Es war so weit. Alle Gäste waren da und ich war angespannt. Nervös zupfte ich an meiner Fliege rum. Lilly kam ins Schlafzimmer, stellte sich vor mich und rückte meine Fliege zurecht. Danach stellte sie sich neben mich und wir lächelten beide in den Spiegel. „Du siehst wunderschön aus Lilly.", „Du auch. Jetzt komm, die Gäste warten schon im Wohnzimmer. Alle sind bereit, nur du fehlst noch."
„Ich komme gleich. Ihr könnt ja schonmal alle runter gehen. Leander kann ja schonmal anfangen.", „Pau?", sagte Lilly leicht genervt, während ich mir mein Jackett anzog. „Was ist mein Schatz?", fragte ich unschuldig. „Du weißt ganz genau, dass ich bestimmt nicht mit einer Horde von Ärzten in diese von mir so gehassten Praxisräume gehe, und das auch noch ohne dich. Vergiss es."
Ich seufzte. „Okay. Sag Leander, dass er schonmal in die Praxis gehen soll mit den Anderen und, dass wir gleich nach kommen." Sie schluckte und ging dann aus dem Zimmer. Man hörte wie sich draußen alle in Bewegung setzten und Lilly wieder ins Zimmer kam.
Nachdem ich auch meine Socken und Schuhe angezogen hatte, huschte ich noch schnell ins Bad, suchte mein Parfum raus und kämmte mir die Haare kurz durch. Ich atmete einmal durch und ging dann in die Küche um einen Schluck Wasser zu trinken, denn wer wusste wann ich das nächste Mal dazu kam.
Doch als ich die Küche betrat, Lilly wartete bereits an der Wohnungstür auf mich, war ich überrascht. Meine kleine Schwester saß alleine an der Kücheninsel, auf einem Barhocker und spielte auf ihrem Handy rum. „Was machst du denn hier Engel?", „Spielen.", „Und warum bist du nicht unten bei den Anderen? Komm wir gehen runter. Die warten bestimmt schon alle."
Sie schüttelte den Kopf. „Ich will nicht, keine Lust." Während sie das sagte, wippte sie die ganze Zeit mit ihren Beinen unruhig hin und her. Ich ging zu ihr und setzte mich auf die Insel. „Wieso?", „Keine Ahnung. Ich hab einfach keine Lust. Das ist doch sowieso alles langweilig." Ich schmunzelte. „Sicher, dass das der Grund ist? Ich hab da nämlich ne andere Vermutung. Kann es sein, dass du etwas Angst hast da runter zu gehen?"
Sie hielt inne und schwieg für eine Weile. Doch dann nickte sie zaghaft und fing an an ihren Fingern rumzuspielen. Schnell legte ich meine Hände auf ihre um sie davon abzuhalten. Sie schob deutlich Panik. „Red mit mir Engel. Was ist los?", „Ich will nicht runter gehen. Da sind voll viele Ärzte und Praxisräume und medizinische Sachen. Pau,... ich hab Angst."
Ich sprang von der Kücheninsel runter und hob meine Schwester vom Barhocker um sie zu trösten.
„Und das ist okay Mena. Es ist völlig okay, dass du Angst hast. Aber ich fände es trotzdem super, wenn du mit runter kommst. Ich weiß, dass das überhaupt kein Spaß für dich ist. Ich verstehe auch, dass du dir tausende andere Orte vorstellen könntest an denen du jetzt viel lieber wärst, aber du bist jetzt hier, und ich bin auch hier. Ich verspreche dir, heute wird nichts passieren. Wir gehen einfach nur durch die Praxisräume, weil die Anderen gerne sehen wollen wie das alles aussieht. Niemand macht heute irgendwas außer sich alles anzuschauen. Ich glaube dir, dass du da nicht runter willst, aber bitte versuch es trotzdem. Es würde mir wirklich viel bedeuten, wenn du es probierst. Rick, Fede, Papa und Leander sind auch die ganze Zeit da. Du kannst die ganze Zeit einfach bei einem von denen bleiben. Niemand wird mit dir sprechen, wenn du es nicht willst. Und wenn du es garnicht mehr aushältst, dann gibst du mir ein Zeichen und wir finden eine Lösung."
„Versprochen?", schniefte sie. „Versprochen. Hoch und heilig. Jetzt müssen wir aber wirklich runter.", sagte ich sanft zu ihr, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und lies sie wieder runter. Anschließend gingen wir zur Wohnungstür, wo Lilly uns verwundert ansah. „Ich hab noch eine Hinterbliebene gefunden.", meinte ich. Lilly nickte nur und sagte nichts dazu. Sie war wahrscheinlich selbst fast genauso nervös und ängstlich wie meine Schwester.
„Ihr Beiden seht wundervoll aus.", „Danke", antworteten sie zusammen. „Na los ihr zwei. Ihr werdet das schon überleben. Niemand will euch fressen." Lilly lachte sarkastisch, aber ich ging darauf nicht weiter ein. Ich öffnete die Tür, lies meine Freundin und meine Schwester durchgehen und schloss hinter uns ab. Danach griffen beide meine Hand und klammerten sich förmlich an mich. An Gelassenheit war definitiv nicht für sie zu denken. Man spürte die Nervosität der Zwei förmlich durch die Luft wabern. Marilena zerdrückte mir förmlich die Hand beim runtergehen.
Wir hatten die ehemalige Gartentür zur Eingangstür der Praxis umfunktioniert, da wir nicht wollten, dass die Patienten durch den Privatflur mussten. Der ursprüngliche Eingang vom Flur in die untere ehemalige Wohnung, war geblieben, so als Möglichkeit für mich und Leander schnell von oben in die Praxis zu kommen und wieder zurück.
Jedenfalls wollte ich gerade durch die offizielle Praxistür, als Lilly mich zurückhielt. „Was ist los Schatz? Dir wird nichts passieren und ich bin die ganze Zeit an deiner Seite.", „Ich weiß, gib mir nur kurz einen Moment..... Okay. Wir können rein gehen." Schnell öffnete ich die Tür, lief durch sie hindurch und schloss sie wieder, bevor die Beiden es sich anders überlegten.Leander sah uns und schaltete sofort. Ruhig kam er auf uns zu und lächelte Marilena an. „Komm Marilena, lass deinen Bruder mal los. Du drückst ihm ja fast die Hand ab. Nimm lieber meine, ich glaube die kann man viel besser drücken als Paulos." Ihr entwischte ein kleines Lächeln und sie ließ meine Hand zaghaft los, nur um sich in Blitzgeschwindigkeit die von Leander zu schnappen.
Ich schüttelte meine Hand kurz aus. Lilly sah man zwar nicht so stark wie Marilena an, wie nervös sie war, aber ich merkte es ihr deutlich an. Ihre Hand war schwitzig und ihr Puls deutlich erhöht. „Hey, ganz ruhig. Dir passiert nichts. Alles wird gut. Versuch dich auf deine Atmung zu konzentrieren. Ich bin hier.", flüsterte ich ihr zu.
Sie schluckte. Vorsichtig zog ich sie näher an mich ran und nahm mit meiner linken Hand ihre linke Hand. Mit der anderen Hand zeichnete ich Linien auf ihren Rücken.
Mittlerweile hatten wir zwei unsere Techniken gefunden mit denen ich sie beruhigen konnte, und es half. Ihre Atmung verlangsamte sich etwas. Ich lies meinen Blick zu Leander schweifen, der etwa einen Meter neben mir mit Marilena stand und nickte ihm zu. Es konnte losgehen.
„Herzlich willkommen und vielen Dank, dass ihr alle zur Eröffnung unserer Praxis gekommen seid."
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Ich, Lilly und Mena
Teen FictionDie „Ich und..." Reihe: 1. „Ich und meine 5/3 Brüder" 2. „Ich, Lilly und Mena" (dieser Teil) 3. „Ich und meine Gedanken" ---------- Ich bin Paulo Romero, der Bruder von Marilena Romero. Ja richtig, der Arztbruder. Mittlerweile habe ich eine Freundin...