Theo Meisner III

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„Ich würde sagen wir gehen mal rüber. Theo, der Raum wird dir gefallen. Der sieht überhaupt nicht aus wie ein Untersuchungszimmer. Da gibt es ganz viele Kissen und Decken. Sollen wir da mal hingehen?", „Ja. Kommt Papa mit?", „Dein Vater kommt bestimmt mit, wenn du das willst.", „Natürlich. Soll ich mitkommen Theo?", „Ja.", „Okay. Dann mach ich das."
So gingen wir rüber ins Zimmer und ich lies Theo runter. „Setz dich hin wo du willst.", meinte ich zu ihm. „Schau mal, hier ist was zum malen. Kriegst du es hin diese Formen mit dem Stift nachzumalen? Und daneben versuchst du mal bitte mich zu malen.", wies ich ihn an. „Super machst du das. Ich rede ganz kurz mit deinem Vater, aber wir bleiben die ganze Zeit hier.", „Okay.", meinte Theo etwas entspannter und machte sich daran das Dreieck, Viereck und den Kreis nachzumalen.
„Also Herr Meisner, ich hätte ein paar Fragen an sie.", wendete ich mich an Theos Vater. „Ja klar. Schießen sie los.", „Hat Theo schon alle Impfungen, die er bis zur Einschulung haben sollte, oder kommt da noch was auf uns zu?" Er lachte etwas frustriert. „Ja, die hat er alle schon. Allerdings ist er dabei fast umgekippt so viel hat er an dem Tag geschrien, geweint und um sich geschlagen. Am Ende hat man ihm sogar etwas sediert. Das war kein schöner Anblick. Das können sie mir glauben.", „Ja das kann ich verstehen. Ich möchte sie gleich beruhigen. Ich werde ganz bestimmt nicht anfangen ihrem Sohn etwas zur Sedierung zu geben. Das ist für mich ein klares No Go. Ich habe in seiner Akte gelesen, dass er zur Therapie geht. Darf ich fragen weshalb?"
Herr Meisner seufzte und erzählte dann: „Sein erster Kinderarzt, vor Frau Dr. Lichtenfeld, war im Nachhinein ein grausamer Arzt, sobald Theo etwa 3 oder 4 Jahre alt war. Er hatte überhaupt kein Einfühlungsvermögen. Die Eltern mussten immer draußen bleiben, weil er der Meinung war, dass diese ihre Angst auf die Kinder projizieren würden. Deshalb haben wir auch erst durch Theos Therapeutin, die uns Dr. Lichtenfeld empfohlen hatte, erfahren, wie die Untersuchungen abliefen. Er hat ihm nicht direkt physisch wehgetan, aber wohl absolut keine Geduld aufgezeigt und hat ihn zu jeder Untersuchung renitent gezwungen, egal wie viel Angst er wohl gehabt haben muss. Nach jedem Termin kam Theo sehr still zu uns und hat bestimmt eine Stunde nichts gesagt. Das ist auch der Grund, wieso wir dann zur neuen Ärztin gewechselt sind und die hat uns dann empfohlen mit Theo zur Therapie zu gehen, weil sie bereits vermutete, dass Theo traumatisierte war und sie sollte ja leider Recht behalten."
Ich war geschockt. Wie konnte man nur so mit Kindern umgehen? Allerdings ergaben einige Dinge jetzt Sinn. Zum Beispiel, dass er so verwundert darüber war, dass ich ihn zu nichts zwang oder seine Frage, ob sein Vater mitkam ins Zimmer. Dieser Junge war traumatisiert, von einem Kollegen, der absolut keine Ahnung von seinem Job hatte. „Mir tut es leid, dass sie und Theo das erleben mussten. Sie wissen hoffentlich, dass dieser Mann angezeigt gehört.", sprach ich mit Herr Meisner weiter. „Ja. Wir haben mit anderen Eltern, die auch zu ihm gingen, geredet, uns zusammengeschlossen und ihn angezeigt. Er darf seit etwa einem Jahr nicht praktizieren und wurde verurteilt.", „Okay, wenigstens das."
„Leander?", rief Theo. „Ja, bist du fertig?", „Ja. Guck mal. Das bist du.", „Das sieht ja richtig gut aus. Du kannst ja sogar schon deinen Namen schreiben.", „Ja, das hat mir Mama beigebracht.", erzählte er stolz. Theo schien gerade etwas aufzublühen und zu vergessen, dass er hier eigentlich in einer Arztpraxis war. „Das hast du richtig gut gemacht.", lobte ich ihn.
„Jetzt habe ich eine Frage für dich: Wie viele Finger hab ich an einer Hand?" Er überlegte kurz, „Vier." Ich lachte. „Sicher? Zähl mal nach." Ich streckte ihm meine Hand entgegen und er tippte jeden meiner Finger einzeln an, während er sie zählte: „1...2...3...4...5. Du hast fünf Finger.", „Richtig. Und jetzt lauf mal auf den Zehenspitzen zur Wand da drüben.", „Wieso?", „Weil das Spaß macht?", antwortete ich ihm. „Das ist langweilig.", meckerte er. „Und wenn Papa ein kleines Wettrennen mit dir macht?", bot ich ihm an. „Na gut.", lenkte er ein. „Na dann stellt euch mal hier hin. Keinen Frühstart, ja?", „Jaha."
Ich musste schmunzeln und stellte mich an das andere Ende des Raumes. „Einzige Regel, ihr müsst auf den Zehenspitzen laufen. Also, auf die Plätze, fertig, LOS!"
Theo rannte sofort auf Zehenspitzen los und sein Vater hatte keine Chance gegen ihn. „Erster!", rief Theo, sobald er bei mir angekommen war. „Du bist viel zu schnell für mich Theechen.", meinte sein Vater belustigt. „So, jetzt musst du aber auch ein Wettrennen gegen mich machen. Dieses mal auf den Fersen, ja?", „Na gut." Groß begeistert schien er nicht zu sein, aber ich war schon dankbar dafür, dass er mitmachte.
Sein Vater stellte sich auf die gegenüberliegende Seite und gab den Startschuss. Theo schoss wieder sofort los.", „Dein Papa hat Recht. Man hat keine Chance gegen dich.", meinte ich, als ich nach Theo ankam. „Ich wette du kannst nicht 8 Sekunden auf einem Bein stehen.", forderte ich ihn heraus. „Doch Leander. Das kann ich!", „Na dann zeig her, aber du musst so lange stehen bleiben können bis ich stopp sage."
Sofort stellte er sich auf ein Bein und ich zählte laut bis 8. „Und fertig. Gibt es was, was du nicht kannst Theo?", fragte ich ihn erstaunt. „Keine Angst haben beim Arzt.", wurde er sofort wieder schüchtern. „Hey, das ist nicht schlimm. Jeder hat Angst vor irgendwas.", „Das glaub ich dir nicht.", schoss es aus ihm raus. „Doch. Ich hab zum Beispiel Angst in engen Räumen. Manche haben Höhenangst.", „Was ist Höhenangst?", fragte Theo neugierig. „Höhenangst ist, wenn du ganz weit oben bist und dir ein bisschen schwindelig wird oder du eben Angst kriegst, wenn du runter guckst.", „Ist das, das was Mama hatte als wir auf dem Riesenrad waren?", wollte Theo wissen. „Ja. Mama hat Höhenangst.", antwortete Herr Meisner.
„Theo, kommst du mal bitte her?", fragte ich ihn. Ich wollte ihn lieber im Arm festhalten, wenn ich ihm sagte, dass jetzt leider sein Hassteil kam.

Ich, Lilly und MenaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt