2 4 | b e i d i r

4.1K 329 21
                                    

s o p h i e

A u g u s t, das Jahr zuvor

ICH MERKTE, DASS etwas nicht stimmte, als ich so müde wurde, dass ich sicher war, ich würde jeden Moment das Bewusstsein verlieren und trotzdem keinen Schlaf fand.

Die Krämpfe, die mich an meine Regelschmerzen erinnerten, aber eigentlich bedeuteten, dass dieses kleine Leben in mir sich immer mehr Platz machte, schienen heute besonders nervenaufreibend. Die heißen Spätsommertemperaturen halfen mir nicht dabei, endlich meinen lang ersehnten Schlaf zu finden. Stattdessen wälzte ich mich schweißgebadet von einer Seite meines Bettes auf die andere. Mir tat alles weh. Mein Kopf, meine Gliedmaßen, selbst jeder einzelne Knochen in meinen Füßen machte sich bemerkbar.

Als ich bemerkte, dass es unmöglich war, in der Hitze auch nur eine Sekunde Schlaf zu finden, raffte ich mich aus meinen durchgeschwitzten Laken und schlurfte hinaus in den Flur. Marie war seit vier Tagen wieder offiziell eingezogen, doch heute war ihre Zimmertür offen und ermöglichte einen Blick in den vereinsamten Raum. Noah und sie waren mit Levi und Dana in einer Bar in der Innenstadt. Ich hatte keine Ahnung, ob sie heute Abend hier aufkreuzen oder die Nacht in Noahs Wohnung verbringen würden. Ich wusste nur, dass Alkohol momentan auf der Liste an Dingen stand, die ich auf keinen Fall haben durfte. Wäre ich die letzten Wochen nicht so verdammt müde gewesen, hätte ich mich vielleicht sogar angeschlossen und ein Wasser bestellt. Vielleicht wäre es aber auch zu auffällig gewesen, etwas nicht-alkoholisches zu trinken, während ich sonst nie nüchtern nach Hause gegangen war.

Ich war mir ziemlich sicher, dass Noah Bescheid wusste. Nicht nur, weil Marie ihm nichts verheimlichen konnte, sondern auch, weil sein ernster Blick in letzter Zeit besonders lange an mir hängen blieb. Ich wusste, dass ich in den letzten Wochen vielleicht nicht ganz so fit ausgesehen hatte wie in meiner Studentenzeit, doch daran war vermutlich der Liebeskummer, eine halbe Existenzkrise und die ständige Morgenübelkeit Schuld.

Dana und Levi dagegen tappten momentan noch im Dunkeln. Nicht nur, weil die beiden in den letzten Wochen ihre eigenen Probleme gehabt hatten, sondern auch, weil ich das erste Trimester abwarten wollte, bevor ich allen von der freudigen Nachricht verkünden wollte. Und weil ich dem Vater des Kindes vielleicht zuerst von seinem Glück erzählen sollte.

So oft hatte ich bereits das Handy in der Hand gehabt und es im letzten Moment dann doch noch weggelegt. Man überbrachte so schwerwiegende, lebensverändernde Nachrichten nicht am Telefon. Nicht, wenn ich eine ausgewachsene Panikattacke gehabt hatte, als ich realisiert hatte, dass ich tatsächlich schwanger war. Es hätte sich scheinheilig angefühlt, ihn so zu überfallen.

Aber der richtige Moment schien auch nie gekommen zu sein. Nicht, wenn er gerade eine Woche auf Ibiza gewesen war und davon vermutlich keinen Tag nüchtern oder allein verbracht hatte. Es fühlte sich auch nicht richtig an, ihm zu sagen, dass er Vater wurde, wenn er zwei Promille intus und ein Betthäschen bei sich hatte.

Ich hatte noch eine ganze Weile, bis das Kind hier sein würde. Bis er oder sie sich in ein tatsächliches, schreiendes Baby verwandeln würde, das ich nicht mehr nur mithilfe meines Körpers am Leben erhalten konnte.

Meine Handfläche fuhr über die minimale Wölbung, die sich unter meinem Bauchnabel befand. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich vermutet, dass ich es nur mit den Burritos übertrieben hatte.

„Dein Papa wird ganz schön geschockt sein", flüsterte ich, als ich mit der anderen Hand den Kühlschrank öffnete und die Wasserkaraffe herauszog. „Ich habe mich bereits an deine Anwesenheit gewöhnt, aber dein Vater? Hoffen wir mal, dass er es besser aufnimmt als ich. Deine Tante erinnert mich jedenfalls jeden Tag daran, dass ich ihm endlich von dir erzählen sollte. Letzte Woche hat sie seinen Namen in meinen Toast geritzt."

weltschmerz | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt