FREMDE GEDANKEN

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Als er aufwachte war die andere Betthälfte leer, die Decke zerwühlt und das Lacken kalt. Verwirrt und verschlafen strich er sich die Haare aus der Stirn und sah sich im Dunkeln seines Zimmers um. Alles war still. Fast so, als wäre es nur ein Traum gewesen.

Müde drehte er sich auf die andere Seite, um weiter zu schlafen. Bestimmt war seine Schwester nur kurz im Bad oder in der Küche, sich ein Glas Wasser holen. Doch die Wohnung blieb still. Mürrisch setzte er sich auf und rieb sich die Augen.

Leise ging er aus dem Zimmer, um keinen seiner Mitbewohner aufzuwecken. In der Erwartung, seine kleine Schwester zusammengekauert auf dem Sofa sitzen zu sehen, schaltete er das Wohnzimmerlicht an. Doch der Raum war leer. Verwirrt ging er wieder hinaus, an der geöffneten Tür, die zu dem im Dunkeln liegenden Bad führte, vorbei und in die Küche. Doch auch hier war niemand zu sehen. Ein ungutes Gefühl ergriff seinen Magen und stach ihm innerlich in die Eingeweide.

Zurück in seinem Zimmer nahm er sein Handy in die Hand, um seine Schwester anzurufen. Es klingelt – bei ihm und ein paar Meter weiter – in einem schwarzen unscheinbaren Rucksack der neben der Zimmertür stand. Er ging zu dem Rucksack, öffnete ihn und zog das Handy seiner kleinen Schwester heraus, wobei ein zerknicktes Bild mit heraus fiel.

Ernüchtert und mit einem immer stärker werdenden unguten Gefühl drückte er auf Anruf beenden und warf die beiden nutzlosen Handys zusammen auf sein Bett, wo sie dumpf in den aufgewühlten Decken landeten. Als er aufstand spürte er die glatte Oberfläche des Bildes unter seinem Fuß. Er bückte sich und hob es auf. Eine junge Frau mit goldbraunem Haar war darauf zu sehen. Sie hielt einen Hammer und einen Bilderrahmen in der Hand während sie auf einer wackeligen Trittleiter stand, um ein Bild an der Wand aufzuhängen. Seine Mutter. Und ihre Mutter. Er hatte nicht gewusst, dass seine kleine Schwester überhaupt ein Bild von ihr besaß.

Verwirrt drehte er es in seinen Händen herum. Auf der Rückseite standen ein paar eilig geschriebene Zeilen.

so vieles ist anders, weil ich damals zwischen zweien das falsche gewählt habe. so vieles wäre anders, hätte ich das richtige gewählt. so vieles. alles

Ihm war klar, worauf sich diese Zeilen bezogen und sein Inneres zog sich zusammen, als er sie immer und immer und immer wieder las. Wieso hatte seine Schwester nie etwas gesagt? Sie hätte immer mit ihm darüber reden können, wie unglücklich sie war. Und sie hätte immer zu ihrer Mutter ziehen können.

Und wenn er sie den weiten Weg bis nach Edmonton hätte tragen müssen, er hätte es getan. So wie er alles für seine kleine Schwester getan hätte. Aber jetzt war sie fort und er wusste nicht wohin sie gegangen war. Er hasste es, sie nicht beschützen zu können.

Teenage YearsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt