FREMDE GEDANKEN

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Er fuhr zu schnell, aber das war ihm egal, denn er hatte keine Zeit mehr zu verlieren, nachdem er all die Jahre so viel davon vergeudet hatte.

Als wäre das alles nur ein Traum gewesen, war er in ihr Zimmer gegangen. In der sinnlosen Hoffnung, sie dort auf ihrem Schreibtischstuhl sitzen zu sehen, den Blick aus dem Fenster gerichtet, einen Stift in der Hand. So wie es immer gewesen war. Doch der Raum war leer gewesen. Zu leer und zu groß für ihn und gleichzeitig zu klein und zu eng, als dass sie darin hätte leben können.

Er hatte sich auf ihr Bett fallen lassen und versucht, sie zu verstehen. Er hatte versucht, herauszufinden, wer sie geworden war, während sie all die Monate dagesessen und aus dem Fenster gestarrt hatte.

Er hatte sich gebückt, um ein zusammengeknülltes Papier in den Mülleimer zu werfen, dass vereinsamt auf dem Boden gelegen hatte.

Als er sich wieder aufgerichtet hatte stand er vor einer Wand die von oben bis unten mit kleinen und großen Zetteln zu gepinnt gewesen war. Sein Blick war über die Buchstaben, Wörter und Zeilen geschweift, bis sich alles in seinem Kopf zu einem großen Ganzen zusammen gesetzt hatte.

Das hatte sie geschrieben, all diese Gedankenfetzen stammten von seiner Tochter. Sie hatte förmlich darum gebettelt, dass er sie lesen würde, so offensichtlich hingen sie auf einmal in dem Zimmer. Doch er hatte ihre Hoffnungen und Wünsche nicht gehört und nicht gesehen.

Einen Zettel nach dem anderen hatte er von der Wand genommen und gegen seine Brust gepresst.

manchmal frage ich mich, ob es einfacher ist ‚normal' zu sein, als man selbst zu sein

ich wäre lieber immer zu tode gestresst, als andauernd mit meinen gedanken allein, aber ich bin allein

als wäre es nicht schwer genug, sich selbst dafür zu lieben, wer man ist, muss man darum betteln, dass andere es auch tun, denn was nützt es einem, wenn man sich liebt, aber niemanden hat, mit dem man das teilen könnte?

Er war in sein Auto gestiegen und losgefahren – die Zettel immer noch bei sich, als wäre so auch sie noch bei ihm.

Sein Sohn würde ihm vielleicht erklären können, was er selbst nicht verstand. Er musste mit ihm reden, und ihn fragen, ob er es gewusst hatte. Er musste es einfach erfahren. Denn er liebte seine Kinder, und eines davon war davon gerannt, weil er es ihr nie gesagt hatte.


Teenage YearsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt