-6-

858 68 105
                                    

,,Erzähl mir-" flüsterte ich nervös, als er nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt war. ,,-warum du gesprungen bist."
,,Was? Das habe ich dir bereits gesagt-"
,,-doch das war nicht alles." fiel ich ihm leise ins Wort.
,,Wie meinst du das?" fragte er ein wenig ernster.
,,Ich habe viele Fähigkeiten, Draco." lächelte ich schwach. ,,Eine davon ist es, in die Seelen von Menschen blicken zu können; zu sehen und zu fühlen, was sie gefühlt haben; oder was sie in diesem Moment fühlen."

,,Ich habe dir gesagt, dass ich nicht reden will." entgegnete er ruhig. ,,Warum jetzt? Warum hier?"
,,Du wolltest dein Leben beenden, weil du nicht nur Schmerz in deinem Herzen hattest." fuhr ich leise fort. ,,Sondern auch Angst."
,,Warum fragst du mich das, Nova?"

,,Weil ich ein Seelengeist bin, Draco." antwortete ich nachdenklich. ,,Hast du dich denn überhaupt nicht gefragt warum ich bei dir war? Als du am Boden lagst; als du gesprungen bist?"
,,Nein." flüsterte er zögernd. ,,Gibt es denn einen Grund, Nova? Einen Grund den ich noch nicht weiß?"

,,Würde es etwas ändern, wenn ich nun ja sagen würde?"
,,Nicht für mich." sagte er mit einem verspielten Grinsen. ,,Dieser Grund hat dafür gesorgt, dass du bei mir warst; und das ich dich sehen durfte. Dass du noch immer hier bist; also nein." grinste er und griff selbstbewusst nach meiner Hand. ,,Es würde nichts ändern; es würde mir bloß eine Antwort auf eine meiner unzähligen Fragen geben."

,,Es gibt unterschiedliche Geister, Draco. Es gibt die, die ihre Seele vollkommen ziehen lassen und es gibt die, die noch immer an ihrer Seele hängen."
,,Du hängst noch an deiner Seele, richtig?" fragte er vorsichtig.
,,Ja." gestand ich. ,,Doch ich hänge nicht nur daran, Draco; ich kann sie nicht ziehen lassen."

,,Warum nicht?"
,,Weil meine Seele noch nicht ihren Frieden gefunden hat." sagte ich ein wenig traurig. ,,Ich bin tot und dennoch bin ich hier; ich habe keinen Herzschlag und dennoch stehe ich vor dir. Du kannst mich sehen; du kannst mit mir reden. Ich hänge zwischen beiden Welten fest."

,,Nova-" sagte er ein wenig ernster, als er an mein Kinn griff; mein Gesicht so sanft zu ihm hinauf zog. ,,-warum kannst du nicht loslassen? Warum bist du in dieser Zwischenwelt gefangen?"
,,Weil ich nicht weiß, wo meine Leiche ist." gestand ich nervös, als sich tatsächlich vereinzelte Tränen in meinen Augen entwickelten.

,,Was?" wisperte er mit großen Augen. ,,Wie kann das sein?"
,,Ich kann mich daran erinnern, wie ich gestorben bin; warum." antwortete ich nostalgisch. ,,Doch danach ist alles schwarz. Es hat einige Tage gedauert, bis ich meine Augen wieder aufgeschlagen habe; doch da war ich bereits ein Geist."

,,Das tut mir leid, Kleines." wisperte er gefühlvoll, als er mich in seine Arme zog.
,,Draco-" wimmerte ich. ,,-da ist noch was."
,,Was ist es?"
,,Kennst du die Bezeichnung eines Seelengeistes?" fragte ich nervös.

,,Nein." gestand er nachdenklich. ,,Über Geister werden wir nicht sonderlich viel aufgeklärt; wie mir scheint, ein gewaltiger Fehler."
,,Anders als Sir Nicholas zum Beispiel kann ich mein Leben als Geist nicht genießen; ich kann Hogwarts nicht verlassen; ich kann nicht immer dort hin wohin ich möchte." fuhr ich fort. ,,Anders als die meisten Geister wurde mir eine Aufgabe vermacht."

,,Eine Aufgabe?"
,,Immer wenn ein Zauberer oder eine Hexe stirbt oder es versucht hat; oder schwer verletzt ist, hier in Hogwarts; dann werde ich davon als erste erfahren. Ich kehre zu ihnen und-" ich zögerte. ,,-ich entscheide ob dieser Mensch bereits sterben soll, oder nicht."

,,Was?" flüsterte er entsetzt, als er an meine Oberarme griff; mich sanft von ihm schob. Er sah zu mir hinunter; sah an mir hinab. ,,Du entscheidest ob jemand stirbt oder nicht?"
,,Ja."
,,Also-" er stockte. ,,-also hast du auch über mein Leben bestimmt?"
,,Ja." gestand ich. ,,Das habe ich."

,,Wieso hast du mich nicht gehen gelassen? Warum hast du mich nicht zu dir geholt?" fragte er ein wenig ernster.
,,Draco; es ist nicht so einfach." entgegnete ich. ,,Ich habe dieses Aufgabe nicht einfach so bekommen; ich muss Vorsicht weilen. Entscheide ich mich falsch, dann kann ich nicht nur ein Leben zerstören; sondern gleich viele mehr."

,,Wie meinst du das?"
,,Entscheide ich, dass dieser Mensch weiterleben soll obwohl er bereits zur Geisterwelt gehört, dann wird er nie wieder in seinem Leben Glück empfinden. Alle wundervollen Emotionen der Vergangenheit werden vergessen; Glücksgefühle werden nicht mehr aufkommen. Ich hätte ihm das Leben gerettet und dennoch den Tod geschenkt."

,,Nova-"
,,-doch hätte ich dich gehen lassen, Draco." unterbrach ich ihn hektisch. ,,Dann wärst du nun ein Geist; so wie ich. Doch du warst noch nicht soweit; ich habe es gefühlt. Du warst bloß verzweifelt und hattest Angst. Es wäre ein Fehler gewesen dir deine Seele zu nehmen. Du-"
,,-Nova!" unterbrach er mich lautstark, als ich ihn mit weit aufgerissenen Augen ansah. ,,Es ist in Ordnung." lächelte er behutsam. ,,Du brauchst dir keine Gedanken machen-" er griff zart an mein Haar; spielte ein wenig mit meiner Haarsträhne. ,,-du hast dich richtig entschieden. Ich verdanke dir mein Leben."

,,Tatsächlich?" wisperte ich nervös.
,,Ja." lächelte er zart. ,,Ich wollte mein Leben beenden, weil der Schmerz mich überwältigt hat. Weil ich meine Mutter verloren habe; weil ich furchtbar einsam war." fuhr er fort. ,,Doch es war ein Fehler; es war der falsche Weg, das weiß ich nun; doch ich bereue es trotz allem nicht."

,,Nicht?" flüsterte ich. ,,Warum nicht?"
,,Weil mich dieser Sturz zu dir gebracht hat." antwortete er selbstbewusst, als er mit seiner eiskalten Hand; mit seinen noch kälteren Ringen an meine zarte Wange griff. ,,Weil deine Augen so das erste schöne waren, dass ich nach all dem Schmerz; nach einer unfassbar langen Zeit, wieder gesehen habe. Deine Berührung die erste Geborgenheit war; dein Lächeln-" beherzt fing er an zu grinsen. ,,-mir mit einem Schlag all den Schmerz genommen hat."

,,Draco." lächelte ich verlegen, als meine Atmung unkontrolliert schneller wurde; meine Wangen ganz heiß und rot wurden.
,,Darf ich dich etwas fragen, Nova?" grinste er selbstbewusst.
,,Draco; hast du gehört was ich dir so eben alles gesagt habe?"
,,Habe ich." antwortete er gelassen. ,,Denkst du du, dass du mich damit abschreckst?" lachte er.

,,Ich, ich will nur, dass du weißt warum ich hier bin."
,,Du bist da um zu entscheiden wann ein Mensch stirbt und wann nicht; das hast du getan. Doch warum bist du dann noch immer hier? Bei mir?" grinste er furchtbar selbstbewusst; unfassbar charmant. Seine blau-grauen Augen blitzten hervor; wurden bloß von seinem Lachen übertroffen.

,,Weil-" zögerte ich nachdenklich; nervös. ,,-weil ich dich nunmal mag; weil ich wissen will, warum du mich sehen kannst." grinste ich verlegen. ,,Ich kann auch wieder gehen-"
,,-nein, nein." witzelte er, als er dominant an meine Taille griff; mich ein wenig näher zu ihm zog. ,,Sieh es ein, kleine Nova; du schreckst mich nicht ab." Er kam ein wenig zu mir hinunter; nah an mein Ohr. ,,So machst du dich nur noch viel interessanter für mich."

Vollkommen schwer atmend und mit beinah schon panisch aufgerissenen Augen zuckte ich zusammen; spürte erneut meinen Herzschlag. Einen Herzschlag, den es so gar nicht mehr gab. Eigentlich.

,,Darf ich dich noch was fragen, kleine Nova?" flüsterte er, als er wieder zu mir hinab sah.
,,Ja." lächelte ich verlegen.
,,Du hattest noch nie einen Freund, richtig?"
,,Richtig." antwortete ich immer nervöser.

,,Hattest du bereits deinen ersten Kuss?" hing er selbstbewusst und selbstsicher an.
,,Nein; ich, nein." stotterte ich.
,,Möchtest du das ändern?" fragte er leise, als seine kalte Hand durch mein Haar fuhr; an meinen Hals strich.

,,Draco-" schrak ich auf. ,,-ich bin ein Geist."
,,Das war nicht die Frage." entgegnete er streng; ohne den Augenkontakt auch nur für eine Sekunde zu brechen.

,,Ich-" wisperte ich leise. ,,-vielleicht." lächelte ich verlegen. ,,Ich meine ich weiß es nicht, ich-" doch noch bevor ich meine zitternden Worte aussprechen konnte, hatte er bereits an meine Taille gegriffen; an meinen Nacken; und mich zu ihm gezogen. Meinen Körper gewollt an seinen gepresst; seine Lippen auf meine. Er ließ meinen ganzen Körper beben; er ließ mich vor Aufregung frieren. Er ließ Geborgenheit und Glück durch meine Adern fließen; er ließ meinen toten Herzschlag neu aufleben.

Fallen Angel - Draco MalfoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt