2 1 | i c h b i n h i e r

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r o b i n

KEIN GEWICHT WAR schwer genug. Nichts wog sich mit der Last auf, die auf meiner Brust lag, seitdem ich bei Sophie gewesen war. Ich musste trotzdem versuchen, es endlich wieder loszuwerden.

Ich ließ die Langhantel wieder in die Halterung sinken und richtete mich von der Bank auf. Ich drehte die Verschlüsse ab, erst rechts, dann links, und legte jeweils eine weitere Scheibe auf. Der Verschluss kam wieder drauf. Ich ließ mich auf die Bank sinken.

Die Stange war schwerer. Mit jedem Satz brannten meine Muskeln mehr. Und trotzdem schien es nicht gut genug. Ich stemmte das Gewicht, versuchte mich auf den Schmerz in meinen Armen zu konzentrieren, hoffte dass der physische Schmerz in meiner Brust den ablöste, der sich seit einigen Tagen dort eingenistet hatte.

Hoffte, dass ich nur schwer genug tragen musste, um auch nur einen Moment zu vergessen, was hätte sein können. Die Szenarien zu vergessen, die mich ständig verfolgten und wie ein makabrer Film vor meinen Augen abliefen, egal wo ich war, was ich tat, wie sehr ich mich abzulenken versuchte. Ich war mir sicher, dass ich auf meiner Rückfahrt nach München geblitzt worden war. Bisher hatte ich mich noch nicht dazu bringen können, Interesse zu zeigen.

Auf meinem Weg zum Training heute Morgen hatte ich eine Mutter mit Kinderwagen am Straßenrand laufen sehen. Ich war in die nächste Seitenstraße einbogen, aus dem Wagen gestiegen und hatte mich übergeben. Danach hatte ich mich wieder hinter das Lenkrad gesetzt, aber den Wagen nicht gestartet. Ich hatte einfach nur aus dem Fenster gestarrt und mich versucht daran zu erinnern, wer Sophie gewesen war, bevor sie eine solche Entscheidung hatte treffen können. Ob sie diese Entscheidung schon immer getroffen hätte, oder ob ich es hätte verhindern können. Ob ich mir die Schuld an dem geben konnte, was geschehen war oder ob es unausweichlich so gekommen wäre. Ich vermutete, dass es keinen Unterschied machte. Ich würde weder mir noch ihr für den gesamten Rest meines Lebens verzeihen können.

Ein Gesicht tauchte am Rande meines Sichtfelds auf. Ich ignorierte es und stemmte die Hantel ein weiteres Mal in die Höhe.

„Wo zum Teufel warst du heute Morgen?"

Ich presste einen weiteren Atemzug hervor. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Hantel halten können würde, wenn ich mich mit Forster unterhielt. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn ich die Kontrolle über das Gewicht verlieren würde.

Bei dem Gedanken rutschte mein Griff etwas ab. Ich bereitete mich auf hundertdreißig Kilo vor, die mir jeden Moment die Brust zerquetschen würden. Stattdessen waren sie jedoch mit einem Mal verschwunden.

Forster sah mich missbilligend an, als er die Langhantel wieder in die Ablage beförderte. „Willst du dich umbringen?"

„Ich will meine Ruhe haben", gab ich zurück, als ich mich unter der Stange hindurch aufsetzte. „Also verpiss dich."

Meine Arme waren so erschöpft, dass sie zitterten, als ich nach meiner Wasserflasche griff. Vielleicht würde diese nervenaufreibende Erschöpfung mir endlich einen Schlaf einbringen, der länger als nur drei Stunden hielt.

„Du hättest dich gerade beinahe stranguliert", entgegnete Forster, der beharrlich hinter der Bank stehenblieb. „Was wäre passiert, wenn ich fünf Minuten später gekommen wäre?"

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. „Willst du jetzt, dass ich deine Füße küsse?"

Forster schüttelte frustriert den Kopf. „Ich will wissen, was mit dir los ist. Dreimal warst du diese Woche nicht beim Training."

„Faber weiß Bescheid", erwiderte ich nur, denn ich hatte mich bei meinem Trainer für meine Abwesenheit entschuldigt. Ich hatte gesehen, dass er mir eine Strafe für meinen Ausfall hatte aufdrücken wollen, als ich nach meiner Ankunft in München in seinem Büro aufgekreuzt war. Ich hatte ihm etwas vorgegaukelt von einem familiären Vorfall und so mies, wie ich ausgesehen haben musste, hatte er es mir abgekauft. Er war zwar definitiv nicht begeistert und ich war von nun an auf dünnem Eis, doch ich hatte immerhin keine Geldstrafe zahlen müssen. Auch wenn mir das Geld vermutlich völlig egal gewesen wäre. Aber eine eingetragene Strafe, die verhängt wurde, sah deutlich schlechter aus als nur eine Verwarnung. Solange ich morgen auf dem Feld stehen würde, ging es Niclas Faber vermutlich am Arsch vorbei, ob ich in meiner Freizeit schlief oder nicht. „Ich bin nicht fit."

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