Tonks rannte. Sie wusste, dass dazu kein Grund bestand, aber dennoch rannte sie so schnell, dass ihr keuchender Atem und das Hämmern ihres Herzens das schnelle Pochen ihrer Schritte auf dem Asphalt begleitete und in einen unsichtbaren Rhythmus überging. Sie hätte einfach apparieren können, das wusste sie. Sie hätte zum Grimauldplatz apparieren können und Hilfe holen können. Aber sie konnte nicht. Sie war so durcheinander, dass ihr klar war, dass sie nicht apparieren konnte. Vielleicht wäre sie zersplittert, vielleicht hätte sie sich auf der Stelle weitergedreht und nichts wäre geschehen, sie wusste es nicht. Das einzige, was sie vor dem Zusammenbruch rettete, war ihr schneller Laufschritt, den sie eingeschlagen hatte. Die Geräusche um sie herum waren gedämft und sie wurde von ihrer Umgebung abgeschnitten, da ein weißer Schleier sie einhüllte. Weiße Flocken wirbelten um sie herum und fielen sanft auf den Boden, immer schneller und dichter, bis der Asphalt verschwand und das harte Geräusch ihrer Schritte in ein leises Knirschen überging. Doch all das nahm sie kaum wahr, denn sie war in dem Käfig ihrer Gedanken gefangen, in dem ein so wildes Durcheinander herrschte, dass sie unwillkürlich ihre Schritte beschleunigte und mit rasender Geschwindigkeit über den Schnee flog. Das Brennen in ihren Lungen und die Schmerzen in ihren Beinen befreiten ihren Kopf und halfen ihr, ihre Gedanken zu ordnen. Sie wusste nicht mehr, wo sie war. Das Schneegestöber hatte sie orientierungslos gemacht und sie achtete nicht auf den Weg, den sie einschlug. Sie erinnerte sich an ihren kurzen Flug durch den eisigen Wind und das Aufprallen auf dem Boden, das kurz darauf folgte, weil sie ihn nicht hatte kommen sehen. Sie hatte sich mehrfach überschlagen und den Besen in den weißen Massen verloren, die vom Himmel fielen.
Sie fror erbärmlich und rannte noch schneller, um die Kälte zu vertreiben, die in Gestalt einer Gänsehaut ihre nackten Arme hinaufkroch. Doch dieses eisige Gefühl schien nicht vom Schnee und der winterlichen, klaren Luft zu kommen, die in ihren Lungen schmerzte, sondern aus ihrem Inneren. Es war eher ein tiefer Schmerz und die Schuld, Remus zurückgelassen zu haben.
Doch ehe sie weiter über ihn nachdenken und möglicherweise in Tränen ausbrechen konnte, schüttelte sie den Gedanken ab und konzentrierte sich auf den weißen Boden, um nicht zu stolpern und das Gleichgewicht zu verlieren. Normalerweise wäre sie schon längst gefallen, aber nicht jetzt. Nicht hier.
Nicht in dieser Situation.
Natürlich übte man die Ausdauer und den Sprint in der Aurorenausbildung, auch wenn man selten darauf zurückgreifen musste. Dennoch gehörte es zu den Fähigkeiten, die man als Auror beherrschen musste. Deshalb wusste Tonks, wie sie den heftigen Schmerz in ihren Muskeln ignorieren und die Atemknappheit ausblenden konnte. Beim Training war sie oft gestolpert, ob über Wurzeln oder ihre eigenen Füße. Man hatte Witze gerissen, sie sei wohl physisch nicht zur Aurorin geeignet, doch nach den ersten Einsätzen, in denen alle ihre Fähigkeiten gefordert wurden, hatte man ihr Respekt und Achtung geschenkt.
Sie wusste nicht, wieso, aber in brenzligen Situationen war sie so feinmotorisch wie kein anderer, und ein Missgeschick lag so fern wie der Horizont. Sie brauchte ihren Körper nicht verändern, um besser geeignet zu sein, wie manche es anfangs behauptet hatten.
Und auch jetzt erwies sie sich als flink und geschickt, sprang über Äste und schlug Haken, als vor ihr plötzlich ein Auto, Haus oder ein Zaun auftauchte.
Denn es war eine brenzlige Situation.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ihre Gedanken rasten so schnell wie das Herz in ihrer Brust, das laut gegen ihre Rippen hämmerte und ausbrechen zu wollen schien. Sie befand sich in einer verzwickten Lage, das war ihr klar. Sie war ohne Umhang draußen im Schnee, wusste nicht, wo sie sich befand, konnte nicht apparieren und hatte ihren Besen verloren. Sie hatte wirklich nicht überlegt gehandelt. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, hätte sie so viel tun können, aber jetzt rannte sie durch den dichter werdenen Schneesturm und Remus musste sich allein gegen die Todesser stellen.
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Winter Mission (Adventskalender 2021)
Fanfiction》Sie lehnte sich gegen die Wand und starrte gedankenverloren in ihren Tee, als würde er ihr Antworten auf Fragen geben, die niemand anderes beantworten konnte „Er ist gekommen."《 Dezember 1995. Nymphadora Tonks und Remus Lupin erhalten eine gefährli...