er ihn, welcher daraufhin nur nickte.

"Meine Güte, Lissy hatte mir so viele Bilder von euch beiden geschickt, aber ich hätte nie gedacht, dich persönlich kennen zu lernen!", Markus zog mich überglücklich in seine Arme, während ich nur stocksteif stehen blieb und gar nicht so recht wußte, was hier passierte.

Er entließ mich aus einer langen ungewohnten Umarmung, doch ich konnte mich noch immer nicht bewegen. Ich stand da sie fest verwurzelt, meine Gedanken flogen wild umher.

"Bevor Adrian und du geboren sind und ich ihn verlassen hatte", Markus Stimme verriet, dass er diese Entscheidung bereute, "waren Lissy und ich sehr gut mit deinen Eltern befreundet. Ich hatte von dem, was mit deinem Vater passiert ist, gehört. Mein Beileid Charlotte, es ist ein großer Verlust für diese Welt."

Steif und gezwungen nickte ich. Natürlich tat es weh, diese Worte zu hören, zu wissen, dass es doch noch jemanden gab, der sich an Papa erinnerte, wenn es Mutter schon nicht tat. Aber irgendwie waren diese Worte zugleich wohltuend, zu wissen, dass er ein guter Mensch war, der vermisst wurde.

Ich hatte mich Jahrelang gefragt, ob er ein guter Mensch war, alles richtig gemacht hatte. Ich hatte mich gefragt, ob er zu anderen genauso war wie zu mir, ob sich die anderen an seine Lebensfreude und Abenteuerlust erinnerten. Ich fragte mich, ob er etwas hinterließ, eine Erinnerung, einen Moment, etwas, womit Leute ihn verbinden.

Würden sich die Leute an mich erinnern, wenn ich aus dem Leben trete?

Welche Erinnerung hätten sie überhaupt an mich?

Was würden sie über mich sagen?

Wären sie enttäuscht von mir, wenn ich jetzt schon gegen würde?

Würde mich überhaupt vermissen, oder gleich vergessen?

Bin ich es überhaupt Wert, vermisst zu werden?

"Charlie", eine Hand schnippste vor meinem Gesicht, "an was auch immer du gerade denkst, lass es sein."

Verwirrt schaute ich Adrian, der mir nun gegenüber stand an.

"Naja, wenn du so eine Miene ziehst, könnte man meinen, dass du keine schönen Gedanken hegst."

"Mach dich nicht fertig, der Schmerz hört irgendwann auf. Versprochen. Vielleicht wird er auch nie ganz verschwinden, aber er wird besser. Es wird besser, vertrau mir."

'Du hast recht Adrian, es wird besser, wenn ich nicht mehr da bin, wenn es keinen Schmerz mehr für mich geben kann.'

Aber diesen Gedanken behielt ich nur für mich, hegte und pflegte ihn, bis er mich von innen zerfraß.

Nach einiger Zeit begleitete Adrian Charlie nach Hause, auch wenn sie protestierte, machte er nicht den Eindruck, sich geschlagen zu geben.

Sie standen vor der Tür, als Charlie sich bedankte und ihn bat wieder rüber zu gehen. Er ignorierte ihr Bitte und klingelte, er war sich dem Grund nicht sicher, warum er genau das Gegenteil machte, von dem, worum sie ihn bat.

Er hörte ein Poltern aus dem Hausinneren, bis ihm eine braunhaarige Frau öffnete, ihr Haar war durchzogen von grauen Strähnen, die sie älter wirken ließen, als sie in Wirklichkeit war. Adrian erinnerte sich an die warmherzige Frau, von der heute Nichts übrig geblieben ist.

Mit zusammengekniffenen Lippen musterte sie ihn. Ihre Augen waren zu bösen Schlitzen verzogen, ihre Statur war abgemagert.

Sie war das komplette Gegenteil von damals und Adrian spürte, dass sich nicht nur ihr Aussehen geändert hatte.

"Wo warst du?", ihre Stimme war schrill und unangenehm, aber ohne eine Antwort zu erwarten, packte sie Charlie und zog sie rein, um daraufhin Adrian die Tür vor der Nase zuzuschlagen.

Er hörte von drinnen noch lautes Geschrei, aber konnte kein einziges Wort verstehen.

Honey BadgerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt