•zwei•

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Es ist der Wecker der ihn aus einem seiner Albträume riss, doch er ist es gewohnt von ihnen verfolgt zu werden.

In Boxershorts und T-Shirt tappste er zu seinem Badezimmer, nur um wenig später komplett fertig gemacht wieder heraus zu kommen. Seine blonden Haare standen wild von seinem Kopf ab, sie zu bändigen versuchte er schon lange nicht mehr.

Er rannte die Treppe runter und schmiß sich sowohl einen Apfel, als auch die bereit stehende Wasserflasche in die Tasche.

Er suchte seine rote Lederjacke, seine Schuhe und sein Longboard zusammen, um sich die letzten zwanzig Minuten vor den Fernseher zu setzen und Nachrichten zu schauen.
Es war für ihn zu einem Art Ritus geworden, so normal wie das tägliche aufwachen.

Er hält gerne an seinen Strukturen fest. Er wird sich nicht ändern, für niemanden.

Panisch wachte ich auf. Ich hatte schlecht geträumt.
Es war der eine Abend der mir immer in Erinnerung bleiben wird. Es war der Abend des Todes meines Vaters. Heute ist Papas Todestag. Heute vor zehn Jahren ist passiert, was alles veränderte, was mich veränderte.
Heute vor zehn Jahren hatte alles Leid seinen Anfang.

Langsam stand ich auf und vergaß dabei komplett meinen geschundenen Rücken.
Mein Gesicht verzog sich zu einer schmerzerfüllten Grimasse.
Noch langsamer und darauf bedacht nicht viel meines Rückens zu bewegen lief ich auf meinen beachtlich kleinen Schrank zu und holte mir meine schwarze Jeans und meinen Schwarzen Hoodie aus der Schublade.
Fertig angezogen, gehen ich zu meinen Nachtschränkchen und binde meine Haare mit einem Haargummi zusammen.

Damit ich zumindest etwas Farbe, außer meiner Haare, hatte, band ich mir ein rotes Halstuch mit Muster um mein Handgelenk.
Denn auch wenn das Leben trostlos erscheint, hat es etwas Farbe verdient.

Schnell machte ich mich auf den Weg ins Badezimmer und putzte meine Zähne. Schminken ist bei mir nicht von Bedeutung, da ich eh nichts zu bepinseln habe.
Ich finde es unnötig.
Schnell schnappte ich mir meine schwarzen ausgelatschten Converse.

Mit meinem Longboard in der einen und meiner Tasche in der anderen Hand bewaffnet, machte ich mich auf den Weg in die Schule. Bewusst ignorierte ich die Person hinter mir, die zur selben Zeit aus der Tür tritt und ich als den Nachbarsjungen identifiziere.

Mein Weg geht ein großes Stück bergab, welches ich liebe hinunter zu fahren.
Es ist befreiend den Wind in den Haaren zu spüren.
Nur ist im jetzigen Moment das Problem, dass ich meine Haare tief in meinem Kapuzenpulli versteckt habe. Ich brauchte nicht wieder gemobbt zu werden, wegen diesem stechenden Rot.
Und nur weil er mich und mein geringes Problem, mich zu beherrschen noch nicht kannte.

Angekommen an dem Ort, der mir lieber als mein eigenes zu Hause ist, schnappte ich mein Longboard vom Boden auf, laufe in zügigen Schritten zu meinem Spind und stellte dieses hinein. Währenddessen holte ich mein Deutschbuch heraus.
Zusätzlich schnappte ich mir noch mein Philosophie Ordner und ging in das Klassenzimmer.

Eine unangenehme Lautstärke empfing mich, die mir letztendlich doch sehr willkommen war. Sie lenkte mich von der Leere ab und erfüllte mich mit der Freude anderer. Wenn ich nur lang genug daran glaubtee, bin ich Teil dieser Freude und sie wird ein Teil von mir.

Es war amüsant die laufenden Gespräche mit anzuhören.
Es waren Gespräche über den neuen Freund, über den nun heißen Single und einem Neuen.
Keiner dieser Leute um mich herum weiss wer er ist, ich schon.
Er ist mein Nachbar.
Der junge Mann der in das Haus meines alten Freundes gezogen ist. Der Freund, der mehr ein Elternteil für mich war, als es meine Mutter je sein könnte.

Der Neue ist der Kerl mit den breiten Schultern, der den ich jedoch auch nie wirklich zu Gesicht bekommen hatte.

Als es zur ersten Unterrichtsstunde klingelte, zog ich mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht und stecke mir meine Kopfhörer ein. Der nun immer leiser werdende Lärm wird von meiner Musik gefüllt.

Wie in einem Stummfilm, sah ich wie sich Münder öffneten, aber keine Worte folgten. Als der Neue rein kam, wurde es so laut, dass ich das aufgeregte Tuscheln selbst durch die laute Musik verstehe.

Ich sah ihn nicht direkt an, nein, viel mehr aus dem Augenwinkel und in Gedanken versunken.
Ich weiss nicht woran ich dachte und wohin meine Gedanken führten, als ich im Augenwinkel sah, wie er sich neben mich setzt. Wie denn auch nicht, niemand setzte sich freiwillig zu Beginn des Jahres neben mich. Ich bin die Außenseiterin, die Aussätzige.

"Hey", sprach er mich an, doch zum zweiten Mal an diesem Tag ignorierte ich ihn.
Ich realisierte gar nicht, dass die Lehrerin schon mit ihrem Unterricht begann. Erst als sie den Neuen herzlich begrüßt, horche ich wieder auf.

"Sie da hinten im schwarzen Pulli", ich schaute auf, "Ja, genau Sie, räumen Sie ihre Kopfhörer weg. Und folgen Sie meinem Unterricht!"

Wiederwillig packte ich die Kopfhörer weg. Leise aber verständlich drang noch Musik aus meinen Kopfhörern.
Erst spät merkte ich, dass es Adrian und mein Lieblingslied ist, oder eher war.

Der Neue versteifte sich merklich, als er das Lied leise aus meinen Kopfhörern dröhnen hörte, er kannte es also auch.

"Wie heisst du?", fragte er mich, indem er die Worte auf mein Tisch kritzelte. "Warum willst du das wissen?", schrieb ich fein säuberlich unter seine Frage und bemerkte gar nicht, wie mein Herz ein kleines bisschen schneller schlug

Unsere Tischkonversation wurde jäh von der Lehrerin unterbrochen, als sie mich aufforderte meine Kapuze abzunehmen.
Wiederwillig zog ich diese ab und richtete meinen Zopf.

"Charlie", überrascht zog der Neue die Luft ein, doch ich war nicht minder überrascht. Viel zu verwirrt schaute ich auf und starrte ihn an. Ich konnte meinen Blick nicht losreißen, viel zu bekannt kam er mir vor, doch ich kann nicht sagen wer er ist. Er erinnert mich, aber ich kann nicht sagen an wen.

Ruckartig stand er auf und ging zur Türe. Mit ihm fehlt auch die Wärme, die ich bis soeben verspürt hatte. Ich bin noch immer viel zu sehr in Gedanken versunken, um überhaupt zu verstehen was hier gerade passierte. Schemenhaft sah ich nur wie der Neue den Raum, wütend und für den Rest des Tages, verließ.

"Bleiben Sie stehen Herr Herzig!"
"Ich wiederhole mich nur ungern! Adrian Herzig bleiben Sie verflixt nochmal stehen!"

In dem gesamten Zimmer ist es so leise, dass ich mein Herz brechen hörte.
Stocksteif auf meinem Stuhl und fing an zu zittern.
Tränen wollten mir wie Wasserbäche über mein Gesicht laufen, doch bevor irgendjemand auch nur die erste Tränen vernahm, stand ich auf und rannte ebenso aus dem Raum.

Ich weiss nicht wie ich es mit verschwommener Sicht heile unter meinen Baum geschafft hatte, aber nun saß ich hier und weinte stumme Tränen. Sie versiegen nicht. Eine nach der anderen floss über meine knochigen Wangen.

"Hey", sprach mich ein braunhaariges schlankes Mädchen an. "Ich bin Eleonora. Du kannst mich aber auch gerne Elli oder Nora oder-
Keine Ahnung nenne mich einfach wie du willst."

Skeptisch betrachtete ich sie. " Was willst du? ", ich merkte, wie sich meine linke Augenbraue leicht hob.
" Jetzt sei doch nicht so gemein.", meinte sie und schob beleidigt ihre Unterlippe vor.

Das sah so dämlich aus, sodass ich mir ein leises Kichern nicht verkneifen konnte.
Es hörte sich so ungewohnt an, kratzend, wie Schleifpapier und genauso fühlte es sich auch an. Tief in meinen Herzen.

Sie ist niedlich mit ihren krausen Haaren und ihrer aufgeweckten Art. Ich fühlte mich bei ihr wohl und aufgehoben, so wie ich es lediglich nur bei Olaf gespürt hatte.

Langsam fing ich an zu erzählen, was mir heute passiert ist, dass ich Adrian von früher kannte, dass ich aus dem Unterricht gerannt bin. Es war als wäre Olaf hier und hörte mir zu. Es war genau das was ich brauchte.
Ich brauchte einfach jemanden zu reden.

Honey BadgerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt