FREMDE GEDANKEN

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Maddy wusste, dass sich ihre Eltern für sie schämen würden, wenn sie wüssten, wie sie ihre Freizeit verbrachte. Ihre Mutter, die zwei Jobs hatte und sich Tag für Tag abrackerte hätte Tränen in den Augen, wenn sie ihr erzählen würde, dass sie ihr bisschen Taschengeld für illegale Zigaretten und billiges Bier ausgab. Momma würde ihre Lippen zusammen pressen und die Falten der Enttäuschung würden noch tiefere Furchen in ihr müdes Gesicht reißen. Und Daddy erst. Daddy sagte ihr und Jaden immer und immer wieder, dass sie besser waren, als das bisschen Geld, das sie besaßen. Er sagte ihnen, sie wären zu gut, um sich anzupassen und ihre Herkunft zu verleugnen. Er sagte ihnen, sie wären zu gut, um so zu tun, als wären sie White Trash. Er sagte ihnen, sie sollten stolz sein. Er sagte, sie sollten zu Schule gehen und lernen, damit sie eines Tages ein besseres – ein gutes – Leben würden führen können.

Und hier saß sie nun, wie sie es jeden Abend tat und auch immer öfter an morgendlichen Schultagen. Hier saß sie und rauchte und trank und tat so, als wäre Bildung kein Privileg sondern ein Gefängnis. Dabei konnte sie noch nicht einmal ihren Freunden die Schuld geben. Brooke war die beste. Die einzig wahre Freundin. Seit der Grundschule gingen sie gemeinsam durch Dick und Dünn und hatten jahrelang wie Schwestern gelebt, ohne zu begreifen, dass ihre unterschiedliche Hautfarbe allen um sie herum das Gegenteil bewies.

Und dann waren da die Jungs. Caden mit seiner langen Löwenmähne. Marco mit seiner liebevollen italienischen Mutter, die ihnen so oft landestypischen Schokoladenkuchen, Petolle oder Focaccia mitgab. Und Olivier mit seinen ambitionierten französischen Eltern, den sie alle einfach Oliver nannten.

Sie waren alle so unterschiedlich, so individuell und so offen und trotzdem benahm Maddy sich, als wäre ihre Haut nicht die dunkelste. Als wären ihre Lippen nicht voll und ihre Augen schwarz, wie die Nacht. Als wären ihre Haare nicht von Natur aus wild gelockt sondern glätteeisenglatt. Nur zuhause sprach sie manche Worte gedehnter und weicher, als ihre Freunde es taten. Nur mit ihrem Bruder redete sie über Nas und Tupac und Kendrick Lamar. Saß sie hier mit ihren Freunden hörte sie Indie und Alternative Pop und White Rock und es gefiel ihr. Sie liebte ihre Freunde und die Musik, die sie hörten und sie lachte über ihre Witze und war wütend, wenn einem von ihnen das Herz gebrochen wurde.

Aber niemals verband sie ihre eigene Musik mit der Bluetoothbox und sie lud ihre Freunde auch nicht zu sich nach Hause ein, wo ihr Bruder war und ihre Eltern, die kein zweites Gesicht hatten, wie sie. Und es machte sie traurig, es machte sie zutiefst traurig und als sie dann an diesem einen Abend diese drei merkwürdigen Freunde sah, die eben so seltsam waren, wie ihre eigenen und trotzdem so viel offener und ehrlicher miteinander musste sie beinahe weinen. So sehr wünschte sie sich diese entspannte Verbundenheit für sich selbst.

Es kostete sie einiges an Überwindung und mindestens eine Woche Zeit, bis sie all ihre Freunde dazu brachte, am Montag Morgen pünktlich in die Schule zu gehen und auch am Dienstag. Und dann saßen sie am Mittwoch wieder auf ihrem Skateplatz und hörten Musik und lachten und philosophierten darüber, was ihre Mitschüler wohl gerade in Geschichte lernten und Brooke zupfte an einer ihrer glänzenden, weichen Locken und lächelte sie zufrieden an: „Ich liebe deine Haare."

Das selbe hatte ihre Mutter ihr mit einem glücklichen Lächeln gesagt, als sie ihr neues Öl für die Haare gekauft hatte und ihr Bruder als er ihr mit seinen langen dünnen Fingern durch die Mähne gefahren war und sie stolz auf den Scheitel geküsst hatte.

Vielleicht war sie nicht perfekt, vielleicht schämte sie sich für viele verschiedene Dinge, aber zumindest versuchte sie es. Und je mehr sie wagte, desto glücklicher wurde sie. Ihre Freunde waren begeistert von ihrer Musik und entschuldigten sich, wenn sie sich in der Wortwahl vergriffen und als sie ein paar Monate später alle gemeinsam bei ihr zuhause saßen und Momma ihnen Shuku Shuku ins Zimmer brachte – was ihre Großmutter immer gebacken hatte – waren sie so höflich gewesen und so nett, als Daddy sie zu einem BBQ eingeladen hatte und sie waren so aufgeregt über dieses neue Kapitel in ihrer Freundschaft uns so neugierig über all die kleinen Dinge, die in ihrem Zimmer standen und so viel über sie verrieten, was sie noch nicht gewusst hatte.


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