1 3 | d o p p e l t e g r ö ß e

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s o p h i e

"ICH HABE VERGESSEN, wie kalt es auf der Tribüne werden kann", murmelte ich und umklammerte den heißen Becher Kaffee etwas fester, in der Hoffnung, meine eisigen Fingerspitzen würden bald wieder ihr Gefühl erlangen. Selbst meine Pufferjacke und die drei Oberteile, die ich darunter trug, konnten mich in der eisigen Winterluft nicht warmhalten.

„Du hättest auch einfach die Karten für die Loge annehmen können, die Robin dir geben wollte", murrte Micah, der die Hände ebenfalls tief in den Taschen seiner Jacke vergraben hatte. „Dann wären wir jetzt immerhin keine Eisklötze."

Meine Augen folgten der Nummer zehn, die auf dem Spielfeld ganz an der Spitze mitlief. Robin wich einem gegnerischen Spieler aus, musste jedoch ins Leere schießen, als er realisierte, dass niemand für ihn offenstand. Ein Jubeln ging durch das Stadion, als der Ball ins Aus rollte.

„Ich hasse die Loge", erwiderte ich und nahm einen Schluck, der mir zwar beinahe meinen gesamten Mundraum verbrannte, aber mir immerhin für kurze Zeit das Gefühl gab, nicht kurz vor einer Hypothermie zu stehen.

Micah schnaubte neben mir leise. „Ich verstehe. Wer hasst denn bitte keine beheizten Räume, kostenlosen Champagner und ein ganzes, gottverdammtes Buffet? Sei froh, dass du die Karten für die Pollock-Ausstellung hattest, junge Dame. Sonst hättest du dir getrost allein die Beine in den Bauch stehen können. Auch wenn ich zugeben muss, dass der Schal dir steht."

Meine Mundwinkel zuckten, als ich den Fanschal etwas enger um meinen Hals schlang. Der Rotton stach sich etwas mit meiner Haarfarbe, doch ich hatte im Shop neben dem Kiosk nicht anders gekonnt, als ich ihn ausgelegt gesehen hatte. Ganz zu schweigen davon, dass Micah sich ebenfalls einen zugelegt hatte. Auch wenn er so tat, als hätte er mich nur nach Hamburg begleitet, weil ich ihn mit exklusiven Karten für die Ausstellung unseres absoluten Lieblingskünstlers bestochen hatte, die Tallulah mir überlassen hatte, wusste ich, dass ein ganz kleiner Teil von ihm Fan des Spiels war.

Dabei handelte meine Abneigung der Loge eher darum, dass die Gesellschaft nicht unbedingt meine Welt war. Lauter Männer in teuren Anzügen, Menschen, die bereits so an ihren Luxus gewöhnt waren, dass sie ihn nicht mehr zu schätzen wussten und überall Gelegenheiten, um zu networken. Eine nette Sache, wenn man am Sport interessiert war. Mir ging es beim Zuschauen jedoch nicht unbedingt um das Spiel, sondern vielmehr um einen ganz bestimmten Spieler.

Gerade, als eine erneute Torchance entstand und eine bemerkbare Anspannung durch das ganze Stadion wanderte, spürte ich Micahs Ellbogen in meiner Seite.

Ich konnte gerade verhindern, dass ich meinen Kaffee verschüttete. Mit einem überraschten Blick sah ich zu ihm auf. „Was ist?"

Micahs Gesicht hatte seine Belustigung verloren, als er sich zu mir lehnte. „Vielleicht solltest du nicht so auffällig hinsehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Mädchen zwei Reihen vor uns dich filmen. Die Brünette mit der Pudelmütze?"

Möglichst nonchalant ließ ich meinen Blick über die anderen Zuschauer im relativ schmalen Flügel der Gastmannschaft gleiten. Und tatsächlich, als ich bei den drei Mädchen ankam, die zuvor bereits ihre Köpfe zusammengesteckt und laut gekichert hatten, blinzelte ich in das Objektiv einer Handykamera.

Schnell wandte ich meinen Blick wieder ab und konzentrierte mich auf das Spielfeld. „Ignorier sie einfach."

Micah wirkte nicht sonderlich begeistert, doch er widersprach nicht. Er schien zu vermuten, dass ich mehr Erfahrung darin hatte, wie man im Auge der Öffentlichkeit auf Situationen wie diese reagierte.

Den Rest des Spiels über fühlte ich mich unwohl. Als würde jede meiner Bewegungen verfolgt und aufgezeichnet werden. Ich war mir sicher, dass die Clips später irgendwo im Internet zu finden sein würden. Unter dem Deckmantel der Anonymität des Internets schienen einige Menschen kein Problem damit zu haben, sich in mein Privatleben einzumischen. Ich kannte dieses Spiel bereits. Sie anzusprechen, sie zu bitten, mir meine Ruhe zu lassen, solange ich einfach nur das Spiel schauen wollte, wäre das schlimmste, was ich hätte tun können. Ein unfreundlicher Ruf würde nicht nur meine eigene Karriere gefährden, sondern auch negativ auf Robins zurückfallen – immerhin war ich seine Ex-oder-auch-nicht-Ex-Freundin, die auf der Tribüne saß und sein Spiel beobachtete.

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