1 2 | l i c h t j a h r e

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r o b i n

MEINE MUSKELN PROTESTIERTEN, als ich mich auf das noch gemachte Bett sinken ließ. Das heutige Spiel hatte mit einem knappen Sieg für uns geendet, doch ich spürte jeden Meter, den ich gerannt war, in meinen ächzenden Wadenmuskeln.

„So feierst du normalerweise also? Du verschanzt dich im Hotel?"

Forster saß frisch geduscht und mit einem skeptischen Gesichtsausdruck auf der Kante seines Bettes, das meinem gegenüberstand. Wir waren schon häufig Zimmergenossen gewesen, wenn Auswärtsspiele anstanden, doch meistens war Forster nach dem Spiel gar nicht erst aufgetaucht – vermutlich, weil er sich in einer Bar so zulaufen hatte lassen, dass er den Weg nicht zurückgefunden hatte.

„Man nennt es auch Regeneration", erwiderte ich mit einem trockenen Blick. „Das Einzige, was dein Gehänge dabei vielleicht berührt, ist ein Kühlakku."

„Das klingt furchtbar langweilig", erwiderte er. „Es ist gerade mal neun Uhr. Bist du hier in der Nähe nicht zur Uni gegangen? Sag mir nicht, du kennst keine Clubs, die sich über zwei Bayern-Spieler freuen würden."

„Eine dreiviertel Stunde von hier", korrigierte ich ihn. Außerdem wollte ich ihm sagen, dass ein Club nicht unbedingt das Ambiente war, das er anstreben sollte, wenn er seine Trinkerei unter Kontrolle behalten wollte. Allein, dass er heute Abend mit mir ins Hotel zurückgekehrt war, bedeutete mir, dass er meine Ansprache vor ein paar Wochen vielleicht doch nicht auf die leichte Schulter genommen hatte, wie ich es anfangs vermutet hatte. Doch sobald die Worte meinen Mund verließen, realisierte ich etwas ganz anderes. Eine dreiviertel Stunde von hier lag auch Sophies Wohnung. Eine so kurze Distanz und ich war bisher nicht auf die Idee gekommen, dass ich meinen Abend auch sehr viel angenehmer als in meinem Hotelzimmer verbringen konnte.

Bevor ich wusste, was ich tat, stand ich bereits und suchte nach meinen Schuhen.

„Also kennst du einen Club?"

Überrascht sah ich Forster an, der mich erwartungsvoll betrachtete. Vielleicht sollte ich mir wirklich Gedanken darüber machen, wie viel dieser Typ feierte.

„Keinen Club", erwiderte ich, entdeckte meinen Sneakers neben der Tür und schlüpfte hinein. „Aber Sophie wohnt in der Nähe."

Forster stieß einen enttäuschten Atemzug aus. „Du willst mich ernsthaft hier sitzen lassen?"

Wäre es jedes andere Teammitglied gewesen, hätte ich ihm über meine Schulter hinweg meinen Mittelfinger gezeigt und wäre bereits aus der Tür. Aber jetzt, wo er mit in sich zusammengesackten Schultern auf der Kante der Matratze hockte, ein erschöpfter Ausdruck auf dem Gesicht, konnte ich mich nicht dazu zwingen, das Mitleid herunterzuschlucken. Mein Blick zuckte zur Minibar. Allein die Tatsache, dass ich bereits überlegte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass er doch noch zur Hotelbar flüchten oder den Kühlschrank in unserem Zimmer leeren würde, sagte mir bereits, dass ich ihn heute nicht allein lassen konnte. Nicht, wenn er sich Mühe gab, auf dem richtigen Pfad zu bleiben.

Ich schlüpfte in den anderen Schuh. „Hast du Lust, sie kennenzulernen?"




KAUM TRAFEN MEINE Schuhsohlen auf den Bordstein vor dem Haus, in dem Sophie und Marie gemeinsam eine Wohnung bezogen, befürchtete ich, einen Fehler gemacht zu haben.

Aus Angst, sie würde einen Besuch ablehnen, hatte ich nicht angerufen, als wir unser Hotelzimmer verlassen hatten. Es war der Feigling in mir, der befürchtete, dass sie sich ihre Zeit genommen und beschlossen hatte, dass eine Zukunft mit mir nicht das war, was sie noch wollte.

Alles sah noch so aus wie vor sieben Monaten. Die saubere Fassade der Altbauwohnungen, die Gold eingerahmten Klingelschilder, die Blumenbeete, die unter einer dünnen Schicht Schnee kaum auszumachen waren.

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