FREMDE GEDANKEN

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Eigentlich hätte er ihnen gar keinen Hund mehr zum Spazieren ausleihen dürfen. Die Besuchszeiten für die Tiere waren Tagsüber, wenn es hell war und man die Tiere zurück bringen konnte, bevor der Laden schloss. Jetzt war es bereits dunkel. Und er hatte vorgehabt, den Laden in 10 Minuten zu schließen. Zumindest als die drei herein gekommen waren. Das war nun auch schon wieder fast eine Stunde her. Wenn seine Chefin ihn erwischte war er so gut wie tot und definitiv arbeitslos.

Aber er hatte sie irgendwie nicht wieder fortschicken können. Sie hatten ihn an sich selbst erinnert, obwohl er doch kaum älter war als die Rothaarige und der Junge. Aber das andere Mädchen – Kath hatten sie sie liebevoll genannt – ließ ihn die ganze Zeit über nicht los.

Er konnte nicht sagen, was es an ihr war. Die Haltung mit den immer noch leicht hochgezogenen Schultern, die verriet, dass sie vor nicht all zu langer Zeit noch viel unsicherer gewesen war? Die kurzen Haare, die ihr spitzes Gesicht so wundervoll zur Geltung brachten, aber aussahen, als wären sie erst vor kurzem geschnitten worden und noch nicht ganz Teil von ihr geworden wenn sie aus der Gewohnheit heraus versuchte, ihre Emotionen hinter langen Haaren zu verstecken? Oder war es die Nähe zu den beiden anderen? Diese Nähe, die gleichzeitig so dankbar und selbstverständlich aussah, wie neu und ungewohnt? Er wusste es nicht. Er wusste es wirklich nicht, aber als sie ihm zu Beginn ihrer Unterhaltung so tief in die Augen gesehen hatte, dass er meinte, seine Seele würde vor ihr offen liegen hatte er sich irgendwie verbunden mit ihr gefühlt.

Als die drei lachend und um den Hund herum hüpfend den Laden verlassen hatten – er hatte mit dem Jungen vereinbart, den Laden so lange offen zu halten, bis sie ihm Snoopy wieder zurück brachten und Simon hatte ihm versprechen müssen, dass es noch vor Mitternacht geschehen würde – hatte er es unerklärlicher Weise bereut, nicht mit dem Mädchen gesprochen zu haben. Ihr nicht gesagt zu haben, wie mutig er sie fand, wie sehr sie ihn an sich selbst erinnerte, wie glücklich ihr Lächeln ihn machte, wie viel schlimmer und gleichzeitig tausendmal schöner alles werden würde. Wie froh er war, dass sie Simon hatte, der noch spät abends an seine lieben Tiere dachte und Ally, die sie so zärtlich ansah, wenn sie es nicht bemerkte, dass es ihn vor Freude in der Brust schmerzte.

Als er sich mit einem Graphic Novel namens Saga auf die alte Couch im hinteren Bereich des Ladens legte und es sich zwischen Tierhaaren und alten Kissen bequem machte, versprach er sich, Kath zu sagen, was ihm die ganze Zeit über so brennend auf der Zunge gelegen hatte. Er war sich sicher, dass sie es verstehen würde. Doch sein Arbeitstag war lang gewesen und eine Mittagspause hatte er auch nicht gehabt, weil er in der Zeit für seine Großeltern einkaufen musste, bei denen er seine Kindheit über gelebt hatte, und so schlief er mit dem Buch auf seiner Brust ein und merkte nicht, wie die drei später wieder zurück kamen. Er hörte nicht, wie Ally ihn wecken wollte und Kath ihre Hand zurück hielt, und ihn schlafen ließ. Er spürte nicht, wie Simon ihm das Buch aus der Hand nahm und ihn zudeckte.

Erst als er am nächsten Morgen mit verspannten Muskeln und Snoopy schlafend auf seiner Brust aufwachte, begriff er, dass er sie verpasst hatte. Bestürzt sprang er auf, sah auf die Uhr über der Kasse (6:45 Uhr), checkte die E-Mails auf dem Arbeitscomputer (eine Krankmeldung seiner Chefin, sie würde heute nicht kommen und wünsche ihm einen schönen Tag) sprintete er in einem paranoiden Wahn zur Kasse (noch voll mit Münzen und Scheinen) und ließ sich erst dann wieder erleichtert mit einem tiefen Aufatmen zurück auf die Couch fallen. Snoopy – den er bei seinem Adrenalin geladenen Sprint durch den Laden versehentlich geweckt hatte – sprang Schwanz wedelnd und glücklich hechelnd um ihn herum.

Als er aufstand um ihn zurück zu seinen Gefährten zu bringen und den Tieren das Frühstück vorzubereiten bemerkte er den kleinen Zettel nicht, der in der Aufregung von der Couchlehne unter das Sofa gefallen war.

Monate später – es war Frühling und der Drang einen alljährlichen Generalputz durchzuführen hatte die Chefin überfallen – kam der kleine Zettel zum Vorschein. Verwundert und neugierig faltete sie ihn auf und las die Botschaft darauf.

danke für dein entgegenkommen, ash, snoopy war alles was wir uns für unseren letzten gemeinsamen abend hätten wünschen können. pass auf dich auf, in liebe simon, ally & kath

Im Grunde hätte sie Ash mit diesem Zettel feuern können, der so viele Fehltritte in so wenigen Worten aufwies, doch sie tat es nicht. Statt dessen nahm sie eine kleine Reißzwecke und pinnte die Botschaft neben gekritzelte Kinderzeichnungen und Briefe an ihre Freuden-Wand. So nannte sie die Wand, an der alle Erinnerungen hingen, die sie motivierten, weiter für die Menschen und die Tiere zu arbeiten, auch wenn das hieß, dass sie so wenig verdiente und mit ihrer Tochter immer noch bei ihren Eltern leben musste.

Teenage YearsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt