•fünfzehn•

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Yannik und ich schwiegen uns an während wir durch die Gänge, des ungewöhnlich belebten Krankenhauses schlichen. Draußen wurde es schon finster und die Neonröhren wiesen uns den Weg. Eine Ärztin, die mich wohl zu kennen schien kam uns entgegen, denn mit einem Mal blieb sie stehen und meinte:

"Hey, warte mal sind Sie nicht-"

"Nope", unterbrach ich sie schnell und mein Tempo erhöhte sich. Yannik zog mit aber sah moch verwundert an. Auf seinen fragenden Blick hin, schüttelte ich nur den Kopf. Er musste nicht alles wissen, vor allem nicht von meinem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus.

Schweigend saßen wir im Auto, ungewöhnlich Still, für den jungen Mann. Sonst konnte er gar nicht aufhören zu reden und man musste ihn regelrecht zwingen, die Klappe zu halten. Jetzt saß er schweigend am Steuer und konzentrierte sich auf die Straße.

"Das stimmt nicht. Was du gesagt hast, meine ich. Du bist nicht Schuld, du konntest nichts dafür, was mit Lilly passiert ist."

"Doch Yannik, ich hätte früher einschreiten können, etwas unternehmen können. Dabei stand ich lediglich nur rum und hab zugesehen, wie jeder andere. Es hätte nicht so weit kommen dürfen.", ich war traurig.

Erschüttert, über das, was Menschen Zustande bringen, über das, was sie anderen antun können.

Ein kleines Mädchen verprügeln.

Sie war wehrlos und die Leute haben nichts Besseres zu tun, als dabei zu zu sehen. Ich bin eine davon. Ich mache das Leben eines kleinen Mädchens zur Hölle.

"Verdammt Charlie, nicht alles dreht sich immer um dich. Du trägst nicht ständig die Schuld für alles, wir sind eigenständige Personen."

So wie er jetzt drauf war hatte ich Yannik noch nie erlebt. Er war wütend auf mich, aber er hatte recht, es drehte sich nicht immer alles um mich.

"Charlie bitte, lerne es.
Lerne, dass du so viel mehr als nur ein Sündenbock bist. Lerne, dass auch du ein Herz hast und bitte versteck dich nicht. Denkst du wir sehen es nicht? Dass dein ganzes Selbstbewusstsein, dein arrogantes Getue, alles nur Fassade ist? Hälst du uns wirklich für so dumm?"

Mit großen Augen schaute ich ihn an.  Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
War ich wirklich so leicht zu durchschauen?

Den Rest der Fahrt schwiegen wir uns wieder an. Ich war froh über die Stille, da ich meine Gedanken sortieren konnte.

Ab und zu diktierte ich ihm die Richtung zu mir nach Hause. Nach 5 weiteren ruhigen Minuten waren wir bei mir daheim angekommen und ich bedankte mich bei Yannik.

Ich wollte gerade aussteigen, als er noch etwas sagte: "Adrian hat recht, Charlie. Pass auf dich auf, wenn wir schon nicht auf dich aufpassen dürfen."

Ich wunderte mich, woher diese Worte kamen, woher dieser Sinneswandel kam. Ich nickte nur, bevor ich die Tür zu schlug, mich umdrehte und die Auffahrt nach Hause lief.

'Die Auffahrt zur Hölle.'

Adrian saß bei seiner Schwester und hörte ihr geduldig zu. Ihr schien es schon viel besser zu gehen, erleichtert. Sie erzählte ihm, dass sie sich mit Charlie wieder vertragen hatte und sie sich ausgesprochen hatten.

Es freute ihn, sie so glücklich zu sehen.

Lilly, die sich bis eben im Hintergrund gehalten hatte, meldete sich zu Wort und berichtete, dass ihre Mutter bald einträfe und sie die Geschwister nicht weiter aufhalten wolle.

Adrian grinste und schüttelte nur den Kopf. "Kommt gar nicht in Frage, Lilly. Wir bleiben, bis jemand für dich da ist. So eine dämliche Aussage, als ob du uns aufhalten würdest."

Schüchtern schaut das kleine Mädchen ihn an. Im selben Moment klopfte es an der Tür und ein Ehepaar tritt zur Tür herein.

"Lilly!", rief sie bestürzt und nahm sie in den Arm.

Tränen liefen der älteren Frau über die Wangen und auch sie fragte sich, wie man so etwas jemandem antun kann, zu welcher Untat Menschen fähig sind.

Für Adrian und Elli wurde es nun Zeit aufzubrechen und die kleine Familie allein zu lassen. Ihm schmerzte der Anblick von Mutter und Kind, diese besondere Bindung. Etwas, dass er nie haben würde, aber auch nie haben könnte.

Er kennt es nicht mehr, dass die Mutter einen in den Arm nimmt, mit ihm bastelte, mit ihm kochte. Das alles fehlte ihm. Es ist ein klaffendes Loch in seinem Herzen, welches nie gefüllt werden kann.

Bei mir zu Hause angekommen, dachte ich noch einmal über Yanniks Worte nach.

'Adrian hat recht.'

'Pass auf dich auf.'

Ich passe auf mich auf, das habe ich schon immer und werde ich auch immer.

"Wo warst du den ganzen Tag", poltert gleich Mutter, als ich die Küche betrat.

"Ich war in der Schule und danach beim Arzt", gab ich kleinlaut bei. Ich konnte ihr nicht in die Augen schauen, zu groß war die Angst vor ihr.

"Nun gut, dann bekommst du einfach nichts zu Abendessen, wenn du schon dazu zu spät kommst", sagte sie mit einem gleichgültigen Schulterzucken.

Mir war es recht, aber sogleich meldete sich mein schlechtes Gewissen. Im Krankenhaus hatte ich Elli versprochen etwas zu essen, aber das hatte sich jetzt wohl erledigt.

Warum versprach ich Leuten eigentlich so viel, wenn ich es eh nie einhalte. Ich bin ein unzuverlässiger, unehrlicher Mensch und das hasse ich an mir.

Ich schaute Mutter an und erwartete noch eine weitere Schimpftirade aber es blieb dabei. Sie drehte sich um und zeigte mir die kalte Schulter, die ich schon längst von ihr gewohnt war.

Mir war es recht einen einigermaßen ruhigen Abend nach diesem ereignisreichen Tag zu haben.

Ich verzog mich in mein Zimmer, nahm mir Wechselklamotten mit und ging anschließend ins Bad.

Nach einer ausgiebigen heißen Dusche betrachtete ich mich im Spiegelbild.

'Du weißt, dass du Schuld daran bist, du brauchst gar nicht auf die billigen Ausreden der anderen hören.'

'Es ist ganz allein deine Schuld, nur wegen dir wurde ein kleines Kind zusammen geschlagen.'

'Du hättest das sein sollen, nicht sie, du hast es verdient und nicht sie'

'Sieh es ein. Nicht einmal deine Mutter sieht dich als Wert genug an.'

'Du bist Dreck für sie, eine dreckige Hure, mehr nicht und das weißt du.'

'Tu nicht so als wärst du etwas wert.'

"Ich bin kein Dreck", flüsterte ich. Wie ein Mantra wiederholte ich diese Worte.

Aber was versuchte ich mir da einzureden?

Meine Stimme brach, doch meine Tränen floßen unentwegt weiter. Warum war ich nicht schon daran gewöhnt? Warum weinte ich noch? Weshalb hatte ich noch Tränen übrig?

Ich zog das Messer, um meinen Gedanken ein Ende zu bereiten.

Honey BadgerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt