0 5 | n o c h s o v i e l

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r o b i n

STALKING SCHIEN VON nun an auf meiner Agenda zu stehen.

Ich wusste, wovon ich redete. Nachdem ich bereits zwei Fans über das Geländer des Balkons meines Hotelzimmers hatte klettern sehen – mitten in der Nacht und nur in eines meiner Trikots gekleidet – wusste ich bereits das ein oder andere über Aufdringlichkeit. Ich wusste, dass sie in meinem Berufsfeld wohl unvermeidbar war. Dass ich es keinem Fan verneinen konnte, wenn er nach einem Bild oder einem Autogramm fragte. Egal, ob ich in dieser Nacht drei Stunden geschlafen, keinen Tropfen Kaffee abbekommen und einen höllischen Muskelkater hatte. Himmel, als ich sieben gewesen war, hätte ich jedes meiner Idole um ein Bild oder nur ein gekritzeltes X auf meinem T-Shirt gebeten, hätte ich sie an einem Flughafen entdeckt. Es war etwas, an das ich mich über die Jahre gewöhnt hatte. Die meiste Zeit über füllte es mich mit Stolz, wenn man mich auf der Straße erkannte und anhielt, um mich anzusprechen. Weil es zeigte, dass meine Leistung, für die ich mir jeden einzelnen Tag den Arsch aufriss, für die ich alles, wirklich alles geopfert hatte, anerkannt wurde. Nur wenn es eine einstweilige Verfügung mit sich brachte, da zog ich normalerweise die Grenze.

Eine Gruppe weiterer Jugendlicher trat aus dem Eingang des Hotels. Ich duckte den Kopf etwas, sodass die Baseballkappe mir noch tiefer ins Gesicht fiel, ich jedoch trotzdem noch einen Blick in Richtung der Menschengruppe erhaschen konnte. Erneut kein einziger Rotschopf.

Ich war nicht nur ein Stalker, ich war auch noch ein verdammt schlechter dazu.

In diesem Moment fragte ich mich, ob ich in meiner Karriere vielleicht doch eine Gehirnerschütterung zu viel erlitten hatte. Weil ich tatsächlich vor Sophies Hotel kampierte, völlig unangekündigt und vermutlich auch ungewünscht, ohne zu wissen, ob sie nicht bereits abgereist war. Ich hatte mich bemüht, vor dem allgemeinen Check-out hier zu sein, den ich erbärmlicherweise auf der Internetseite des Hotels gefunden hatte. Ich war kurz davor, eine Psychose zu entwickeln.

Es war ein miserabler Plan. Ich hätte sie einfach anrufen können. Ihr schreiben. Ihr eine Brieftaube schicken. Alles, nur nicht persönlich vor ihrem Hotel herumlungern, und zu hoffen, dass sie ihr Zimmer heute noch verließ. Und doch konnte ich mich nicht von der Stelle rühren. Die Temperaturen waren über Nacht erneut in den Minusbereich gerutscht und ich stand bereits seit mindestens einer Dreiviertelstunde neben meinem Wagen, um Ausschau nach einer gewissen Rothaarigen zu halten. Ich war mir sicher, dass ich noch eine Frostbeule bekommen oder einen Zeh verlieren würde, bevor sie durch die Doppeltüren der Pension kommen würde.

Ich hatte bisher so gut durchgehalten. Hatte kein spontanes Flugticket gebucht und war nicht vor ihrer Haustür aufgetaucht, obwohl ich bereits so oft auf der Webseite eines Fluganbieters gewesen war. Hatte nicht ihre Nummer gewählt und darauf gehofft, nur für eine Sekunde ihre Stimme zu hören. Denn Gott, es gab Nächte, in denen ich nichts anderes gewollt hatte.

Aber wenn ich eins wusste, dann, dass Sophie etwas Besseres als mich verdient hatte. Als jemanden, der nur jedes dritte Wochenende für sie da sein konnte. Als jemanden, der sich selbst an erste Stelle setzen musste, egal wie sehr er es hasste.

Und doch war ich hier. Hatte letzte Nacht auf gut Glück ihre Instagram-Seite gecheckt, war zu lange über ihren Bildern der letzten Monate verharrt und schließlich auf ihren Story-Beitrag gestoßen, auf dem sie das Hotel getaggt hatte, indem sie sich befand. Mein Innerstes hatte sie daran erinnern wollen, dass es gefährlich war, seinen Standort mit dem gesamten Internet zu teilen, dass es Leute gab, die über ein Balkongeländer klettern könnten und würden. Doch dann wurde mir bewusst, dass das Probleme waren, mit denen Sophie sich nicht auseinandersetzen musste, nun, dass wir getrennt waren. Weil Reporter und Fans sie nicht mehr ganz so schlimm belagerten, nachdem das Internet dahintergekommen war, dass unsere Beziehung nach beinahe vier Jahren in die Brüche gegangen war.

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