0 8 | z a h n f e e

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s o p h i e

ALS ICH AM Mittwochabend in der Pinakothek der Moderne ankam, waren die Flure bereits voll. Überall stoppten Gäste vor den Leinwänden, die mit Körperteilen bedruckt waren, an denen dickflüssiges schwarzes Öl hinablief. Die Fotografien ließen mich selbst einige Male innehalten und fasziniert starren – so sehr, dass ich Tallulah erst nach einer halben Stunde fand.

Mit einem Weinglas in der Hand unterhielt sie sich mit einem älteren Ehepaar. Sobald sie mich jedoch entdeckte, entschuldigte sie sich mit einem schnellen Lächeln und kam in meine Richtung.

"Sophie!", begrüßte sie mich erfreut und drückte mir einen Kuss auf beide Wangen. "Wie gefällt dir die Ausstellung?"

Ein weiteres Mal huschte mein Blick zu den Schwarz-weiß-Fotografien. "Unglaublich. Die Lichtkomposition und Bildausschnitte sind unglaublich gut gewählt. Ich mag die Andeutung an die Verschmutzung an Orten wie Nigeria, die von der Erdölproduktion abhängig sind."

Tallulahs Augen funkelten begeistert. "Das schwarze Gold. Ein passender Titel für die Vernissage."

Ich konnte nur zustimmend nicken. "Eine gute Message. Kennst du den Künstler?"

Der Name auf der Eintrittskarte, die Tallulah meinem Hotel hatte zukommen lassen, hatte mir nicht sonderlich viel gesagt. Nachdem ich jedoch seine Bilder gesehen hatte, war ich wohl einer seiner neuesten Fans.

"Sahin ist einer meiner Klienten", antwortete sie mit einem stolzen Nicken. Mein Herz machte einen aufgeregten Satz. Ich kannte einige der Künstler und Künstlerinnen, die Tallulahs Agentur vertrat, doch hier zu sein und zu sehen, wie gut ihre Klientel war – es machte mich nervös. Unsicher.

Meine Bilder wurden für gutes Geld verkauft und mein Instagram-Profil hatte nicht gerade wenig Follower. Aber diese kleine Stimme in meinem Kopf fragte sich immer, ob die Leute nur an meiner Kunst interessiert waren, weil ich Robin Jungs Exfreundin war. Weil ein kleiner Teil seines Ruhms mit seiner Bekanntheit unweigerlich auf mich übergesprungen war.

"Da ist auch schon Jerrick Seidel", meinte sie und deutete in Richtung eines Mannes Mitte vierzig in Anzug, der auf uns zukam. "Der Kurator der Pinakothek der Moderne."

Sofort wurden meine Hände schwitzig. Meine Handflächen fuhren über mein schwarzes Kleid und ich war plötzlich froh, dass ich mich heute gezwungen hatte, meine Doc Martens gegen ein Paar Pumps auszutauschen, die sehr viel eleganter wirkten. Mein rotes Haar fiel mir offen über die Schultern und verdeckte ein paar der filigranen Tattoos auf der Innenseite meines Oberarms. In der Anwesenheit von konservativen Kunstkennern waren sie von Zeit zu Zeit etwas hinderlich. Ich wollte keinen schlechten Eindruck abgegeben, nur weil ich mein Leben gerne auf meiner Haut trug.

Sie alle erzählten eine Geschichte – von der kleinen Biene auf der Innenseite meines Knöchels, dem Geburtsjahr meiner Mutter auf der Rückseite meines Ellenbogens bis zu dem abstrakten Umriss einer Sonne. Keines größer als fünf Zentimeter und alle im selben, minimalistischen Stil, der aus feinen Linien bestand.

Aufgeregt beobachtete ich, wie Tallulah ihn begrüßte, bevor sie auf mich deutete. "Darf ich dir vorstellen: Sophie Ramcke. Mit etwas Glück und Überzeugungskraft meine neueste Klientin."

Mein Herz machte einen erneuten Satz. Ich wollte lachen und Tallulah versichern, dass es kein bisschen von beidem benötigen würde. Dass sie mir einfach nur den Vertrag vorlegen und mich in Freudensprünge ausbrechen lassen musste. Ich zwang mich jedoch, den letzten Rest meiner Professionalität zusammenzukratzen und wandte mich Jerrick zu, der mich bereits interessiert betrachtete.

"Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen", erwiderte ich und streckte ihm meine Hand hin. "Die heutige Ausstellung ist wirklich eindrucksvoll."

Jerricks Mundwinkel hoben sich zufrieden. "Einige faszinierende Ansätze. Welches Medium bevorzugen Sie?"

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