Ich atmete einmal kurz durch. Anschließend stand ich auf und öffnete die Tür meines Behandlungsraums. „Simon Lange bitte?", rief ich ins Wartezimmer. Ein junger Mann saß dort. Er war alleine und wirkte ziemlich abwesend. Da aber Niemand sonst dort war, konnte es nur er sein. Reagieren tat er allerdings nicht. Vorsichtig ging ich auf Herrn Lange zu und hockte mich vor ihn. Er starrte immer noch ins Leere. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine Schulter. Er zuckte zusammen und starrte in meine Augen. „Ganz ruhig. Sind sie Simon Lange?" Er nickte kaum wahrnehmbar. „Okay. Ich bin Dr. Romero. Ganz wichtige Frage: Duzen oder siezen?", „Duzen.", flüsterte Simon kaum merkbar. „Gut Simon. Dann bin ich Paulo. Was hältst du davon, wenn wir erstmal in mein Praxiszimmer gehen?"
Er nickte zwar, bewegte sich allerdings kein Stück weiter. „Hey Simon, hör mir bitte zu. Ich finde es wirklich super, dass du hier bist. Ich weiß wie schwer das für dich gewesen sein muss hierher zu kommen. Ich verspreche dir, wenn du mitkommst, werde ich dir alles ganz genau erklären. Absolut gar nichts wird ohne dein Einverständnis passieren. Ich will nur sichergehen, dass du gesund bist und auf gar keinen Fall will ich dir mit Absicht wehtun.", redete ich auf ihn ein. Tatsächlich half es etwas. „O o o o kay.", antwortete Simon etwas zittrig.
Ich ging voraus und öffnete die Tür meines Raumes. Simon kam zögerlich hinterher. „Erst reden oder willst du die Untersuchung hinter dir haben?", fragte ich ihn, während ich die Tür schloss und mich zu ihm wandte. Er überlegte fieberhaft. Man konnte ihm ansehen wie schwer ihm die ganze Situation fiel. „Untersuchung..?", flüsterte er und war wirklich unsicher.
„Okay. Wir schaffen das zusammen, Ja? Setz dich erstmal auf die Liege.", meinte ich und führte ihn zur Untersuchungsliege, die um die Ecke stand. „Ganz wichtig, wenn dir was unangenehm ist oder gar wehtut, dann sag bitte Bescheid. Das ist wirklich super wichtig. Sag sofort Stopp, alles klar?"
Er nickte, schaute mich aber nicht an. „Gut, darf ich deinen Arm anfassen?", „Ja.", antwortete Simon. Ich nahm sein Handgelenk in die eine Hand und schaute gleichzeitig auf meine Armbanduhr, um seinen Puls zu messen. Der war für meinen Geschmack etwas zu schnell unterwegs. „Simon, Versuch mal ruhig ein- und auszuatmen. Komm mach mich nach. Ein... 1, 2, 3 und wieder Aus... 1, 2, 3. Super. Schon viel besser. Ich schau jetzt in deine Ohren, nicht erschrecken. Das tut nicht weh. Es kitzelt höchstens etwas." Ich schnappte mir das Otoskop und schaute erst in Simons rechtes Ohr.
Er wurde wieder unruhiger. „Simon, Versuch ganz ruhig zu atmen. Dir passiert absolut garnichts."
Er schloss die Augen und atmete bewusst ein und aus. Tatsächlich wurde seine Atmung wieder ruhiger. Ich versuchte mich zu beeilen und schaute auch noch schnell in das linke Ohr. „Alles super. Deine Ohren sehen gesund aus. Ich muss jetzt deinen Hals anfassen. Ich weiß das klingt gruselig, aber ich bin sehr vorsichtig, versprochen."
Vorsichtig tastete ich seine Lymphknoten ab und wollte dann seinen Kopf hin und her bewegen um die Beweglichkeit zu testen. Allerdings bekam Simon sofort große Panik. „Hör auf! Lass mich los! Geh weg!", rief er angsterfüllt.
Sofort ließ ich ihn los. „Okay, Okay. Alles gut. Siehst du? Ich lass dich los und geh zwei Schritte zurück." Er beruhigte sich wieder. „Simon? Kannst du bitte was für mich machen? Beweg deinen Kopf vorsichtig nach rechts und dann links, soweit wie du kannst, aber bitte tu dir nicht weh." Er tat wie ich es ihm mitgeteilt hatte.
„Super machst du das. Ich bin wirklich stolz auf dich. Ich höre jetzt deine Lunge und dein Herz ab. Dafür musst du jetzt ganz kurz dein Shirt hochheben damit ich mein Stethoskop benutzen kann. Ich erkläre dir ganz genau was ich mache, einverstanden?" Er zögerte zwar, nickte dann aber doch.
Schüchtern hob er sein Shirt an. „Ganz langsam ein und ausatmen. Du kriegst das hin.", bestärkte ich ihn ab und zu. Es half ihm definitiv. Er war zwar immer noch sehr nervös, aber sein Herz schlug etwas langsamer. „Das hört sich alles super an.", teilte ich ihm mit und legte mein Stethoskop beiseite. „Legst du dich mal auf den Rücken? Dann kann ich deinen Bauch abtasten.", fragte ich ihn. Simon war sofort wieder wie weggetreten. Er starrte an mir vorbei auf die Tür, die zum anderen Zimmer führte. „Hey Simon, hörst du mich? Was ist los?" Er war wie erstarrt. „Red bitte mit mir. Was ist?"
Er reagierte immer noch nicht. Doch sobald ich ihn an der Schulter berührte, war es als hätte ich einen Knopf gedrückt. Er starrte nicht mehr und bewegte sich wieder, allerdings schwang er jetzt ins andere Extrem. Er sprang plötzlich von der Liege auf und wollte wegrennen. Zum Glück konnte ich gerade noch seinen Arm festhalten. „Lass mich los! Ich will hier weg!", „Hey, ganz ruhig. Ich weiß, dass du hier weg willst. Das kann ich voll verstehen. Ich lass dich auch wieder los. Nur eine Sache will ich dir erklären. Ich kann und will dich nicht hier festhalten und ich werde dich ganz bestimmt nicht zwingen hier zu bleiben. Was ich aber möchte ist, die Gewissheit zu haben, dass du vollkommen gesund bist. Das kann ich aber nur, wenn ich dich untersuchen darf. Ich weiß, dass du irgendwas dabei gerade wirklich beängstigend fandest, aber ich kann dir nur helfen, wenn du mit mir redest. Du darfst mir vertrauen. Auch wenn es dir schwer fällt, darfst du mir vertrauen. Außerdem darf und werde ich nichts weitererzählen, es sei denn du gefährdest dich oder Andere, dafür gibt es die ärztliche Schweigepflicht."
Ich sah, dass ich irgendeinen wunden Punkt bei ihm getroffen hatte. Erst bebten seine Lippen und dann fing er an zu weinen. Er versuchte sich wegzudrehen, aber konnte es nicht, da ich ihn ja immer noch festhielt. „Du musst dich nicht schämen. Es ist okay, dass du weinst. Willst du mir erzählen warum du weg wolltest?", fragte ich ihn mit aller Ruhe. „Ich, Ich,... Es w w war einfach zu viel. Ich wollte hier weg. Mein Körper hat irgendwie einfach auf Autopilot geschaltet.", „Okay. Wahrscheinlich hatte er das Gefühl, dass Gefahr droht. Simon hat dir irgendein Arzt mal wehgetan?", fragte ich ihn, denn seine ganze Art der Reaktion wies darauf hin, dass er ein Trauma erlebt hatte.
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Ich, Lilly und Mena
Teen FictionDie „Ich und..." Reihe: 1. „Ich und meine 5/3 Brüder" 2. „Ich, Lilly und Mena" (dieser Teil) 3. „Ich und meine Gedanken" ---------- Ich bin Paulo Romero, der Bruder von Marilena Romero. Ja richtig, der Arztbruder. Mittlerweile habe ich eine Freundin...