•fünf•

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Mit leichten Kopfschmerzen wachte ich aus meinem ungewöhnlich ruhigen Schlaf.
Es war nicht die gewohnte Umgebung, zu der ich sonst aufwachte und mit einem Schlag bin ich hellwach.

Erst nach einigen Minuten fiel mir auf, wie spät es schon ist und ich machte mich fluchend auf den Weg in das nebenanliegende Haus, um mir meine Sporttasche zu schnappen und zur Boxhalle zu flitzen. Für andere Gedanken reichte mir die Zeit nicht.

Gerade rechtzeitig erreichte ich die große Halle und zog mich um. Ich stellte mich vor meine Schützlinge und musterte sie. Eine Lilly mit blau geschlagenem Auge. Ich lasse meinen Blick weiter schweifen, bis es mir bewusst wurde.
Lilly, mit einem Veilchen.
Mein kleiner Schützling, wurde geschlagen.

Und vielleicht hatte ich doch mehr für sie übrig, als ich sollte, aber jetzt reichte es mir.
Ich habe lange genug dabei zugesehen, zu lang.
Ich erhob meine Stimme und rief Lilly zu mir nach Vorne.

Die anderen versammelten sich um uns herum und ich wies sie an zu zuschauen und zu lernen. Lilly dagegen bat ich auf Angriff zu gehen. So gleich stellte sie sich auf, könnte aber meiner Meinung die Fäuste etwas mehr heben.

Mit Handschuhen gewappnet stand sie mir gegenüber, ich selbst sah keinen Schutz als Notwendig und beließ es bei getapten Händen.

Ich wußte, dass ich meine Deckung gut halten kann, doch sie zögerte deutlich.
Verängstigt schaute sie mich an und öffnete ihren Mund, um mir Widerworte entgegen zu bringen, doch entschied sie sich dagegen.
Irgendwann nahm ich genervt meine Deckung runter, nicht damit rechnend, dass das wohl ein fataler Fehler meinerseits sein könnte.
Sie geht mit ihrer erhobenen Deckung auf mich zu und will gerade mir ihre harte Faust unter meine Arme donnern.

Mein Bauchraum ist ungeschützt, doch rechtzeitig realisiere ich ihr Vorhaben und weiche aus. Noch hätte es nicht als Tiefschlag gegolten.

Ein ungewolltes Grinsen zierte mein blasses Gesicht. Sie gab nicht auf, immer wieder ging sie auf mich zu und versuchte entschlossen einen Treffer zu landen, doch ich hielt meine Deckung, wie die Mauer um meine Gefühle.

Ich merkte wie sie immer langsamer wurde, wie schwer es für sie war, ihre Arme zu heben und wie leicht es mir fiel, meine Deckung aufrecht zu erhalten. Aber dann beging ich einen Fehler, den ich noch nie begangen hatte.

Ich achtete auf mein Umfeld.

Ich schaute mich nach meinen Schützlingen um und blieb verwundert bei Adrian hängen. Was machte er hier?
Leicht sank meine Deckung und ich ließ Lilly komplett aus den Augen.
Den günstigen Moment nutzte sie und schmetterte ihre Faust samt Handschuh gegen meine Schläfe.

Schwarze Punkte schmückten zum zweiten Mal heute meine Sicht.
Bedröppelt stolperte ich einen Schritt zurück und ließ mich letztendlich auf meinen Hintern plumpsen.

Lilly war sichtlich erschrocken über diese Situation, denn niemand hatte je einen Treffer gelandet und schon gar nicht ein Anfänger.

Sie ließ sich zu mir auf den Boden fallen und entschuldigt sich mehrmals.

"Verflixt nochmal, Lilly, genau das ist dein Problem. Du darfst deinem Gegner keine Gefühle offenbaren. Denkst du sie hören auf, wenn du dich entschuldigst?! Die Welt ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Sie ist hart, grausam und unverzeihlich.", wütend blicke ich in ihre großen ängstlichen Augen.

"Und genau das ist dein Problem, Charlie", flüsterte sie und rannte aus dem Raum, doch dieses Mal ohne einen Einblick in ihre Gefühle zu zulassen.

Langsam richtete ich mich auf und ließ meine Knöchel durchknacken. Ich schaute in geschockte und überraschte Gesichter.
Kein Wunder schließlich warteten sie darauf, dass ich meiner Wut freien Lauf ließ, doch nichts geschah.
Ich grinste lediglich, vor Zufriedenheit, ob es andere für Wahnsinnig hielten war mir egal.

Plötzlich verblasste mein Grinsen, meine Knie wurden weich und mein ganzer Körper fing an zu kribbeln.

Meine Sicht trübte sich und zum dritten Mal diesen Tag landete ich unsanft auf dem Boden, doch dieses Mal ist es anders.

Dieses Mal bekam ich Luft, jedoch spürte ich meinen Körper nicht.
Alles ist schwer, meine Augenlider, die ich öffnen wollte, meine Arme, Beine und Finger, die ich versuchte zu bewegen.

Die Dunkelheit hieß mich willkommen und lässt mich, für kurze Zeit, die schmerzhaften Momente in meinem Leben vergessen.
Gähnende Leere umpfängt mich.

Ich brauchte mehrere Anläufe, damit mir es endlich geling meine Augen Lieder voneinander zu trennen. Ich schaute mich um und fühlte mich von dem sterilen Weiß nahezu geblendet. Ich hörte das gleichmäßige piepen des grauen Blechgeräts neben mir.

An meinem Arm hing eine Injektionsnadel, die an einer Infusion anschließt. Langsam machte sich Panik in mir breit.
Wenn es etwas gibt, das mir Angst machte, dann sind das Nadeln. Vorsichtig zog ich die Nadel aus meine blassen Armbeuge und sah zu wie ein wenig Blut aus der kleinen Wunde kommt.

Ich stand auf, aber wurde von einem weiteren Kabel gestört. Genervt packte ich die Klemme an meinem Finger, zog sie ab und nahm mein Sporttasche, die neben dem Krankenhausbett lag.

Gerade als meine Hand den Türknauf umfassen wollte, erklang ein lautes, langanhaltendes und ohrenbetäubendes piepen. Meine Kopfschmerzen wurden immer unerträglicher, sodass ich mir die Ohren zuhielt.

Unruhig saß Adrian im Wartezimmer. Die Ärztin meinte zwar, dass Charlie stabil aber noch nicht ansprechbar sei.

Er wußte nicht wieso, doch er zitterte am ganzen Leibe, vor Angst. Die Außenwelt scheint ihn zu erdrücken, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er hasste Krankenhäuser.

Der Sturm, der in seinem inneren wütete, drang in keinster Weise in die Außenwelt.
Gerade als er sich wieder beruhigt hatte, stürmten die Ärzte an ihm vorbei. Gedämpft verstand er etwas von Herzstillstand bevor er nur noch alles andere dumpf wahrnimmt.

Erst als ein feuerroter Haarschopf an ihm vorbeisauste, hob er seinen Kopf. Das ungewohnte Gefühl von Erleichterung durchfährt ihn, als er seine aufbrausende Nachbarin erblickte.

Doch sobald er ihren verklärten, zornigen Blick bemerkte, zog sich etwas schmerzhaft in ihm zusammen. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass der Wunsch nach seiner besten Freundin nie in Erfüllung gehen würde.

Langsam verschwomm seine Vorstellung nach einer heilen Welt und er machte sich auf den Weg zu Charlie, um sie nach Hause zu fahren.

Das protestieren der Ärzte und Krankenpflegern schienen sie zu ignorieren, denn nach kürzester Zeit waren sie draußen, ohne auch nur ein Wort verloren zu haben.

Stille erfüllte das gesamte Auto. Seine Achtzehn Jahre machten sich sowohl äußerlich als auch in seiner Persönlichkeit stark bemerkbar. Er ist ruhig, ausgeglichen und besitzt die Autorität, die er sich einst hart erkämpft hatte.

Seine blonden Haare fallen ihm leicht in das markante Gesicht, während er sich auf die Straße konzentriert.
Sein leichter Bartschatten lässt ihn verrucht aussehen.
Seine grünen Augen haben schon lange den Glanz verloren, die sie einst besaßen.
Er verkrampfte sich deutlich und seine großen Hände rissen bei jeder Kurve das Steuer um.
Er zischte, dass sie ihn nicht so anstarren solle, doch Charlie erlaubte sich die Frechheit, ihn weiterhin unverschämt zu beäugen.

Ruckartig bremste er ab und meinte sie solle aus dem Auto verschwinden. Erschüttert stieg Charlie aus dem stehenden Auto und merkt erst spät, dass sie vor ihrem eigenen Haus steht.
Seufzend holte sie ihren Schlüssel aus der Hosentasche und trat in das verlassene, einsame Haus.

Niemand erwartete sie, niemand empfängt sie freudig mit geöffneten Armen.

Zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters, war sie wieder komplett alleine. Keine Eltern, kein herzlicher Nachbar und keine Freunde.
Kurz gesagt sie hatte nichts.
Niemand, der auf sie wartet, Niemand, der sich um sie kümmert und Nichts, das sie vermissen wird.

Langsam schliff Charlie sich in das Bad, um zu Duschen und anschließend in das leere, kalte Bett zu schlüpfen. Selbst die geliebte Katze fehlte.

Honey BadgerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt