PROLOG

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Wenn ich meine Gedanken nicht mehr in Worte fassen kann, weil es zu viele auf einmal sind, dann schreibe ich. Ich schreibe immer. Wenn sie zu laut sind, wenn es zu viele sind, wenn sie mich traurig machen oder unsicher oder einfach nur unfähig mich zu bewegen.

Was ich schreibe ist unterschiedlich. Manchmal sind es Gefühle, die kurz vorbeihuschen und einen bleibenden Eindruck hinterlassen, manchmal sind es auch Dinge, die ich erlebt habe oder auch nicht erlebt habe. Ich schreibe über alles und nichts. Und ich schreibe sie überall hin. Meine Gedanken. Sie stehen überall und sind gleichzeitig so privat und öffentlich zugänglich, dass es mir manchmal Angst macht. Ob in die Notiz-App von meinem Handy, an den Blattrand im Mathematikunterricht oder auf meine bloße Hand, wenn ich mit dem Bus von der Schule nach Hause fahre. Tische, Wände, Toilettentüren. Nichts ist sicher vor ihnen. Vermutlich grenzt das an Vandalismus. Aber am meisten schreibe ich, wenn ich in meinem Zimmer bin. Und zumindest dort kann man es nicht Vandalismus nennen.

Der Regen tropft gegen die Glasscheibe meines Fensters und ich sehe den einzelnen Tropfen dabei zu, wie sie sich langsam einen Weg nach unten bahnen. Ein bisschen sieht es so aus, als würde mein Fenster weinen. Aber natürlich tut es das nicht wirklich, Fenster können nicht weinen. Nur die Menschen, die dahinter sitzen und in die Welt hinaus starren.

Ich drehe meinen Bleistift zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Während ich überlege, wie ich meine Gedanken aus meinem Kopf am besten auf das Papier bekomme fließt Lonely Star von Oh Wonder wie die sanfte Strömung einer Quelle durch meine Ohren und meinen Kopf. In diesem Moment fühlt es sich so an, als gäbe es nur mich und die sanften Klänge der Musik, die aus meinen Kopfhörern ertönen. Fast fühle ich diese unendlich erleichternde Entspannung, nach der ich mich jede Stunde, ja sogar jede Minute jedes Tages verzehre. Nur für eine Sekunde. Dann ist dieses wundervolle Gefühl vorbei und ich sitze wieder auf meinem Schreibtischstuhl, den Stift in der Hand, die Kopfhörer in den Ohren. Die Gedanken zurück in meinem Kopf.

Mein Zimmer fühlt sich unangenehm groß und beengend zugleich an. Gleichzeitig zu groß und zu klein für eine Person. Das ist ein komisches Gefühl, dass es eigentlich gar nicht geben dürfte. Wie kann sich etwas zu viel und zu wenig zur selben Zeit anfühlen?

Ich blicke hinunter auf das Blatt Papier, das ich aus einem Malblock herausgerissen habe, den ich nicht mehr zum Malen benutze, seitdem Papa mir gesagt hat, dass Kunst ein sinnloser Zeitvertreib sei. In meiner krakeligen schiefen Handschrift steht dort eine Zeile geschrieben.

mein kopf ist voller gedanken, die ich nicht denken möchte

Wenn ich schreibe, schreibe ich alles klein. Bei mir gibt es keine Großbuchstaben. Wenn es keinen Satzanfang gibt, dann gibt es auch kein Satzende. Die Geschichte hat vor diesem Satz begonnen und wird auch erst irgendwann nach ihm enden. Es ist nur ein kleines Fragment aus einem viel größeren Ganzen. Irgendwie mag ich diesen Gedanken. Er lässt Raum für Veränderung. Hoffnung dafür, dass es besser wird. Irgendwann.

Ich setzte meinen Stift auf das raue Papier und beginne zu schreiben, wobei ich spüre, wie die Spitze des Bleistiftes über das Papier kratzt und eine feine Linie aus grauem Staub darauf hinterlässt.

manchmal denke ich so viel, dass ich es alles auf papier schreiben muss, um es los zu werden. aber kaum ist es aus meinem kopf heraus ist es wertlos und all die zeit, die ich mit nachdenken verbracht habe, ist wie vergeudet

Ich lege den Stift beiseite und knülle das Papier zusammen, um es weg zu schmeißen. Manchmal weiß ich selbst nichts mit den Dingen anzufangen, die ich aufgeschrieben habe. Dann stehe ich auf und renne aus meinem Zimmer, das gleichzeitig zu groß und zu klein für mich ist. Ich weiß nicht, wohin mich meine Füße tragen. Noch nicht.

Teenage YearsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt