2 6 | p a r a d o x

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s o p h i e

HIMBEEREN SCHWAMMEN IN meinem Getränk herum. Für Ende März waren die Temperaturen recht warm, mit viel Sonnenschein und einer warmen Brise, die durch die Baumkronen auf dem Anwesen der Koopmanns glitt.

Die beiden Ehrengäste standen neben mir, beide ebenfalls ein Cocktailglas in der Hand und ein breites Lächeln auf dem Gesicht. Marie und Dana waren nun offizielle Absolventinnen mit einem Bachelor of Arts. Keine langen Nächte in der Bib mehr, keine Hausarbeiten, keine Klausurenphasen. Es war der letzte Schritt in das Erwachsensein hinein. Die Stimmung war gut, doch es lag auch ein wenig Wehmut in der Luft. Weil die Veränderungen vor der Tür standen, für die wir alle wohl noch nicht ganz bereit waren. Marie und Noah würden in zwei Wochen zurück nach München ziehen. Levi und Dana hatten eine Backpackingreise durch Thailand und Indonesien geplant, für deren Flug sie bereits gepackt hatten. In vier Wochen würden sie wieder hier sein, doch es zeigte, dass wir nicht mehr viel länger in dieser kleinen Blase leben würden, in der wir uns die letzten dreieinhalb Jahre befunden hatten.

Ich würde nächste Woche nach Berlin fahren, um meine Bilder in einer Galerie auszustellen, die Tallulah für mich gesichert hatte. Die Kunstwerke, die ausgestellt werden würden, waren bereits in Packpapier gewickelt und zur Abholung bereit.

Micah neben mir starrte in seinen eigenen Drink. Seine Stimmung war mindestens so finster wie meine eigene, doch ich versuchte sie mit einem Lächeln zu überspielen. Er schien nicht ganz so viel Glück dabei zu haben.

Ich vermutete, dass es mit einem ganz bestimmten Fußballspieler zu tun hatte, der in den letzten Wochen in die Kritik geraten war. Ich hatte versucht, mich aus allem, was auch nur mit einem rollenden Ball zu tun hatte, herauszuhalten, doch selbst ich hatte die negativen Schlagzeilen nicht übersehen können. Erst war es Robin gewesen, der auf dem Feld geschwächelt hatte, doch sobald er wieder in seiner gewohnten Form gewesen war, war es Lukas Forster gewesen, dessen Leistung rasant abgenommen hatte.

Als ich mein Getränk an der Bar auffüllte, stand Noah neben mir, der Maries Glas wohl ebenfalls nachfüllen wollte. Ich griff nach dem Lillet und füllte beide Gläser.

„Du siehst gut aus", kommentierte er, als er nach der Beerenmischung griff und in beide Gläser etwas von ihnen verteilte. „Wie geht es dir?"

Mein Mundwinkel hob sich unweigerlich. Marie hatte ihn vor knapp zwei Jahren noch für einen arroganten und überheblichen Vollidioten gehalten, der sich nicht um die Gefühle anderer Menschen kümmerte. Gott, hatte sie sich geirrt. Hinter dieser aalglatten Fassade war Noah Altenfeld ein guter Mensch. Wenn er einem erst einmal die Chance gab, sich in sein Herz zu kämpfen gab es keinen Weg mehr hinaus.

„Gut", erwiderte ich schließlich und zuckte mit der Schulter. „Ich bin ziemlich beschäftigt mit den Vorbereitungen für die Vernissage."

Er warf mir einen fragenden Blick zu. „Aufgeregt?"

Mein Lächeln vertiefte sich etwas. „Nur minimal. Allein bei dem Gedanken daran, fühlt es sich an, als würden meine Handflächen sich verflüssigen."

Noah schmunzelte. „Ich hoffe, Marie und ich haben die Chance, eins deiner Bilder für unseren Flur zu ergattern. Wir haben im Eingang einen Platz dafür freigehalten."

Ich hätte in Tränen ausbrechen können, so sehr liebte ich meine Freunde.

Als er das Eis in die Gläser gab, räusperte ich mich leise, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden.

„Ich habe mich nie bei dir bedankt", sagte ich und schämte mich dafür, dass es so lange gebraucht hatte, bis ich diese Worte zu ihm sagen konnte. „Für das, was du letztes Jahr getan hast. Dafür, dass du in dieser Nacht da warst."

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