3. Kapitel

88 27 14
                                    

Die Worte des braunen Katers hallten jetzt wieder in Schleiers Ohren nach.
Sag aber nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.
Nun saß er draußen ganz alleine in der Kälte und niemand beachtete ihn. Seine Hausleute hatten ihn tatsächlich vor die Tür gesetzt. Und sie würden ihn wahrscheinlich nicht mehr reinlassen. Er wünschte er könnte das eben Passierte ungeschehen machen. Er wollte doch gar nicht so ausfallend werden und das Zweibeinerjunge kratzen.

Schleier plusterte das Fell ein wenig gegen die Kälte auf und schüttelte sich den Schnee aus dem Pelz.
Bald bin ich ein Eisklotz. Wie halten das die wilden Katzen bloß aus?
So schnell, es mit seinen kältesteifen Beinen ging, lief er zu dem Baum und zog sich mühsam daran hoch. Hoffentlich war das Vogelnest noch da.
Vorsichtig setzte er eine Pfote vor die andere und kam langsam höher. Er wollte gerade den ersten Ast packen, als seine Hinterpfoten an dem glatten Stamm abrutschten. Er jaulte erschrocken auf und grub seine Krallen mit aller Kraft in die harte Rinde des Baums.
Wieso habe ich heute bloß so viel Pech?!
,,Ruhe! Es versuchen welche zu schlafen."

Schleier fuhr hoch und rutschte fast nochmal ab. Im letzten Moment krallte er sich mit den Vorderpfoten an dem unteren Ast fest und zog sich hoch. Oben im Baum hockte eine andere Katze. Es war Biene.
,,Was machst du denn hier?", fragte Schleier überrascht.
,,Ich habe mit Minka Verstecken gespielt und plötzlich wurde die Zweibeinertür zugemacht und ich muss jetzt draußen schlafen. Aber wieso bist du hier?", fragte der weiße Kater und musterte ihn eindringlich.
,,Ich habe etwas Schreckliches gemacht."
,,Was denn?", miaute Biene neugierig.
,,Ich habe dem Zweibeinerjungen meine Krallen durchs Gesicht gezogen."
Biene hielt vor Schreck die Luft an: ,,Das ist nicht so toll. Wenn du Pech hast, kommst du nie wieder rein."

,,Ich weiß, aber..."
Biene heulte laut auf.
,,Was ist?", rief Schleier entsetzt und sträubte sein Fell.
Biene schnippte fassungslos mit dem Schwanz in Richtung seiner Verletzung.
Schleier entspannte sich wieder.
Also nichts so Schlimmes, wie ich befürchtet hatte.
,,Ja, deswegen habe ich den Zweibeiner doch gekratzt. Ich hatte mich in einem Dornengebüsch verfangen und der Zweibeiner hat genau die verletzte Stelle angefasst."
,,Das ist schlimm!", miaute Biene immer noch fassungslos.
Er sah aus, als hätte er noch nie eine verletze Katze gesehen.

,,Wo ist Minka eigentlich?", wollte Schleier wissen.
,,Die ist im Bau!"
,,Können wir uns den Baum diese Nacht teilen?"
,,Ich habe kein Problem damit", miaute Biene großzügig.
Schleier guckte ihn überrascht an. Er war von ihm gar nicht gewohnt, dass er so nett war. Bei der letzten Begegnung war der weiße Kater nicht besonders freundlich gewesen.

Biene schnippte mit dem Schwanz: ,,Aber ich bekomme das Vogelnest."
Schleier schnurrte: ,,Natürlich."
Er legte sich in eine Astgabel und versuchte einzuschlafen, was auf einem Baum sehr komisch war. Der graue Kater versuchte nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn er runterfallen würde. Aber unten im Garten wollte er so ungeschützt auch nicht schlafen.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, war Biene verschwunden und sein Zweibeinernest offen. Er war wahrscheinlich zu Minka gegangen.

***

Mehrere Sonnenaufgänge war Schleier jetzt schon draußen. Langsam wurde es wärmer und der Schnee verschwand wieder. Trotzdem gab er so langsam die Hoffnung auf, dass die Zweibeiner ihn wieder reinlassen würden. Während der ganzen Zeit, die er nun schon draußen war, hatte er nur zwei Mäuse gefangen. Biene und Minka hatten ihm zwar ein paar Male in ihr Nest bringen können. Dort hatte er ein wenig von dem Fressen der beiden abbekommen. Trotzdem war er etwas abgemagert.   Schleier überlegte, ob er in den Wald gehen sollte. Da würde es auch mehr Nahrung geben.

Schleiers Gedanken wurden unterbrochen, als die Tür des Zweibeinernestes aufflog und ein kleiner Hund mit heraushängender Zunge auf ihn zugeschossen kam. Diese Zweibeiner hatten ihn tatsächlich durch einen Hund ersetzt. Der Hund kam genau auf ihn zu. Seine runden Augen waren genau auf ihn gerichtet. Schleier war vor Schock wie festgefroren.   Plötzlich kam Minka mit lautem Gekreische aus den Büschen gestürmt. Hinter ihr lief Biene. Die beiden sprangen mutig vor Schleier und zogen dem Hund die Krallen über die Nase. Der raste darauf sofort winselnd zurück.

,,D-danke", stammelte Schleier immer noch geschockt.
Wie peinlich, dass er wie ein ängstliches Kätzchen dagestanden hatte.
,,Immer wieder gerne", schnurrte Minka.
An ihrer Pfote klebte ein bisschen Fell von dem Hund, was sie schnell wegleckte.
,,Ich glaube, dass ich hier nicht länger bleiben kann", miaute Schleier traurig.
,,Wo willst du dann hin?", fragte Biene.

,,In den Wald. Dort finde ich genügend Nahrung."
,,Das heißt, du verlässt uns?", miaute Minka leise.
,,Ja, das werde ich."
,,Bleib doch wenigstens noch ein bisschen hier."
,,Dann erwischt mich aber der Hund!", miaute Schleier und stellte sein Fell sofort auf.
,,Im Wald gibt es auch Gefahren. Wenn du dich nicht mal gegen einen kleinen Hund verteidigen kannst, wie willst du dann im Wald überleben?", miaute Minka neckend.

,,Schleier hat recht. Er sollte so schnell, wie es geht, von hier verschwinden", meldete Biene sich zu Wort.
,,Du wirst ihn also nicht vermissen", knurrte die braune Kätzin.
,,Doch schon, aber hier ist es nicht mehr sicher."
,,Im Wald auch nicht", fauchte Minka zurück.
,,Dort gibt es aber genug Bäume zum draufklettern und ich hoffe nicht, dass er den gleichen Fehler wie eben nochmal macht."
,,Ich denke nicht", miaute Schleier etwas zögernd.
,,Dann geh, wenn du meinst, es ist besser für dich", miaute Minka leicht gekränkt.
Trotzdem lag in ihrem Blick tiefe Zuneigung.
,,Pass aber auf", warnte Biene noch.
Die beiden verabschiedeten sich von Schleier. Dann entfernte er sich langsam und sprang auf auf die Holzwand. Er schnippte noch einmal mit dem Schwanz und sprang in den Wald. Was sollte er jetzt machen? Erstmal musste er ein sicheres Versteck finden.

Nach langer Suche erreichte er einen kleinen verlassen Zweibeinerschuppen, in dem er sich niederließ. Schleiers Magen knurrte in dem Moment auch passend. Also machte er sich auf den Weg, um Beute zu finden. Er hatte tatsächlich Glück. Gleich in der Nähe von seinem Versteck raschelte etwas. Schleier entdeckte ein Eichhörnchen. Vorsichtig schob er sich näher heran. Noch ahnte das Eichhörnchen nicht, dass Schleier sich anschlich. Als er nur noch eine Schwanzlänge von ihm entfernt war, sprang er ab und landete mit ausgefahrenen Krallen genau auf dem Eichhörnchen. Er biss dem Eichhörnchen in den Hals, um sicherzugehen, das es tot war. Langsam verzehrte er seine Mahlzeit. Er hielt inne. Etwas hatte sich über ihm bewegt. Doch bevor er nachschauen konnte, fiel ein dunkler Schatten auf ihn und begrub ihn unter sich.

Warrior Cats - Der verlorene Anführer (Vorgeschichte)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt