1. Teil

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Leise höre ich dem Regen zu. Ich beobachte, wie die Tropfen sich einen Weg nach unten bahnen, wie ich es als Kind immer gemacht habe. Dann lege ich meinen Fokus weg von den Tropfen und blicke nach draußen. Vor mir stehen viele Häuser angereiht in den verschiedensten Farben. Es sieht sehr friedlich aus. Doch ich bin nicht hier, um zu bleiben. Ich bin hier, um Abschied zu nehmen.
Leise klopft es an der Türe. „Bist du bereit?", fragt die Frau vom Jugendamt sanft. Ohne mich umzudrehen, meine ich, ich komme gleich. Ich habe nicht gedacht, dass es so schwer wird, zu gehen. Doch all meine Erinnerungen mit meiner Mutter und meinem Vater, als er noch nicht so viel trank, liegen genau hier. Seufzend drehe ich mich um und folge der Frau. Sie lächelt mich an, als ich das Zimmer verlasse und raustrete. Ich atme die kühle Luft ein und fühle mich gleich ein wenig besser. Doch umso näher wir dem Bahnhof kommen, umso nervöser werde ich. Ich kenne meinen Onkel nicht und weiß nicht, was mich erwartet. Ich weiß nicht einmal, ob er eine Frau oder Kinder hat. Ich hoffe ehrlich gesagt nicht, denn dann hätte er ja gar keine Zeit sich noch um mich zu kümmern. Mit nicht so guten Gedanken verabschiede ich mich von der Frau des Jugendamtes und steige in den Zug. Es wird eine lange Fahrt. Ich hole meine Kopfhörer aus meiner Tasche, stecke sie in meinen Ipod und lasse sanfte Musik laufen. Ich muss mich beruhigen.
Als ich aussteige, bläst mir der Wind förmlich entgegen und ich muss meinen Schal halten, damit er nicht gleich weg fliegt. Ich verdrehe jetzt schon meine Augen. Kein toller Start. Ich entdecke einem Mann, der meinem Onkel ähnlich sieht. Auf dem Bild, was ich bekommen habe, sieht er zwar etwas jünger aus, aber er könnte es tatsächlich sein. Als er mich anlächelt, bin ich mir sicher, dass er es ist. Ich schnappe meinen Koffer und laufe auf ihn zu. Er nimmt mich in die Arme und leicht überrascht erwidere ich sie. Als er sich von mir löst, strahlt er mich an und ich sehe, dass er die selben Augen wie mein Vater hat. Beim Lächeln treten ihm Grübchen hervor und er wirkt sehr sympathisch. Vielleicht kann das ja doch noch etwas werden. Schüchtern lächele ich zurück. „Ich bin froh, dass wir uns auch mal kennenlernen dürfen." Ich weiß nicht so ganz, was ich erwidern soll, deshalb lächele ich einfach weiter. Er nimmt meinen Koffer und gibt mir ein Zeichen, dass wir loslaufen können und ich folge ihm etwas unsicher. „Mein Auto steht gleich dadrüben." Er zeigt mit seiner Hand auf einen kleinen Parkplatz auf dem nicht viele Autos stehen. Er ist etwas abseits, jedoch nicht schwer zu finden. Wir überqueren eine Straße und langsam nähern wir uns einem kleinen, blauen Auto. Mein Gepäck legt er in den Kofferraum und ich setze mich auf den Beifahrersitz. Ich schaue mich um. Kein Kindersitz und auch sonst nichts, was auf Kinder hindeuten könnte. Es riecht leicht nach Vanille. Ich liebe diesen Geruch. Während der Fahrt bleiben wir erst etwas still, doch mich interessiert zu sehr, wie er lebt und ich halte es nicht länger aus, ihn nicht danach zu fragen.
„Hast du Kinder?", ich schaue ihn nicht an, starre geradeaus. Kurz spüre ich seinen Blick auf mir, dann dreht er sich wieder nach vorne. „Nein. Ich lebe mit ein paar Freunden, die ich von meiner Arbeit kenne, in einer Art WG. Deshalb wird dir auch sicher niemals langweilig werden. Sie freuen sich alle, dich kennenzulernen", jetzt muss ich doch etwas lächeln und sage schließlich: „Ich freue mich auch".

ASDS_neues Leben in der Ärzte WGWo Geschichten leben. Entdecke jetzt